Interieur

Tecta, Lauenförde – Die Herren der Stühle

Auf der zweiten Etappe meiner kleinen Designsommerreise – wo abseits der deutschen Metropolen wahre Schätze ruhen und Könner das kreieren, was die deutsche Wirtschaft so stark und innovativ macht – stoppen wir heute im kleinen Ort Lauenförde an der Weser. Dort hat nicht nur der Möbelhersteller Tecta seinen Sitz, sondern auch das Kragstuhlmuseum von Axel Bruchhäuser – eine der wichtigsten Sammlungen von Designklassikern des 20. Jahrhunderts.
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„Kragstuhlmuseum“ – der etwas verwirrende Museumsname erweist sich als ein Eldorado für die Fans von Designermöbeln mit vielen Urstücken, Prototypen und fast der geschlossenen Chronologie der Möbelentwicklung seit dem Dessauer Bauhaus. Lange, bevor Vitra und Co. Sammlungen anlegten, sammelte Axel Bruchhäuser, meist direkt von den Entwerfern, wie Marcel Breuer, Jean Prouvé oder Sergius Ruegenberg, dem Mann, der im Büro Mies van der Rohe für die Möbelentwürfe zu den Architekturprojekten zuständig war, alles, was an Exponaten, Zeichnungen und Dokumenten erhalten war.
So entstand neben dem größten Prouvé-Archiv eine Sammlung, die ihresgleichen sucht. Aber nicht nur, dass Bruchhäuser mit den Designern für Tecta zusammenarbeitet und neue Produkte entwickelt. Er knüpfte früh mit Gestaltern wie Stefan Wewerka oder Peter und Alison Smithson enge Bande, um aus den Designphilosophien, die Anfang der Zwanziger Jahre entstanden, das zu entwickeln, was heute noch zukünftig und richtungsweisend wirkt.
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Fortgesetzt wird bei Tecta – zusammen mit jungen Designern, wie Andree Weißert oder Wolfgang Hartauer – das, was den logischen Regeln von Design, Funktion und Ästhetik folgt und in Zukunft in unseren Wohnungen und Häusern stehen wird. Tecta ist weltweit, in Japan genauso wie in Korea, der Schweiz oder Deutschland, bekannt dafür, dass sich manufakturelle und handwerkliche Präzision und Design individuell verbinden lassen. Jedes neue Produkt, kommt es einem manchmal auch erst einmal avantgardistisch vor, wird mit der Zeit zum ewigen Klassiker. Dieses Phänomen liegt an der genialen Sicht der Unternehmer, die nicht nur eine Nase für Formen und Materialien haben und in unsäglicher Kleinarbeit den nächsten Millimeter an der Perfektion suchen, sondern auch an dem unendlichen Fundus, den das Museum und die Archive bieten. Sie sind auf dem gesamten Gelände und in den Firmengebäuden, die an eine Werkbundschule erinnern, verteilt. Den Ursprung hierfür lieferten die Gebäude, die von Tecta-Gründer und Architekt Hans Könecke in den Sechziger Jahren gebaut wurden. Verändert wurden sie von den Smithsons, bis sie jetzt renoviert und stilvoll ergänzt wurden.
