Horstson fragt nach

Hallo Maria, lass uns über Wien als Modestadt und Heimat für Modeblogger reden …

An das Gefühl, mit einer Wiener Modebloggerin über die Stadt zu reden, in der ich geboren wurde, musste ich mich erst gewöhnen. Aber ihr wollt ja schließlich Aktuelles lesen …
Maria Ratzinger ist freie Modejournalistin, lebt in Wien und schreibt den Blog Stylekingdom. Mit ihrer Hilfe will ich herausfinden, ob Wien aktuell ein guter Nährboden für talentierte Designer ist und, ob es aus ihrer Sicht Unterschiede zwischen deutschen und österreichischen Modeblogs und deren Schreibern gibt.
Also lass uns loslegen, ich bin einfach zu neugierig darauf, wie sich Wien als Modestadt im 21. Jahrhundert präsentiert …
Daisydora: Was würdest du sagen, Maria, gibt es so was wie eine junge Modeidentität und -Szene oder läuft das Thema in den Medien, der Wirtschaft und im Bewusstsein der österreichischen Verbraucher eher so nebenher. Wer sind denn die Töchter und Söhne von Helmut Lang?

Maria Ratzinger: Helmut Lang ist ja bis dato der Über-Vater von allem, was mit zeitgenössischer Mode in Österreich zu tun hat. Und er wird ja auch dauernd zitiert. Überall. Das hat mit dem Traditionsempfinden hier zu tun und dass man per Mentalitätsnaturgesetz in Österreich länger lebt, wenn man tot ist. Bei Herrn Lang ist das biologisch natürlich nicht der Fall, aber den Rückzug aus der Modebranche kann man als solchen titulieren. Aus seiner konsequenten Nichtanwesenheit hat er sich zu einem Mythos entwickelt, der wie eine Monstranz der Modeszene herumgetragen und an „Feiertagen“ rausgebuddelt wird.
Dabei hat Helmut Lang sein Phänomen ja erst vor 20 Jahren gestartet. Für einen sphärischen Über-Väter ist das vielleicht doch eine zu kurze Wirkungszeit, als dass man ihn als Tradition herumreichen könnte. Aber so sind halt die Österreicher. Sie brauchen immer was zum festhalten. Egal wie aufgeschlossen, künstlerisch und freigeistig sie sind. Wer bei der Ära Helmut Lang im Dunstkreis dabei war, der hat einen Stempel für „Unsterblichkeit“ mit Geschmacksgütesiegel ergattert. Auf diesen Grundpfeilern von damals und dem ehrfürchtigen Verständnis, das daraus erwachsen ist, fußt heute noch sehr viel in der zeitgenössischen Modeszene in Österreich. Vor allem ästhetische Parameter. Leute, die aus dieser Ära stammen, sitzen in wichtigen Förderstellen. Das hat erheblich die Modeszene von heute geformt und ich möchte das jetzt nicht kritisieren, sondern neutral in den Raum stellen, um ein wenig die Verhältnisse zu skizzieren.

Wirtschaftlich gesprochen ist der Markt für zeitgenössische Mode eine Liebhaberei für eine Elite. Das kann man gar nicht beschönigen. Das österreichische Modebewusstsein der breiten Masse ist gleich Null und hat seit neuestem einen bizarren Trachten-Hype-Auswuchs, der im Boulevard abgefeiert wird. Alleine wie Mode in den Mainstream-Medien präsentiert wird, geht meist über krude Society-Berichterstattung nicht hinaus. Es gibt zwar eine Handvoll guter Modejournalisten, doch die machen leider das Kraut der Masse auch nicht fett.

Dabei verkaufen sich Designer, wie Ute Ploier oder Superated andernorts, wie in Asien, bestens. Sie sind aber auch gefördert worden, um den Sprung nach Paris zu schaffen und dort die Einkäufer und Fachmedien zu erreichen. Es ist zwar nicht unmöglich hier in Österreich als Designer Erfolg zu haben und dann durch eigenes Kapital zu expandieren, aber das ist schon eher die Ausnahme, die im Moment nur Lena Hoschek bildet. Falls jemand noch eine andere einfällt, kann er/sie mich gerne berichtigen.

Daisydora: Das ist natürlich amüsant, wie du die Österreicher liebevoll als Modegratler und Helmut Lang Anbeter abwatscht. Aber Talent stirbt ja auch abseits des Meisters aller Klassen nicht aus, es kann aber am Geldmangel in den früher besser gefüllten Fördertöpfen verdorrt sein.

