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Peter’s Cuttings – Our House in the Middle of the Street

Heute ist es wieder soweit – es ist Haute Couture Woche in Paris und Karl Lagerfeld stellt wie seit fast genau dreißig Jahren (am 5.Februar 1983 stellte er seine erste Chanel Kollektion vor) die Couture Kollektion für Herbst-Winter vor. Unter dem verheißungsvollen Titel New Vintage wird im Grand Palais das Defilee stattfinden und wir werden ausführlich darüber berichten.

Alles was dort gezeigt wird, entsteht nur einige hundert Meter davon, im Zentrum von Paris, in der Rue Cambon Nummer 31. Chanel hält es seit 1919 vom Keller bis zum Dach besetzt und hat Ende der zwanziger Jahre die Nummer 29 noch dazugenommen. Eigentlich gar nicht so groß, denkt man wenn man davor steht, immerhin eine der größten in Privathand befindlichen Modehäuser beherbergend, schlängelt sich das Haus in unendlichen Tiefen über mehrere Höfe bis zur Rue Duphot. Hier schlägt seit fast einem Jahrhundert das Herz der weiblichen Mode und seiner unzähligen Helfer.

Die Rue Cambon ist wie ein Bienenstock und im Erdgeschoss ist heute fast alles Boutique um die Angebote des Prêt-à-Porter, der Accessoires und die Welt der Chanel Kosmetik zu präsentieren. Früher war das Haus ein richtiges Hôtel Particulier, wie man es auf dem Foto des berühmten Pariser Chronisten Eugène Atget um 1890 sieht. Das große Tor, seit den zwanziger Jahren der Aufgang zu den Couture Salons, dem Apartment von Mademoiselle und den Ateliers und Werkstätten, war früher die Durchfahrt für die Kaleschen und Kutschen und dort, wo sich heute ein Großteil der Boutique befindet, standen in Remisen die Wagen und die Pferde.

Lässt man das Raunen und das Summen der Verkaufsräume, die am Abend nach einem Gemisch aus den Parfums und Tuberosen duften, steigt man die Treppe in den ersten Stock hinauf, in der vor zehn Jahren der große Vorführsalon umgestaltet wurde.
Seit Mitte der achtziger Jahre ist der Andrang der Modenschauen zu groß geworden, um ihn im eigenen Haus zu zeigen. Früher, als es nur Couture gab und die Welt noch nicht so globalisiert war, saßen bei der Premiere auf Thonet Stühlen die Damen und Herren der Presse und die Kundinnen. Dichtgedrängt auf den Treppen und jedem Winkel die Lieferanten, dass Personal und die Zulieferer. Mittlerweile hat man die gesamte Couture Ebene in bequeme, Zimmer-große Kabinen umgewandelt und lichte Anprobensalons geschaffen. Peter Marino hat mit Möbeln von Christian Liaigre und Baccarat Lüstern ein helle, einladende Atmosphäre geschaffen. Wenn keine Kunden-Termine gemacht sind, werden hier auch Defilees vorbereitet oder auch die eigene Modenschau für die Mitarbeiter und Direktricen finden hier unmittelbar nach den großen Spektakeln im Grand Palais oder Pavillon Cambon statt.

Schon auf dieser Etage gibt es ein unendliches Labyrinth, hinter den repräsentativen Räumen und Büros über Büros von Presseabteilungen und den einzelnen Departements schließen sich an. Steigt man die legendäre Spiegeltreppe weiter hoch, gelangt man vor die Tür die das Allerheiligste von Chanel verbirgt – das Appartement von Mademoiselle Chanel (Horstson berichtete).
Alle bis heute gültigen Metaphern und Zeichen, die den Chanel Stil ausmachen, sprechen aus diesen Räumen und würde man ein Haus wie einen Körper aufteilen, wäre dies sicherlich die Seele.

Vorbei am Appartement, ein paar Stufen weiter hinauf gestiegen, kommt die letzte Etage, die genauso großzügig wie die unteren ist. Hier wird in den Studios Chanel die gesamte Konzeption der mittlerweile acht Kollektionen des Hauses, nebst den vielen Linien von Accessoires, Schuhen und Taschen, geschaffen. Hier sitzen die Mitglieder des Studio-Teams und koordinieren von der Zeichnung, über die Anproben bis zu den Zulieferern alles bis Baustein für Baustein aus einer Grund-Idee von Karl Lagerfeld ein kompletter Look und schließlich eine ganze Kollektion wird.
Während der Entstehung der neuen Linie werden auch alle Accessoires gesammelt, um schließlich, wenige Tage vor der Schau, wie aus einem Füllhorn heraus den einzelnen Durchgängen und Outfits zugeordnet zu werden. Die große Accesoirisation findet dann auch hier seinen Abschluss, bevor alles in den Keller geschickt wird um dann von den Chauffeuren und Expedienten verladen zu werden.

