Interieur

Peter’s Cutting’s – Zu Besuch in Cocos Apartment

Mancher Ort hat etwas Magisches und Faszinierendes und verrät viel über seine Bewohner.
Ein solcher Ort ist ohne Zweifel das Privat-Appartement von Coco Chanel in ihrem Modehaus in der Nummer 31 der Rue Cambon in Paris. Nicht nur, dass es relativ ungewöhnlich ist, dass die Modeschöpfer über ihren Geschäften wohnen – das erstaunliche ist, dass seine Bewohnerin schon 1971 verstorben ist, das Haus und die Geschäftsräume etliche Male erweitert und umgebaut wurden, das Appartement aber heute noch im Original-Zustand erhalten ist.
Nur zum Schlafen ging Mademoiselle früher abends in ihr Zimmer im gegenüber liegenden Hotel Ritz. Am Tag hielt sie sich hinter den Spiegeltüren auf, die kaum merkbar für die Mitarbeiter, zu ihrer Wohnung über den Couture Salons im zweiten Stock führen.
Letze Woche hatte ich die einmalige Gelegenheit, die Wohnung zu besichtigen und mich einen Nachmittag lang darin auf zu halten, ein mystischer Ort und ein besonderes Erlebnis, denn kaum ein anderer Ort der Mode ist so Symbol geprägt und atmet noch heute den Geist seiner Besitzerin.

Steigt man die berühmte verspiegelte Treppe hinauf zum Couture-Salon im ersten Stock, sieht man schon die etwas steiler werdende Treppe, auf der Mademoiselle früher saß, wenn die Mädchen die Kleider vorführten und heute die exklusiven Kundinnen aus aller Welt zum Maßnehmen ein und aus gehen.
Auf dem Treppenabsatz, wo es zu den Ateliers geht, öffnet sich wie von Geisterhand einer der Spiegel und lässt einen Eintreten in eine wie verzaubert wirkende Welt. Früher ruhte sich Mademoiselle dort aus oder gewährte ihren wenigen Freunden – wie den Gebrüdern Mille, den Wertheimers oder den Marquands – Einlass zum Abendessen.

In der Regel erschien Coco erst gegen Viertel vor eins am Mittag in ihrem Geschäft. Morgens war sie nach unruhiger Nacht damit beschäftigt, sich anzukleiden, zu baden und die wichtigsten Punkte des Tages mit ihrer Sekretärin Lilou durch zu gehen.
Alles in diesen Räumen ist bis auf wenige Ausnahmen noch genau wie zu Lebzeiten Mademoiselles und jedes der Möbelstücke und Accessoires ist eine Ikone. So werden die drei Räume durch riesengroße, in dunklen Schwarz-,Rot- oder Grüntönen gehaltene Coromandel-Wandschirme umkleidet. Die Wandschirme hatte Coco Chanel in den Zwanzigerjahren auf Empfehlung ihrer Freundin Misia Sert gekauft und von ihrer damaligen Wohnung im Faubourg Saint-Honoré in die rue Cambon mit gebracht.
Die Möbel, alles stilechtes Louis XV. sind mit Sandbeigem Veloursleder bezogen und einer der Sessel mit einem kostbaren Aubusson-Gobelin.

Das berühmte Saharafarbene Steppsofa, das als Inspiration für die zum unverwüstlichen Klassiker gewordenen 2.55 er Handtasche diente, steht noch genau an dem Ort, an dem es immer stand … und lud uns auch bei unserem Besuch zum verweilen und inspirieren ein.
Daneben die Tische mit den kostbaren Andenken und den Liebesgaben von Künstlern. Neben der Bronzehand des Künstlers Diego Giacometti steht eine kleine Schäfergruppe von Fabergé, über und über mit Edelsteinen besetzt.
Ein kleiner Käfig mit einem Perlen-Vogel war stets ihr Glücksbringer. Auf dem Tisch kostbare Golddosen, die ihr Bend’Or, der Duke Of Westminster schenkte, als sie ein Paar waren. Kristallkugeln aus Bergkristall lassen mich darüber nachdenken, ob darin wohl Chanel die neuen Kollektionen hervortreten sah? oder den unbändigen Ruhm ihres Hauses nach ihrem Tod voraus sehen konnte?
Visionär war sie auf jeden Fall und mit einmaligem Geschmack ausgestattet. Sie sagte einmal über Innenarchitekten, dass sie sie nicht bräuchte und wenn sie guten Geschmack sehen wollten, sollten sie einfach in die rue Cambon kommen. Davon konnte ich mich en Detail an diesem Nachmittag überzeugen.