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Gemeinsam mit seinem Neffen Christian Drescher führt Axel Bruchhäuser ein Unternehmen, das mit seiner mittelständischen Größe ein Garant dafür ist, nicht den Verlockungen des Massenmarktes zu erliegen, sondern kontinuierlich seine aus zwei Komponenten bestehenden Produktlinien herzustellen. Die Liste der Entwerfer ist ellenlang und die Pflege und die genaue Reproduktion von Bauhaus-Originalen steht im Gegensatz zur Zukunftsgestaltung von Möbeln mit neuen Entwerfern. Unterhält man sich mit Christian Drescher, wird einem die Liebe klar, die ihn mit dem Metier verbindet. Auf seine ruhige und zuversichtliche Art inspiriert er dazu, zur Qualität zu stehen und beharrlich Neues zu entwickeln.
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Axel Bruchhäuser ist in seinen Ansichten radikaler und entflammt nicht nur durch sein übergroßes Wissen und seinen mit reißenden Enthusiasmus. Er, ein Zeitzeuge der deutsch-deutschen Geschichte, ausgewiesen und enteignet in der DDR, baute sein Business unter schweren Bedingungen bei Könecke auf, bis er später den Betrieb übernahm. Er ist eine Instanz, die nie Produkte machen wollte, sondern eine Einstellung und Haltung lebenslang konstruiert und in den logischen Konsequenzen in Produkte umsetzt. Eine auf den ersten Blick elitäre und radikale Haltung, die nicht immer sofort kommerziell ist, die aber benötigt wird, um die Zukunft des Designs weiterzuentwickeln und den Weg für die Lebensweise der Zukunft zu ebnen.
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Was Bruchhäuser bis heute ersinnt und umsetzt, prägt nicht nur unsere Sichtweise auf Begriffe wie Stuhl oder Tisch, sondern inspiriert auch junge Designer dazu, teilweise um Jahrzehnte zeitversetzt, ihre Visionen zu verwirklichen.
Seine Begegnungen mit fast allen führenden Designern des 20. Jahrhunderts und seine unermüdliche Mission ließen meinen Besuch und die Gespräche zu einer Sternstunde werden. Offen erzählt mir Bruchhäuser etwas darüber, dass wir seit 3.000 Jahren, seit der Zeit der Pharaonen in Ägypten, falsch sitzen. Eine Beobachtung, an der er mit Stefan Wewerka intensiv arbeitete. Bruchhäuser zeichnet während unseres Gesprächs und schnell wird einem klar, dass einige Designs, die heute von anderen Firmen reproduziert werden, ein müder Abklatsch zugunsten von Kommerz sind und regelrecht auf den Markt geworfen wurden.
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Die Ideen sprudeln nicht nur aus Bruchhäuser heraus, sondern, ähnlich wie bei Karl Lagerfeld, nimmt er seinen Gesprächspartner als Sparringspartner wahr. Worthülsen und Anmerkungen werden sofort als Inspiration und Ausgangspunkt aufgenommen, um sie zu relativieren und in neue Grundgedanken und Zeichnungen umzusetzen. Er produziert ununterbrochen und die Sammlung, die man sich auf jeden Fall anschauen sollte, untermauert seinen permanent wachsenden Denkprozess. Wie Pavillons einer Weltausstellung, die sich in die Natur einfügen; von den Smithsons gezeichnet und konstruiert, bilden sie die transparente Hülle – gekrönt von „Flying Furniture“-Objekten.
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Einen kleinen Eindruck über die Kreativität von Tecta und Axel Bruchhäuser vermittelt ein Gespräch mit ihm, was wir nur zu gerne veröffentlichen:

