Mit großer Spannung wurde während der Haute-Couture-Woche der Premierenkollektion bei Christian Dior entgegengesehen, die in vieler Hinsicht bemerkenswert ist. Denn nachdem Maria Grazia Chiuri als neue Designchefin von Valentino zu Dior wechselte und ihre erste Prêt-à-porter für das Frühjahr 2017 in relativ kurzer Zeit kreieren musste, konnte sie sich auf die Haute Couture mit mehr Zeit vorbereiten.
Nicht nur, dass sich alle Welt fragte, wie die erste Frau, die für die Entwürfe des Hauses verantwortlich ist, die Dior-Frau sieht; Maria Grazia Chiuri muss auch den Vergleich mit ihren Vorgängern bestehen, die verschiedene Interpretationen der Philosophie des Begründers ablieferten. John Galliano stand für Opulenz und großes Theater, Raf Simons hingegen für Design, pure Umsetzung der Dior-Heritage und Brüche mit cleaner Linie.
Genau vor 70 Jahren, am 12. Februar 1947, hatte Christian Dior seine berühmte „La Ligne Corolle“ den von der amerikanischen Presse betitelten „New Look“ vorgestellt, der ihn im Handumdrehen zum berühmtesten Modeschöpfer der Nachkriegszeit werden ließ.
Christian Dior träumte nach entbehrungsreichen Zeiten davon, dass Frauen mit schlanker Taille und langen Röcken in einer Art modernisierter Fassung der Garderobe seiner eleganten Mutter wieder die gesellschaftliche Eleganz entdeckten. Sein „Tailleur Bar“, genäht von dem jungen Pierre Cardin, bildet, genau wie die schwarzen Taft-Abendkleider und die Cocktailkleider mit Kuppelsilhouette, bis heute die Codes des Hauses.
Viele Geschichten und Hunderte der Modelle, die Christian Dior bis zu seinem plötzlichen Tod im Jahr 1957 kreierte, sind Legenden. Jede Saison änderte er die Linie und gab jeder der Kollektionen Namen die um die Welt gingen und die die Mode umkrempelten. Mal gingen die Rocksäume hoch oder runter, mal betonte er die Schultern und die Taille. Mit der A- und H-Linie von 1954 stiftete er große Unruhe, weil er sie binnen kürzester Zeit umwarf. Christian Dior liebte Blumen, sein Glücksbringer waren Maiglöckchen und er verwendete bei seinen Kollektionen leidenschaftlich gern Stickereien, die Kleider zu ganzen Gärten werden ließen.
Dass Christian Dior nicht nur ein Träumer, sondern auch eines der größten Talente des 20. Jahrhunderts war, beeindruckte Maria Grazia Chiuri so sehr, dass sie sich tief mit den Kreationen und den Materialien des Gründers befasste. Ihre Haute Couture ist eine Hommage an viele der besten Entwürfe von Christian Dior. Als Frau geht sie genau darauf zurück, was das Alleinstellungsmerkmal des Hauses ausmacht – der Glamour der Endvierziger und Fünfziger, die großen Abendroben und die Welt der Inspirationen die Dior bei seinen intellektuellen Freunden bekam.
Das Dekor der Schau im Musée Rodin glich einem Zaubergarten, der in französischer Manier wie ein Labyrinth, aber mit der Attitüde eines Feengartens, auf grünen Samtkissen dazu einlud, auf den Hecken Platz zu nehmen. Eine Atmosphäre, die an die großen Bälle, aber auch die Inszenierungen von Diors Freunden, Jean Cocteau und Christian Bérard, erinnerten. Schon mit diesem Setdesign setzt Maria Grazia Chiuri ein Zeichen: Sie will Dior in eine luxuriöse und träumerische Welt zurückbringen – etwas, was die Kunden bei der Haute Couture, die eine wichtige wirtschaftliche Rolle im Haus spielt, erwarten.
Das bei Dior in den letzten Jahren sehr verjüngte Couture-Klientel will auch im Jahr 2017 in dieser von aufwendigsten Handwerk, Material und Verarbeitung Luxus geprägten Kollektion das haben, wo wirklich der Dior-Spirit drin steckt und nicht nur draufsteht. Tagesgarderobe sucht man eher in der Prêt-à-porter, die Ateliers liefern viele Hochzeits- und Anlasskleider aus.