Die Tische sind mit den glücksbringenden Ähren des Weizens geschmückt und in einer Ecke steht ein kleiner Glastisch mit Seerosen, die die Glasplatte tragen, die Lalannes haben ihn gemacht, als keiner sie kannte und noch niemand an sie glaubte. Heute sind sie selbst ein Mythos.
Der Teppichboden des gesamten Appartements ist so weich, und man gleitet über ihn wie barfuß durch den Sand – in einer unendlichen Wüste des Wohlgefühls.
Überhaupt fühlt man sich in den Räumen wie verzaubert. Der Geist der Besitzerin schwebt noch über allem. Ich nahm am Schreibtisch von Mademoiselle Platz, einem klassischen Sekretär des 18.Jahrhunderts und beim Blick über das von ihr so geliebte Löwenbild in einem venezianischen Goldrahmen, kam es mir ein bisschen wie Frevel vor, aber ich fühlte auch so etwas wie ihr humoriges Zwinkern, das mir deutete, dass sie sich vielleicht über den Besuch gefreut hätte.
Ihre Bordeauxrote Uhr tickt immer noch vor sich hin und wäre es nicht 2012, dächte ich, dass sie aus den Anproben kurz durch die Tür lugt und mich fragt, wo ich bleibe.

Nur ganz wenige Dinge sind nach ihrem Tod entfernt worden, weil man sie als nicht konservierungswürdig erachtete, so zum Beispiel ihr Telefon und der geliebte Fernseher, dessen Platz auf einer Marmor-Konsole nun frei bleibt. Chanel liebte es Fern zu sehen. Es war ihr Fenster in die Welt, denn außer in die rue Cambon fuhr sie jeden Sommer in die Schweiz. Basta.
Ihr Esszimmer besteht aus einem Tisch aus dem 17.Jahrhundert, Muschelsalzfässer und vergoldete Löwen bilden die Dekoration. Sie liebte einfaches französisches Essen, auch dort haben wir etwas gemeinsam. Während der Kollektionszeit reichten ihr ein paar Tassen Tee am Tag, der Fokus lag auf der Arbeit, um ihr Werk und den Mythos voran zu treiben.

Immer wieder und wieder durchschreite ich ihre Räume und manchmal ist es, als spürte ich ihren Atem in meinem Nacken, alles ist sie, alles spricht ihre Sprache. Drei Dinge kapiert man ganz schnell :Wäre es ein Konzern und kein Privat-Unternehmen, wäre diese Zimmerfolge sicherlich längst einem Vorstandsvorsitzenden-Büro gewichen. Das ist halt der Vorteil einer Privatfirma, in der die Inhaber aufpassen.

Das zweite, wo andere Firmen teures Marketing erfinden müssen, hat Chanel allein in diesen drei Räumen mehr Symbolkraft und die Wurzeln zu ihrem Stil gelegt, wie man sich das nicht in der tollsten Werbestrategie ersinnen könnte.
Und schließlich abschließend begreift man ganz schnell, als tippte sie einem auf die Schulter, Chanel war das Non plus Ultra und wenn man jeden Tag nur einen klitzekleinen Zipfel aus der rue Cambon und ihres Stils in seinen Alltag trägt, ein wenig von ihrer Haltung weiter transportiert, erleichtert es einem die Auswahl zu treffen, zwischen dem was unnötig ist, und dem, was die Welt verschönern kann.
Ich habe ihn sehr genossen, den Nachmittag in der rue Cambon, in den Räumen von Coco Chanel … und eine Menge für das Leben gelernt. Tausend Dank an die alte Zauberin Coco.

  • Sina
    30. Januar 2012 at 09:19

    OMG wie schön 🙂

  • Dana Li
    30. Januar 2012 at 09:50

    Traumhaft! Ich möchte das Apartment auch mal besichtigen… irgendwann vielleicht…

  • Daisydora
    30. Januar 2012 at 11:19

    Ein ganz wunderbarer Besuch in diesem Appartement, sehr anrührend und mit Bewunderung geschrieben …. 🙂

  • Siegmar
    30. Januar 2012 at 14:05

    Ach Peter, wie hast Du es angestellt da rein zu dürfen? Das ist wirklich beneidenswert das du das sehen durftest ( ist das im Spiegel Thomas?) ganz wunderbarer Artikel. Danke

  • peter kempe
    30. Januar 2012 at 14:27

    @siegmar
    ja das war ein ebsonderer nachmittag in meinem leben….das muss ich dir nicht sagen genau thomas ist im spiegel und den hab ich als photographen eingeschmuggelt….undd amit er mich bei eventuellen ohnmachtsanfällen stützen konnte:-)))liebe grüße aus hamburg!!!

  • Renate
    30. Januar 2012 at 15:56

    Peter, ganz zauberhaft und ich hätte zu gerne mit dir getauscht!

  • Mike York
    30. Januar 2012 at 18:47

    nicht nur das ich richtig eifersüchtig gerade bin, aber auch richtig toll geschrieben dass man es sich auch super vorstellen kann!

  • thomas
    30. Januar 2012 at 19:29

    sehr schön! für jedermann ist die wohnung aber sicher nicht geöffnet, oder?

  • Carrie
    31. Januar 2012 at 11:39

    Schön das Du uns bei Deinem Besuch mitgenommen hast Peter !

  • FrauFritz
    31. Januar 2012 at 13:06

    Und Tausend Dank an Peter, für den schönen und informativen Artikel.

  • Horstson » Blog Archiv » Peter’s Cuttings – Our House in the Middle of the Street
    2. Juli 2012 at 09:16

    […] die das Allerheiligste von Chanel verbirgt – das Appartement von Mademoiselle Chanel (Horstson berichtete). Alle bis heute gültigen Metaphern und Zeichen, die den Chanel Stil ausmachen, sprechen aus […]