Vor fünfzehn Jahren gab es eine Reihe toller Designer, die auch international verkauften, dann aber wegen des Wandels der Branche aufgeben mussten. Trotzdem: Designer wie Schella Kann, gibt es noch immer und zu solchen Labels gibt es selbst in Deutschland wenig Pendants, freier, sehr guter Designer, die schon so lange ihr Ding machen und eben nicht Jil Sander, Wolfgang Joop, Strenesse oder eines der Labels mit unbekanntem Designer wie René Lezard, Hugo Boss oder Escada, mit Konzernstruktur, sind.
Du siehst das mit dem Modebewusstsein glaube ich etwas zu kulturpessimistisch. Wenn ich die Wahl hätte zwischen einem High-Fashion-Flagshipstore in Berlin oder Wien, würde ich schon aus rein wirtschaftlicher Vernunft den in Wien nehmen. Wien ist eine geradezu bizarr reiche und aufgeräumte Stadt, in der man mit Mode sehr gute Geschäfte machen kann.

Maria Ratzinger: Was hat denn ein High-Fashion-Flagshipstore mit der Entwicklung einer vitalen, jungen Designszene zu tun? High-Fashion im Sinne von Labels wie Gucci oder Louis Vuitton? Da muss ich dir Recht geben. Aber da verwechselst du den Stil der Wiener, der weniger mit Geschmack, denn mit einer einzigen Prestige-Schau zu tun hat.

Daisydora: Mit diesem Beispiel wollte ich nur konterkarieren, dass Österreicher oder besser gesagt Wiener, angeblich kein Modebewusstsein hätten. Das hatte ich aus deinen Ausführungen herausgelesen. Und das stimmt so nicht, die Leute laufen nicht anders rum, als die in Berlin oder München oder Hamburg … naja, vielleicht tragen wir in Hamburg mehr Ringel-T-Shirts, aber sonst wird der so genannte Stil der breiten Masse heute ja von dem geprägt, was die großen Textilketten so raushauen und H&M und KIK haben in Wien das gleiche Sortiment wie in Berlin.
Warum trennst du ganz scharf zwischen High-Fashion Labels und der Mode von jungen Designern? Und wo hat man das mit dem Geschmack und der Begünstigung einer vitalen, jungen Designerszene denn deiner Meinung nach besser drauf? Mal abgesehen von den Grande Nations der Mode: Frankreich und Italien. Gibt es zur Zeit zu wenig Talente oder verkümmern die guten Designer aus anderen Gründen?

Maria Ratzinger: Alles klar! Sarkasmus angekommen 🙂
Ich konnte bis jetzt auch keine besonderen Unterschiede im Straßenbild einer deutschen Stadt zu einer österreichischen erkennen. Sogar eine Freundin, die in London wohnt, meinte einmal es gäbe in der britischen Hauptstadt auch prozentual gesehen nicht mehr besser angezogene Menschen als anderswo, es wären nur bei 8 Millionen Einwohnern im Endeffekt mehr und deswegen bestünde auch ein größerer Markt für junge Designer und eine Alternativszene. Der Gedanke hat für mich durchaus seine Berechtigung. Trotzdem bemerke ich als Wienerin hier schon starke Ressentiments gegen neues. Vor allem wenn es um das Experiment mit dem äußerem Erscheinungsbild geht. Der Ausdruck von Individualität ist sehr oft mit unerwünschtem „aus der Rolle fallen“ oder Lächerlichkeit konnotiert und diesen Eindruck bekomme ich umso mehr, wenn ich aus dem Ausland wieder zurück komme.

Zur Trennung zwischen High-Fashion und jungen Designern aus der Wiener Definition und im kommerziellen Schema heraus, als dass es bei großen Kaufhäusern – bis auf einige lobenswerte Ausnahmen in mittelgroßen und kleinen Concept Stores – keine heimische Labels angeboten werden. Natürlich ist diese Trennung an sich falsch.

Daisydora: ich wollte doch nur gucken, ob du innerlich vielleicht schon dreimal ausgewandert bist 🙂

Maria Ratzinger: Manchmal fühle ich mich schon im „inneren Exil“, aber ich habe von Freunden gehört, dass ich eine solch dauerhafte Querulantin bin, dass ich nirgendwo zufrieden wäre. 😉 Woran es wirklich liegen mag, ist ein vielschichtiges Problem. Ein Punkt, der viel zu wenig angesprochen wird, ist die Produktions- möglichkeiten für junge Designer. Erst in der November-Ausgabe der österreichischen Flair ist ein Interview mit Schella Kann in dem sie gefragt werden, wie sie es damals geschafft haben ein Label aufzubauen. Ihre Antwort: Es war damals viel einfacher, weil es „noch Schneiderinnen gab“. Durch das Verschwinden von Manufakturen ist unglaublich viel an Know-How weggebrochen. Die Infrastruktur baut sich jetzt erst wieder mühsam auf. Ich kenne Designer, die hier in Kleinserien zu annehmbaren Preisen produzieren, deswegen können sie aber noch lange nicht mit der Gewinnspanne von großen Marken mithalten. Wie perfekt österreichisches Handwerk sein kann, merkt beispielsweise wenn man einen Hut von Mühlbauer in der Hand hält oder sich Schuhe von Ludwig Reiter ansieht.