Sie entwickelten mit Gestaltern wie Jean Prouvé oder Marcel Breuer ihre Entwürfe weiter. Waren die Gestalter eigen, was die Verbesserung oder Weiterentwicklung ihrer Ideen anging? 
Sie waren stolz und begeistert, wenn ihre Ideen richtig geschätzt, benutzt und umgesetzt wurden. Wir haben zum Beispiel mit Marcel Breuer, Jean Prouvé, El Lissitzky und Sergius Ruegenberg zusammengearbeitet. Breuer schrieb: „Macht weiter in meinem Sinne.“ Das betrifft zum Beispiel den faltbaren Wassily-Sessel D4 oder seine Liege F41 auf Rädern. Die Zeichnung der Liege wurde erst nach seinem Tod, 1981, entdeckt. Seine Frau Constanze Breuer sah unsere Umsetzung bei einem Besuch in New York, war gerührt und sagte: „Wenn mein Mann das noch erlebt hätte.“ 


Wie gingen die anderen Nachfahren mit dem Thema der Weiterführung des kulturellen Erbes ihrer Angehörigen um?

Nicht nur Constanze Breuer war begeistert, sondern vor allem Ati und Ise Gropius. Über vier Jahrzehnte gab es einen engen Schriftwechsel mit Ati Gropius, die uns leidenschaftlich begleitet hat, weil wir behutsam die Dinge im Geiste der Bauhaus-Gestalter weiterentwickelt haben. 

Oft vergingen Jahrzehnte vom Entwurf bis zur späteren Ausführung. Inzwischen gab es neue Materialien. Wie wichtig war es den Gestaltern, mit den damaligen Materialien und Methoden werkgetreu weiter zu arbeiten?
„Arbeite immer mit den neuesten Methoden und Materialien“, sagte Prouvé. Also immer aus der Zeit und ihren Möglichkeiten heraus – das war ihm wichtig. Jean Prouvé war begeistert von der deutschen Ingenieursarbeit, vom klaren, konstruktiven Denken. Ich hatte den Prouvé-Sessel nach der Skizze von 1930 realisiert und ihm vorgestellt. Er hatte keine Änderungswünsche und war froh, dass seine Idee zeitgemäß umgesetzt wurde. „Jedem Möbelstück muss eine konstruktive Idee innewohnen. Die Kernidee muss deutlich und stark sein“, sagte Prouvé. Es war eine gemeinsame Begeisterung, aus der dann auch 1987 das Tecta-Patent tube aplati nach der Idee von Prouvé entstanden ist. Egal, wer was macht, Hauptsache, das Endergebnis ist gut.

Wie haben Sie den gemeinsamen Austausch empfunden, was schätzen gelernt?
Am Beispiel von Jean Prouvé die konstruktive Denkweise. Von den Bauhaus-Gestaltern Gropius und Breuer die Denkschule, die Herangehensweise an das Material und seine Möglichkeiten.

Wie war es damals um Urheberrechte bestellt? Nahm man einfach zu Breuer oder Prouvé Kontakt auf und sagte: Ich möchte den Wassily-Chair produzieren? 
Man nimmt den Dialog auf, stellt seine Gedanken vor und hinterfragt die Entwürfe. Dann kommt es zur Zusammenarbeit und die Urheberrechte müssen geklärt werden. Es sind zum Beispiel Rechte des Bauhaus-Archiv Berlin oder der Kunstschutzgesellschaft in Frankreich zu beachten. Die Gestalter selbst waren deutlich unkomplizierter. Das Bauhaus Dessau hat im Buch „Ein Stuhl macht Geschichte“ geschrieben: „Der Stuhl hat Geschichte gemacht – Rechtsgeschichte.“

Was unterscheidet Tecta hinsichtlich der Patente oder Urheberrechte von anderen Unternehmen am Markt?
Etwa 30 unserer Möbel tragen das Bauhaus-Signet. Es wird von neutraler Stelle, dem Bauhaus-Archiv, vergeben. Für den Endverbraucher ist das Siegel eine gute Hilfestellung. Streng genommen muss das Signet vorliegen, damit es ein originales Bauhaus-Produkt ist und so seine Wertigkeit bestätigt wird.

Das Wort Design ist für Sie eine leere Worthülse. Wie ging es den Bauhaus-Gestaltern damit?
Ein Zitat ist stellvertretend: „Man muss das Bauen vom ästhetischen Spekulantentum befreien und wieder zu dem machen, was es ist: nämlich Bauen“, sagte Mies van der Rohe schon in den 1920ern.

Was war Ihr eigenes Anliegen, um sich mit dem Thema der klassischen Bauhaus-Möbel zu beschäftigen?
Die eigene Affinität zur Werte erhaltenden Zeitlosigkeit. Das Gefühl, etwas über den Tag hinaus im ideellen und ästhetischen Sinn zu gestalten. Ich wollte Dinge machen, die mir gefielen – da kam ich automatisch zum Bauhaus. Und dazu sagt El Lissitzky: „Gegenstände wachsen wie lebendige Organismen, nach den Gesetzen und dem Filter der natürlichen Auslese.“

Sie produzieren nach Kundenwunsch in eigenen Werkstätten. Ist diese Manufakturarbeit in Deutschland noch dauerhaft aufrechtzuerhalten?
Wenn die ästhetische Qualität, die Zeitlosigkeit stimmen, dann hat Manufakturarbeit in Deutschland immer eine Chance.

