(Bild: Montblanc)
Handwerk verstehen – Zaim Kamal, Kreativdirektor von Montblanc, ist mit seinem Designteam für sämtliche Produktbereiche des Traditionshauses verantwortlich und pendelt wöchentlich zwischen den Manufakturstandorten Italien, Deutschland und Schweiz. Anlässlich der 110. Jahresfeier von Montblanc sowie der Präsentation der Jubiläumskollektion „Rouge & Noir“ (den umfangreichen Bericht gibt’s hier zum Nachlesen) habe ich den vielbeschäftigten Londoner für Horstson zum Gespräch getroffen. Ein äußert sympathischer Mann mit höchstem Anspruch an sich und seine Arbeit. Worauf er achtet, wenn er neue Mitarbeiter sucht und welchen Stellenwert Zeichnungen und Soziale Medien bei ihm haben, erfahrt ihr in der Fortsetzung des Interviews (den ersten Teil gibt es hier zum Nachlesen).
Weiter geht’s: Kannst du Dich an deine bislang spannendste Erfahrung bei Montblanc erinnern?
Lass mich kurz nachdenken, bestimmt…
Da waren zwei, vielmehr drei Situationen, die ich damals in unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens gemacht habe und niemals vergessen werde: Das erste Mal, als ich die Federmanufaktur besucht habe, um die Schreibgeräte kennenzulernen. Der Leiter der Manufaktur in Hamburg zeigte mir die einzelnen, rund 100 Fertigungsschritte. So sah ich zum ersten Mal, mit welcher Genauigkeit die 35 Schritte gearbeitet wurden – das war und ist einfach unglaublich für mich. Dieser letzte Schnitt in der Mitte der Federspitze, der jeden Füllfederhalter zu einem handgemachten Unikat macht, ist einfach unbeschreiblich.
Ich weiß genau was Du meinst und hatte ganz ähnliche Gefühle, als ich die Manufaktur zum ersten Mal besuchen durfte…
Im Lederbereich hatte ich eine ähnliche Erfahrung, als wir die Sfumato-Kollektion geplant haben. Wir haben uns dieses wunderschöne Stück Kalbsleder in der Pelleteria angeschaut und dabei darüber nachgedacht, wie wir das Material noch schöner bekommen könnten.
Darum geht es bei Montblanc: Wie bekommen wir etwas, das bereits exzellent ist, noch besser?! Als wir uns damals das Kalbsleder angeschaut hatten, berichtete uns einer der Modellmacher von einer jahrhundertealten Technik der Lederbearbeitung, der Sfumato-Technik. Er brachte uns zu einem Bekannten, der uns in die aufwändige Verarbeitung einweihte – ich war unglaublich fasziniert. Die dritte Erfahrung rückt immer wieder in mein Bewusstsein, wenn ich in der Uhrenmanufaktur im schweizerischen Villeret zugegen bin. Zu Beginn meiner Arbeit wurde mir dort von einer Dame gezeigt, wie die Spirale einer Uhr gefertigt und eingearbeitet wird. Da war dieses charakteristische Klicken, dann startete die Uhr und die Zeiger schlugen. Als Designer ist es unglaublich inspirierend, Zugang zu diesen Arbeitsvorgängen zu haben.
Wenn wir über diesen einzigartigen Zugang und deine Arbeit sprechen: Was hast Du in den letzten Jahren als Kreativchef gelernt?
Fordere dich immer wieder aufs Neue heraus! Bleibe niemals auf der Stelle stehen, denn alsbald du dich hinsetzt und sagst „Ich habe es geschafft”, hörst du auf zu lernen. Ich bleibe daher immer in Bewegung, gehe weiter und schaue nach vorne. Bislang hatte ich an jedem einzelnen Tag die Möglichkeit, etwas Neues dazuzulernen. Manchmal sind es kleine, manchmal große Dinge gewesen. Dieser Gedanke ist ganz wichtig für mich und nicht umsonst feiern wir bei Montblanc pioneering spirit, den Pioniergeist: Das ist nicht nur ein Leitsatz für unsere Kunden, sondern auch für uns als Mitarbeiter. Es gibt immer etwas Neues zu (er-) lernen und jeder Tag birgt neue Herausforderungen…
Niemals mit dem Lernen aufhören – Gibt es sonst einen Rat, den Du gerne zu Beginn deiner Karriere gehört hättest?
Genau das wurde mir mitgegeben: Man lernt nie aus. Schau nach vorne, motiviere dich und verschließe niemals deine Augen vor einer Herausforderung. Falls du es dennoch tun solltest, riskierst du dich zu wiederholen. Es gibt eine Art Test, den ich mit meinem Designteam mache: Ich bitte sie eine Tasche zu entwerfen, ein halbes Jahr wiederhole ich meine Bitte und vergleiche die Skizzen miteinander. Klar, es bleibt oftmals dieselbe Tasche, jedoch ist sie jedes Mal ein bisschen besser und mit neuen Details und Ideen versehen. Das ist doch ein Zeichen, dass wir innerhalb der letzten sechs Monate immer wieder etwas dazugelernt haben.
