Was die Salons von Genf oder Frankfurt in Sachen Auto, oder die CEBIT in Hannover für das digitale Hightech, ist die FIAC für die moderne Kunst. Alljährlich versammelt die Foire Internationale de l’Art Contemporain in Paris alles und alle, die in Sachen zeitgenössischer Kreation Rang und Namen besitzen.
Die Crème de la Crème der internationalen Galeristen zeigt, was in der Kunst von heute und morgen en vogue ist. Vom 18. bis 27. Oktober 2016 konzentriert sich Paris allein auf die zeitgenössische Kunst. Den angemessenen Rahmen für das Ereignis liefert das unlängst renovierte Grand Palais mit seiner grandiosen Kuppel, unter der sich für neun Tage Sammler, Kuratoren, Kunsthändler oder einfach nur Liebhaber durch die Gänge zwischen den Ausstellungsständen drängeln.
Viele der 184 ausgewählten Galerien aus 25 Ländern stellen im Zuge der FIAC neue Talente vor. Durch große Namen wie Raquel Arnaud, Max Hetzler oder Massimo Minini wird der zeitgenössischen Kunst jedes Jahr neuer Antrieb gegeben. Neben den Galerie-Globalplayern, wie Thaddaeus Ropac oder Larry Gagosian, präsentieren sich auf der FIAC aber auch kleinere Häuser, bei denen es wahnsinnig viel zu entdecken gibt.
Abgesehen von dem Handel, der sich auf der Messe vollzieht, hat die FIAC auch großen künstlerischen Einfluss auf ganz Paris. Museen, Galerien und bekannte Plätze beteiligen sich an dem Ereignis, indem dort kulturelle Umgebung mit einer Spur von zeitgenössischer Kunst versehen wird.
Alle Kunstgalerien in der Stadt haben von 18 bis 24 Uhr ihre Türen geöffnet. Auf dem Place Vendôme, dem Jardin du Plantes oder auch im Centre Pompidou gibt es zudem spektakuläre Aktionen. Ein Highlight ist auch Gelände des Louvre und der Jardin des Tuileries, wo Kunstinstallationen gezeigt werden, die man dann einfach beim Spaziergang besuchen kann. Und genau auf diesen Sonntagsspaziergang nehme ich die Leser von Horstson mit, um ein wunderbares Werk von Jean Prouvé vorzustellen.
Jean Prouvé (1901 -1984) gehört zu den wichtigsten Konstrukteuren der Moderne und hat mit seinem wegweisenden Design bis heute einen Klassikerstatus. Besonders seine Möbelentwürfe, wie der Fauteuil de Grand Repos oder auch der Standard Stuhl – beides Möbellegenden, die inzwischen in einer Neuauflage produziert werden – sind nach wie vor beliebte Interieurobjekte.
Doch Prouvé widmete sich aber insbesondere der Architektur. Er ersann vor Lösungen, die sich mit modularen Systemen und mit der Möglichkeit der Montage und der Demontage beschäftigten. Beweglichkeit spielte für den Franzosen beim Gestaltungsansatz eine immense Rolle. Als Konstrukteur widmete sich Jean Prouvé ständig der Verbesserung und Optimierung von Produktionsabläufen. Le Corbusier brachte es – wie so oft – auf den Punkt:
„In Jean Prouvé vereinigen sich Architekt und Ingenieur, richtiger noch, Architekt und Baumeister, denn alles, was er anfasst und gestaltet, bekommt sofort eine elegante und plastische Form, mit glänzend verwirklichten Lösungen in Bezug auf Haltbarkeit und industrielle Fertigung.“¹
Jetzt zeigt die Galerie Patrick Seguin, die auf Mobiliar und Entwürfe von Charlotte Perriand, Le Corbusier oder auch Serge Mouille oder Jean Royere spezialisiert ist, im Jardin des Tuileries vor der Kulisse des Louvre den komplett aufgebauten Entwurf einer Schule, den Jean Prouvé 1949 mit seinem in Nancy beheimateten Büro für das Schulministerium in Paris realisierte.