Um hier aber nicht immer schwarzmalend rüberzukommen, muss ich anmerken, dass hier in den letzten drei Jahren auch im kommerziellen Bereich etwas Bewegung in die Sache kommt und man sich mehr für österreichisches Design interessiert. Ob die breite Masse sich je ein Stück davon in den Kasten hängen möchte (mal abgesehen vom Können) wage ich aber zu bezweifeln. Aber ich denke das geht vielen Modeszenen in anderen Ländern auch so.

Daisydora: Das Handwerk ist in der Tat sehr wichtig. Ich dachte, die tollen Schneiderinnen kommen seit eh und je von der Herbststraße. Ist das denn nicht mehr so?

Die schwierige Lage der Designer könnte in Österreich wie in Deutschland allerdings auch daran liegen, dass manchen Labels leider abseits von netten Ideen in deren Kollektionen die Marktreife fehlt. Nicht alle Designer beherrschen das Handwerk, haben gute Schnitte, die sitzen, achten penibel auf tolle Verarbeitung und dann entsteht da ganz schnell ein Bild, dass Klamotten von Jungdesignern teuer sind, aber das Geld leider nicht wert.

Bei der Aussage von Schella Kann musste ich auch ein wenig schmunzeln. Damals hat sich das Modesekretariat mit den schwindelerregenden Budgets, die aus dem Hut der tollen Außenhandelsorganisation in der Wirtschaftskammer gezaubert wurden, einfach um alles gekümmert. Da wurde die Werbung mit tollen Models von Steven Klein oder Michel Haddi fotografiert und die Presse sowie alle Chefeinkäufer in den wichtigsten Fashion Stores und Department Stores bekamen ihre Vorab-Information, einen High-End Katalog mitsamt Showeinladung zugeschickt. Die Show der österreichischen Designer im New Yorker Plaza wurde mit einem dreiseitigen Teaser in der WWD angekündigt, Suzy Menkes und Polly Mellen saßen drinnen … Ich schätze, das hat auch etwas genützt, aber dieses surreale Fördermittel-Schlaraffenland für Designer gibt es nicht mehr.

Das, was Maria dazu und zu allem Weiteren aus Wien noch an erhellenden Aussagen gemacht hat, lest ihr dann sonntags im langen zweiten Teil.

Da gibt es dann auch noch so ein kleines Wien Special mit Tipps von mir dazu.

  • Johan
    19. November 2011 at 12:43

    interessantes/authentisches Interview. Schön zu lesen das sie Profi ist!

  • Mangoblüte
    19. November 2011 at 13:04

    sehr spannend und macht lust auf mehr! freue mich schon auf Sonntag!

  • saint jimmy
    19. November 2011 at 15:10

    Liebe Daisydora! Danke für dieses Interview. Könntest du zu den oben angeführten Fragen auch jemanden interviewen, der von dem Thema EINE AHNUNG HAT und ohne den raunzerische Plattitüden auskommt? Bitte um intesivere Recherche !Besten Dank !

  • Daisydora
    19. November 2011 at 15:33

    @saint jimmy

    Lieber Saint Jimmy,

    wenn du den zweiten Teil des Gespräches bitte noch abwartest, können wir uns danach sehr gerne unterhalten.

    Wir sind ja über jeden Erkenntnisgewinn froh und selbstverständlich kann so ein Gespräch nicht alle Aspekte und Details mit einschliessen.

    Morgen Abend kommt der zweite Teil. 🙂

    @Mangobluete und @johan

    Danke für das nette Feedback 🙂

  • UniversitySheep
    19. November 2011 at 16:28

    Interessanter Post!

    http://universitysheep.blogspot.com/
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  • Horstson » Blog Archiv » Hallo Maria, lass uns weiter über Wien als Modestadt und Heimat für Modeblogger reden…
    20. November 2011 at 19:02

    […] gestern gab es ja den ersten Teil zu lesen und nun geht es weiter mit dem zweiten Teil des Gespräches. Maria Ratzinger kennt die […]