„Meisterstück Soft Grain“-Collection; Bild: Montblanc
Lass uns an Deinen Test anknüpfen: Worauf achtest du, wenn Du neue Mitarbeiter für Dein Team suchst?
Wir sind ein sehr junges Team und alle Kollegen sind Vollprofis wenn es um das digitale Handwerk geht. Ich achte dabei jedoch immer auf Folgendes: Bevor du anfängst zu arbeiten, überlege, was du mit deinen Ideen erreichen willst! Was willst du umsetzen? Ich animiere sie zum Nachdenken, sie sollen ihre Entwürfe wirklich fühlen. Natürlich ist es relativ einfach, auf Photoshop etwas digital zu erschaffen, etwas am Computer zu bauen. Man muss aber immer auch die Materialbeschaffenheit, die Haptik des fertigen Produkts mit in Betracht ziehen. Es ist verlockend, zügig mit der Arbeit anzufangen, aber man sollte vorher ganz bewusst ein „wie, weshalb & warum“ reflektieren. Natürlich haben wir als Designteam von Montblanc Situationen, in denen wir schnell arbeiten müssen.
Was macht Ihr in solchen Momenten?
Gerade dann ist die Verlockung umso größer, nicht genügend Zeit für anfängliche Überlegungen einzuplanen. Ich bin der Meinung, dass man sich, egal ob Zeitdruck oder nicht, vorab ausreichend Momente zum Nachdenken schaffen muss. Wenn man seine Ideen in Ruhe konkretisiert hat, kann man anschließend auch schneller am Prozess der Umsetzung arbeiten.
Lasst ihr euch dabei zunehmend auch von Sozialen Medien beeinflussen?
Es ist eine schnelle Form der Recherchearbeit – als ich damals angefangen habe, als Modedesigner zu arbeiten, mussten wir noch in die Bibliothek gehen. Wir mussten Fotokopien anfertigen und konnten erst anschließend unsere Ideen daran anknüpfen. Nachdem man also viel aufwändiger nach etwas suchen musste, hatte man meist schon eine klare Vision von dem, was man eigentlich realisieren will. Wenn ich heute meine Designer beauftrage, Recherche zu betreiben, kommen sie meist mit Hunderten von Bildern zurück. Sie haben großartige Moodboards entwickelt, die vor allem eins sind: sehr vielfältig, aber auch sehr groß.
Wie gehst du mit einer solchen Situation um?
Ich bedanke mich an dieser Stelle für die Arbeit und halte fest, dass sie genau das getan haben, worum ich sie gebeten habe. Es war alles richtig und doch frage ich sie: Wo willst du damit hin?
Sie sitzen dann vor diesen vielen Bildern und sagen: „Wir können es so machen oder so, vielleicht doch lieber so?!“ Es fehlt vor lauter Auswahl der Fokus. Sie haben gute Ideen, nur davon viel zu viele. Ich hake dann ganz genau nach: Was ist diese eine Idee, diese eine Idee, die du anhand dieser Abbildungen umsetzen magst? Die Digitalen Medien sind perfekt für Schnappschüsse geeignet und man kann Tausende spannende Dinge für sich entdecken. Dabei darf man aber nicht seine eigene Arbeit aus den Augen verlieren, man muss ganz klar differenzieren: Was ist für die Ideensuche von Relevanz?
Manschettenknöpfe: „Montblanc Heritage“-Collection; Bild: Montblanc
Nutzt Du persönlich Netzwerke wie Instagram?
Ja, klar. Ich folge sehr vielen Leuten auf Instagram, mich interessiert das. Es bietet sich einfach wunderbar an, um zu sehen, was gerade überall los ist. Aber welche Inspiration nehme ich von den vielen Bildern mit? Manchmal entdeckt man spannende Dinge, kleine Details, die einem weiterhelfen können: Da sieht man diese Person und sie trägt ihre Tasche auf ganz ungewöhnliche Weise. Ich speichere das in meinem Kopf ab und muss mir anschließend überlegen, wie und ob diese Details meine Ideen beeinflussen könnten. Klar, die Sozialen Medien sind ein wichtiges Instrument geworden. Sie bleiben aber ein Instrument neben vielen anderen wichtigen Werkzeugen!
Wie zum Beispiel der Zeichnung?
Zum Beispiel, genau.
Zeichnest Du viel?
Ich zeichne eigentlich immer. Ich habe überall ein Skizzenbuch dabei und nehme in jeder freien Minute den Stift in der Hand. Manchmal ist es etwas ganz bestimmtes, manchmal zeichne ich nur aus einer Situation heraus. Bedingt dadurch, dass ich so viel für meinen Job reise, habe ich zwischendurch immer die Möglichkeit zu zeichnen – für mich ist mein Skizzenbuch gleichzeitig auch mein Arbeitsbuch. Zwischendurch mache ich davon ein Foto und sende es meinem Team. Sie wissen dann, dass ich in diese Richtung denke und können daran anknüpfen.
Wie geht es dann weiter?