Über der dritten Etage geht es dann wesentlich ältere, schmalere und „verwinkeltere“ Treppen hinauf, die zunächst zu den Ateliers Flou (Kleider, Abendkleider und alles was aus fließenden Stoffen ist) und Tailleur (Kostüme, Mäntel) führen. Darüber dann verzweigte Stiegen, die zu den Dach-Ateliers führen, wo viele Schneiderinnen und ihre Gehilfen Schnitte erstellen, Stoffe zuschneiden und für die Couture auch noch Arbeitsplätze für die zusätzlichen Handwerker sind, die zu Stosszeiten (eine Couture Kollektion wird in wenigen Wochen erstellt) als freie Mitarbeiter zu Chanel in die Ateliers kommen.

Überall im Haus spürt man den Stolz und die Würde, die dieses Metier ausstrahlt und Chanel ist eigentlich von seiner Aufteilung wie der Prototyp eines klassischen Modehauses. Abseits von Medienrummel und der Weltbekanntheit der Marke schlägt sein Herz immer noch trotz einiger Umbauten so wie in Vorkriegszeit, wo die Kundinnen, die aus Amerika kamen, teilweise bis zu drei Wochen im gegenüberliegenden Ritz wohnten, um alle Anproben zu machen.

Obwohl Chanel es gut beherrscht, besonders in den von Peter Marino ausgestatteten Boutiquen einen großen Teil des Spirits der Rue Cambon zu transportieren, gibt es keinen Ort der so ‚Chanel‘ ist, wie dieses Haus. Es ist das Haus in der Mitte der Rue Cambon, wo man meinen könnte, dass die Eleganz, der Witz und der Esprit der Mode geboren sein könnten und der den Geist atmet, der einen immer wieder aufs Neue fasziniert. Für mich ist das Haus in der Mitte der Strasse ein verzauberter Ort, den ich seit dreißig Jahren immer wieder gern besuche und die Inspiration die er verströmt ist unendlich. Wenn ich vor der Tür stehe, gehen dutzende faszinierende Kollektionen vor meinen Augen ab. Vielleicht liegt das Geheimnis des Erfolgs auch ein bisschen an der Adresse und dem Haus in der Mitte der Rue Cambon. Mal sehen was als nächstes kommt…

  • Monsieur_Didier
    2. Juli 2012 at 09:37

    …es ist wirklich unglaublich, wenn man bedenkt wie gigantisch groß und Erfolgreich Chanel geworden ist.
    Und sie beherrschen die Kunst einfach perfekt, „trotz allem“ Chanel als eine sehr persönliche Firma erscheinen zu lassen. Immer wenn ich an Chanel denke fällt mir als erstes Chanel Couture ein und ich habe den Eindruck, dass alles intim und persönlich ist. Die alles umspannende Größe zeigt sich dann bei den Modenschauen…
    ich glaube, kein anderes Haus leistet sich derart große und oppulente Schauen…

    …danke für diesen Artikel und den kleinen Einblick hinter die Kulissen…
    ich muss gerade an die 5.-teilige Vorabend – Doku auf Arte denken…

  • Siegmar
    2. Juli 2012 at 10:30

    ein ganz wunderbarer Artikel über dieses grossartige Haus. Chanel ist eben besonders und ich dachte an den Artikel wo du in den Privaträumen von Coco Chanel gewesen bist.

  • Dani
    2. Juli 2012 at 11:22

    Danke für den schönen Artikel! Ich dachte gerade an Justine Picardies Chanel – für jeden Fan des Hauses Pflichtlektüre.

  • Monsieur_Didier
    2. Juli 2012 at 20:24

    …lieber Peter, durch Dich habe ich „Coco Chanel hat mir erzählt…“ von Lilou Marquard entdeckt und mir direkt antiquarisch bestellt…

    so viele großartige Geschichten…
    Danke noch mal dafür…!

  • peter
    3. Juli 2012 at 09:34

    @monsieur _didier

    genau nun weißt du acuh warum sie auch ein müllkutscher hätte sein können und ich mich trotzdem neben sie gesetzt hätte!!!

  • Horstson » Blog Archiv » Die Woche auf Horstson
    8. Juli 2012 at 11:59

    […] eine Journalistin in Anlehnung an Wowereits Worte beschrieb. Und hier der Wochenrückblick: 1) Our House in the Middle of the Street – Peter berichtet üüber das legendäre “Chanel Haus” in Rue Cambon […]