Was würden Sie anzetteln, wenn Sie ein Jahr im Unternehmen experimentieren dürften, ohne sich um die laufende Produktion kümmern zu müssen? 
Um es mit dem Bauhaus-Maler Paul Klee zu halten: „Alles Werden ist eine Form der Bewegung.“ Konkret kommen wir dann zu den Ideen von Heinz Rasch. Er entwickelte schon 1926 seine kinetische Vision. Der Mensch muss sich bewegen, auch sitzend, sagte er. Das Ideal – der Stuhl müsste den Bewegungen folgen, den Änderungen der Haltung nachgeben. Das hat mich inspiriert, die kinetische Stuhlidee weiter auszubauen. Das Thema beschäftigt uns weiter und ist noch lange nicht zu Ende. Alles ist in Bewegung. Evolution ist endlos.

Auf dem Gelände des Kragstuhlmuseums wird man von der Replik des Thrones von Karl dem Großen im Aachener Dom begrüßt. Ein Thron, der schließlich und endlich genauso nötig war, wie Karl Friedrich Schinkels Gartenstuhl, um den Barcelona Sessel zu kreieren.

Paul Klee brachte es 1922 auf den Punkt: „Die Synthese der Verschiedenheiten ist jeder höher entwickelte Organismus.“ Ein Besuch, der nicht nur die Lobpreisung der Individualität, Kreativität und des Designs wahr werden lässt, sondern auch an die Zukunft von Design „Made in Germany“ erinnert.

Die nächste Etappe meiner Reise führt dann nur ein paar Kilometer weiter zu einem Weltkulturerbe. Fortsetzung folgt …

Tecta Kragstuhlmuseum
Sohnreystraße 8
37697 Lauenförde

Öffnungszeiten
Do & Fr 10:00 – 12:00 Uhr &
14:00 – 17:00 Uhr
Sa 10:00 – 14:00 Uhr

Mehr Informationen: http://www.tecta.de/kragstuhlmuseum/

Sämtliche Bilder: Thomas Kuball; Gespräch: Tecta

  • Markus
    5. August 2016 at 11:15

    …..fantastischer Bericht und tolles informatives Interview. Ich liebe das Wort „Denkschule“.

  • Siegmar
    5. August 2016 at 11:46

    Ganz tolles Interview und natürlich ein wunderbarer Artikel von Peter Kempe. Ganz toll und jetzt werde ich endlich auch einmal hinfahren und sich das Stuhlmuseum ansehen.

  • Elke Kempe
    5. August 2016 at 14:12

    Toller Bericht von Peter,dazu die schönen Bilder von Thomas,sowas nennt man perfekt!!

  • Monsieur Didier
    6. August 2016 at 13:39

    …ich stimme aus vollem Herzen in den Kanon ein: „…ein wunderbarer, ganz „typischer“ Peter-Artikel..“
    wunderbar geschrieben, liebevoll, ausführlich, neugierig auf mehr machend…!

  • thomas
    6. August 2016 at 14:41

    Mein Peter
    Bin immer wieder so was von Stolz auf Dich!

  • Die Woche auf Horstson – KW 31/2016 | Horstson
    7. August 2016 at 11:50

    […] Um Stühle, vom Hersteller Tecta bis zur Ausstellung von Designklassikern, ging es bei Peter am […]

  • Sehenswert: FIAC Paris 2016 – École Jean Prouvé 1949 | Horstson
    25. Oktober 2016 at 09:07

    […] ein kleiner Tipp: Vor kurzer Zeit besuchte ich das Tecta Museum in Lauenförde und berichtete hier darüber. Dort gibt es viele Originale von Prouvé zu sehen; zudem besitzt Tecta auch das […]