Als Kreativchef ist es enorm wichtig, dass man seinem Team Kreativität ermöglicht. Man muss seinen Designern Platz für ihre eigenen Ideen lassen. Man sollte niemals mit der Haltung arbeiten: Genau so möchte ich es haben. Das hemmt das Potential der Gruppe und wirkt keinesfalls fruchtbar. Man sollte vielmehr sagen: Darüber mache ich mir gerade Gedanken, was denkt ihr? Man gibt seine Ideen oder Zeichnungen in die Runde und jeder hat die Möglichkeit seine kreativen Impulse miteinzubinden. Ich bin nicht derjenige, der alleine entwirft. Vielmehr muss ich, neben meiner kreativen Arbeit, ein Coach sein und uns teammäßig stärken. Jeder der Designer ist unterschiedlich und so kann man von jeder einzelnen Idee profitieren.
Klingt gleichermaßen effizient und vorbildlich! Lass uns noch mal über deine eigenen Zeichnungen sprechen, wann hast Du damit angefangen?
Ich habe schon immer gezeichnet und meine Eltern damit in den Wahnsinn getrieben. Wo immer ich ein Stück Papier gefunden habe, habe ich gezeichnet oder wahlweise gekrickelt. Ich hätte damals nie gedacht, dass es jemals mein Job werden könnte. Ab einem gewissen Punkt habe ich dann realisiert, dass ich eine gewisse Begabung habe. Trotzdem habe ich mir im gleichen Atemzug gesagt: Zeichnen kann unmöglich zu deinem Beruf werden.
„Montblanc Heritage“-Collection in Rouge; Bild: Montblanc
Und dann hat es doch noch geklappt…
Manchmal habe ich so viel zu tun, dass ich mitunter eine Woche nicht zum Zeichnen komme. Dann muss ich erst einmal wieder reinkommen. Es ist harte Arbeit und es gehört regelmäßige Übung dazu. Mit dem Zeichnen ist es ein bisschen wie mit einem Instrument, dass man gerne spiele möchte – man kann es nicht automatisch ohne Vorkenntnisse. Wenn man beim Zeichnen ungeübt ist und immer nur auf die Technik oder die Zeichnung achtet, hat man schon verloren. Man muss routiniert genug sein, damit man seine Ideen zu Papier bringen kann und nicht von der Technik abgelenkt wird.
Ein Blick in die Zukunft: Wo siehst Du Dich und vor allem Montblanc in zehn Jahren?
Ich vertraue ganz fest der Kombination aus Handwerk, Funktionalität und hervorragender Leistung, die Montblanc ausmacht. Natürlich wünsche ich mir, dass ich noch lange Teil von dieser außergewöhnlichen Erfolgsgeschichte sein darf. Für Montblanc wünsche ich mir, dass wir weiterhin relevant bleiben und an unsere vielen Entwürfe und Ideen anknüpfen können. Wir wollen natürlich noch erfolgreicher werden, das Traditionshaus auf ein nächstes Level bringen und dabei niemals den Pioniergeist aus den Augen verlieren – weitergehen, nicht stehenbleiben.
In Anlehnung an Pina Bausch ein paar abschließende Worte à la „Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren“?
Genau diesen Gedanken meine ich. Egal in welchem Bereich man arbeitet oder tätig ist, das ist doch die Essenz von allem: Nicht stagnieren. Nach vorne schauen, sonst kann man nicht wachsen. Wir alle, auch bei Montblanc, lernen nie aus. Nur deshalb können wir an Erfolge anknüpfen und neue Möglichkeiten entdecken. Die Welt ist keine Blase, sie ändert sich unaufhörlich. Mit ihr verändern sich auch unsere Ansprüche, wer weiß, ob heutige Ideen nicht schon in ein paar Jahren irrelevant geworden sind? Das Leben ist immer in Bewegung und Pina war eine der Personen, die nie aufgehört hat zu tanzen.
„Montblanc Heritage“-Collection in Rouge und Noir; Bild: Montblanc
Durchatmen. Beruhigt lasse ich meinen Fragenzettel sinken, die Aufregung ist verschwunden und ich freue mich über das gelungene Gespräch. Ich stelle das Aufnahmegerät offline und warte darauf, dass der nächste Gesprächspartner für Zaim Kamal in das Hotelzimmer gerufen wird. Statt Hektik und Interviewslot-Wahnsinn habe ich sogar noch die Möglichkeit, mich ausführlich mit ihm über die gegenwärtige Lage im Modezirkus zu unterhalten: Egal ob allgegenwärtiger Designerwechsel, neue Präsentationsformen oder der Abschaffung der Zwischenkollektionen – der sympathische Designer ist bestens informiert. Einmal mehr merke ich, dass ich mit ihm einen Gesprächspartner vor mir sitzen habe, der nicht nur vom berühmten Central St. Martins College kommt und unglaublich versiert über die jeweiligen Themen spricht, sondern zudem auch ein ausgeprägtes Interesse an allen Dingen hat, die um ihn herum passieren.
Ich hoffe der Einblick hat Euch gefallen? Anbei auch ein paar Aufnahmen der Jubiläumskollektion „Rouge & Noir“! Ich freue mich über Feedback und wünsche bis dahin eine gute Zeit…