Und dieser Spirit wird vom ersten Modell, der – es sei gleich vorweggenommen – atemberaubend schönen und weiblichen Kollektion sofort sichtbar und spürbar. Fast bei jedem der Durchgänge eine Reminiszenz an die Legenden des Hauses und mit dem unnachahmlichen Stil, den Maria Grazia Chiuri in dem Zeitgeist entsprechende, moderne Haute Couture übersetzt. Obwohl sie selbst emanzipiert ist und italienisch-sportlich erscheint, schafft sie es, in einer Saison alles, was Dior so pariserisch und französisch ausmacht, aus den Handwerkern herauszuholen und ein raffiniertes, aber in keiner Weise lautes Bild zu erzeugen.
Die Kostüme der ersten Durchgänge wirken wie Reinkarnationen der „Tailleurs Bar“ und an die erste Winterkollektion 1948. Sie spielt mit taillierten „Grain de Poudre“-Jacken, die die Hüften betonen und mit züchtigen Revers – wie bei einem Smoking – ausgestattet sind. Schneiderkostüme, die mit Satin oder Samt besetzt sind, als Kleid, mit Cape oder Kapuze zu langen, an die Knöchel reichenden Röcken die Rückkehr der Wurzeln symbolisieren. Obwohl fast sakral-schlicht nur in Schwarz gehalten, repräsentieren sie genau die Eleganz, von der Frauen in der Haute Couture träumen und repräsentieren auf einen Schlag 70 Jahre Dior-Tradition mit ungeheurer Aktualität. Zarte, fast transparente Masken eröffnen den Ball und fast die gesamte Frühlings-Couture, bis auf wenige Ausnahmen, wie einem Hosenanzug mit lässiger Galonhose, besteht aus Cocktail- und Abendkleidern.
Sehenswert waren die schlichten Frisuren, die mit Haarreifen Erinnerungen an die Fontane (eine hohe, über einem Gestell aus Draht aufgebaute Haube) des Hofes wach werden ließen. Der Höhepunkt der Reminiszenz an Christian Dior ist ein Modell, dessen Gesicht von floralen, mit Satinbändern aus Mohn und Sommerblüten umspielt wird. Ein Motiv, das Christian Diors Freund, der Maler Marcel Vértes, genau so zur Befreiung Frankreichs durch die Alliierten zeichnete.
Sehr schön die Plissees, gefertigt in den Ateliers von Lognon, der Chiffon und der dunkelblaue und schwarze Samt. Weitere Highlights waren die kunstvoll drapierten Fächerplissees, die Klatschmohnstickereien und die floralen Bouquets – alles très Dior im Stil von Maria Grazia Chiuri. Auf nachtblauem Samt schwimmt ein großer goldener Pulpo wie bei einer Nixe vorbei, kunstvolle Krakelee-Stickereien überziehen ein messingfarbenes Fin-de-Siècle-Kleid. Das französische Abendcape, ein Liebling von Christian Dior, ersteht neu in schwarzem Samt und in zartem grünem Chiffon und kommt bestickt mit Glücksklee eine Sommerfee daher.
Maria Grazia Chiuri schafft es, Opulenz bemerkenswert schlicht erscheinen und Traumroben auferstehen zu lassen, die nicht prätentiös wirken. Drapierter Chiffon unter einem in vielen Volants gelegtem Dégradé-Cape knüpfen unmittelbar an die große Couture-Zeit der Fünfziger an und werden sicherlich auch von modernen Dior-Prinzessinnen fleißig geordert werden.
Mit der großen 1924 geborenen Künstlerin Claude Lalanne, die gemeinsam mit ihrem Mann François legendäre Designs geschaffen hat und lange mit Yves Saint Laurent zusammenarbeitete, erschuf sie paradiesischen Schmuck, der Schlangen und große Blüten um die Hälse der Models sich winden lässt oder dekorativ die Arme schmückt.
Am Abend nach der Schau veranstaltete Dior einen Maskenball im Musée Rodin, der nicht nur eine Hommage an die gelungene Kollektion von Maria Grazia Chiuri war. Der Ball setzte mit seinen Einhörnern und fantasievollem Treiben das Zeichen, dass mit Maria Grazia Chiuri genau das wieder in das Haus in der Avenue Montaigne eingezogen ist, was die DNA von Dior ausmacht. Den Frauen die romantischen Träume zu geben, die den Alltag ganz weit entrücken lassen und von der jedes kleine Mädchen träumt. Glamour ohne Kitsch – Bravo Maria Grazia Chiuri!