Die École de Bouqueval war eine Art Mobilpavillon, der eine Schulklasse umfasste. Nach dem Krieg sollte an Zeit und Material gespart werden und so ersann Prouvé ein Modularsystem, das es ermöglichte, vorzuproduzieren und es relativ leicht und schnell aufzubauen ging. Für die Umsetzung war es wichtig, möglichst viel Transparenz, Licht und Luft hineinzulassen, sowie eine sinnvolle Art der Statik einzusetzen. Die Betonung der Belastungspunkte und die Besonderheiten des Materials waren für Prouvé zeitlebens die Aspekte, die ihn besonders interessierten und die für ihn das Design vorgaben. Dazu das Material: Aluminium in Verbindung mit Holz. Man muss beim Entwurf das Material fühlen und zum Material werden lautete eine seiner Maximen.
Der Stil und die Ästhetik von Jean Prouvé sind ein ganz eigener, der bis heute für industrielle Leichtigkeit steht. Für mich ist er ein verehrtes Genie, der Vieles vorausnahm, was zu seiner Zeit ungewöhnlich erschien und das ihm zum Teil wirtschaftliche Schwierigkeiten bereitete, bzw. die wirkliche Herstellung in großer Stückzahl verhinderte.
Die École de Bouqueval gehört zu den zwei Exemplaren, die tatsächlich realisiert wurden. Sie basiert auf Ansätzen von 1939, die Prouvé für die Ausschreibung des Schulministeriums entwickelte. Die zweite ging nach Ventoux in der Nähe von Metz.
Was man, entweder aktuelle auf der FIAC, aber auch auf Fotos wahrnehmen kann, ist die Materialversessenheit des Meisters. Obwohl preisbewusst und industriell gefertigt, geht es bei Prouvé um optimale Qualität und perfekte Details. Etwas, was bei den modernen Nachbauten leider manchmal zugunsten von Kommerzialisierung „weggeglättet“ wurde.
Hier noch ein kleiner Tipp: Vor kurzer Zeit besuchte ich das Tecta Museum in Lauenförde und berichtete hier darüber. Dort gibt es viele Originale von Prouvé zu sehen; zudem besitzt Tecta auch das Prouvé-Archiv mit vielen Originaldokumenten und Artefakten des Jahrhundertgenies.
Übrigens, wer die FIAC in diesem Jahr verpasst – sie findet natürlich auch im nächsten Jahr wieder statt. Und die Galerie Patrick Seguin kann man ganzjährig in der Rue de Taillandiers im 11. Arrondisment von Paris besuchen.
Bilder: Thomas Kuball
¹Christina Haberlik: „Der Architekt der Architekten. Vitra Design rekonstruiert auf seinem Werksgelände eine Tankstelle des Pioniers des industriellen Bauens Jean Prouvé.“ In: die tageszeitung, 18. Juli 2003
Siegmar
25. Oktober 2016 at 10:07Prouvé Arbeiten und Entwürfe sind schon sehr klasse, das sie wieder neu aufgelegt werden freut mich sehr. Sehrt schöner Bericht, lieber Peter 🙂
René
25. Oktober 2016 at 10:43Spannende Bericht, leider zu spät.
thomas
25. Oktober 2016 at 15:56Mein Peter kann einfach schreiben…und Sascha wie immer so toll die Bilder setzen – Danke Dir sehr dafür :o)
Was wäre man wohl gern zur Schule gegangen, aber leider hat diese grandiose Bauweise es nicht bis in den Norden Deutschlands geschafft und so bin ich jahrelang in einem von diesen langweiligen Papp-Mobilbauten unterrichtet wurde…mehr schlecht als recht, was aber wohl weniger an dem Gebäude lag…aber wer weiß ;o))
Lara
26. Oktober 2016 at 07:42ich will auch :]
thomash
27. Oktober 2016 at 21:26Ich weiß nicht, wer das gesagt hat, aber der Spruch passt hier ganz besonders, finde ich: Architektur ist Stein gewordene Musik. Das Gebäude ist so schön komponiert und es wird hier auch sehr schön beschrieben von Kempe, mal wieder : -)
Meine Schule war ein wilhelminischer Backsteinkasten, eher eine Lehranstalt wie beim “Untertan“. Aber es gab einen 50er Anbau mit zwei luftigen Treppenhäusern und Mehrzweck-Foyer und Klassenräumen mit großen Fensterbändern. Daran erinnere ich mich, wenn ich mir jetzt Prouvé und seine Schule angucke. Danke für den super Bericht und die tollen Fotos, die alles genauso super einfangen. So eine Türklinke hätte ich gerne : -)