Ausstellung

Yves Saint Laurent 1971 – „La Collection du Scandale“

Manteau de renard vert porté par Willy Van Rooy Collection haute couture printemps; Photo Hans Feurer / Elle / Scoop; © Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent

Mein sehr geschätzter Kollege Daniel Kalt von „Der Presse“ fragte in der letzten Woche in seinem äußerst lesenswerten Artikel über die Pariser Fashion Week, ob es heute noch möglich sei, so etwas wie Jahrhundert Kollektionen zu kreieren.
Trotz großer Auditorien und höchstmöglichen Marketingaufwand, Promis in Scharen und tausenderlei Maßnahmen, die eigentlich eher von den Kollektionen ablenken, scheint dieses nur in Ausnahmefällen zu gelingen. Wirklich Neues gibt es wenig und vieles ist eher „retro“ – ein Wort, das heute in aller Munde ist und seinen Ursprung in der internationalen Modepresse, von Vogue über Harper’s Bazaar, erstmals im Frühling 1971 hatte. Denn in dieser Saison brüskierte der Darling der Fashionwelt zum wiederholten Male die Modegemeinde mit genau so einer Jahrhundertkollektion: Yves Saint Laurent.
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Planche de collection; Collection haute couture printemps-été 1971; © Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent

Yves Saint Laurent, der bereits 1966 durch seine Hinwendung zum Prêt-à-porter mit seiner „Rive Gauche“-Kollektion die Pariser Couture auf den Kopf gestellt hatte, zeigte in der Rue Spontini vor 180 Einkäufern und Journalisten an gerade mal sechs Models seine „Liberation“-Kollektion. Der Titel geht zurück auf die Befreiung Frankreichs durch die Alliierten von den Deutschen Besatzungstruppen im Jahr 1944. Ein dunkles Kapitel, auch für die französischen Geschichte, denn 1971, 27 Jahre nach dem Krieg, waren noch viele Ämter, ähnlich wie in Deutschland, mit Leuten besetzt, die nicht „nur“ gegen die Deutschen gewesen sind. Eine Zeit, die überall tabuisiert wurde.
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Planche de collection; Collection haute couture printemps-été 1971; © Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent

Inspiriert zu dem, was man hierzulande häufig als „Trümmerfrauen Look“ bezeichnet, hatte Yves Saint Laurent die junge Paloma Gilot, heute Picasso. Paloma Picasso hatte noch nicht ihren Vater Pablo beerbt, der zwei Jahre später starb und um dessen Erbe sie jahrelang mit ihrem Bruder Claude, ebenfalls unehelich geboren, kämpfen musste. In Frankreich hatten damals unehelich geborene Kinder keinerlei Ansprüche und so hatte die sie keinerlei Geld, obwohl die ganze Welt wusste, dass sie die Tochter des Malergenies Pablo Picasso war.
Auf den Flohmärkten an der Porte de Clignancourt oder in Saint-Ouen verkauften die Händler damals das, was bei Haushaltsauflösungen auch an Garderobe zu ihnen kam. Viele Pariserinnen gaben ihre Kleider aus den Dreißigern und Vierzigern zu dieser Zeit weg und so kaufte Paloma Picasso Plateau-Sandalen und Kleider von Lelong oder Rochas, Turbane und auch das berühmte Kleid mit der aufgestickten Rose, das selbst Hedi Slimane in der jetzigen Saint Laurent Kollektion inspirierte. Paloma mixte daraus einen eigenen Look, den keiner außer ihr trug. Mit ihrem breiten Gesicht und ihrem tiefschwarzen Haar beeindruckte sie mit diesem Auftreten Saint Laurent und wurde zu einer engen Freundin.
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Collection haute couture printemps-été 1971; © Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent

Als sich Yves Saint Laurent im November 1970 an den Entwurf für die kommende Frühjahrs Haute Couture machte, war für ihn das Bild, das er vor Augen hatte, klar. Während Pierre Cardin und André Courrèges, der junge Jean-Louis Scherrer und all die anderen Designer auf Modernität und Futurismus setzten, wollte Saint Laurent seine Couture genau in die andere Richtung entwickeln. Als Inspirationen diente eine Zeit, in der die französischen Frauen selbstbewusst den Alltag unter schwierigsten Bedingungen bewältigt hatten und durch die Materialknappheit meist ihre Mäntel und Kleider durch allerlei Veränderungen immer wieder auf den neuesten Stand brachten. Die Pariser Dame unternimmt halt alles, um nicht démodé zu sein …
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Links: Manteau de renard vert; rechts: Manteau du soir long, motif «lèvres»; Collection haute couture printemps-été 1971; Fotos Sophie Carre, © Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent

Als die ersten Bilder der „Liberation“-Kollektion erschienen, auf denen ein giftgrüner kurzer Fuchsmantel, abgepaspelte Marlene Hosenanzüge im Stil der Vierziger, Turbane und das berühmte schwarze Samtkleid mit den aufgestickten Kussmündern zu sehen waren, ging ein Aufschrei durch die Presse. Das erste Mal fiel das Wort „Retro“ und es erinnerte an eine Zeit, die einfach Tabu zu sein hatte. Wer will so etwas haben? Luxus, der an Armut erinnert!? Die gesamte Modepresse, mit Ausnahme von Diana Vreeland, die alles großartig fand, lehnte Saint Laurents „Collection du Scandale“ vehement ab. Schon während der Vorführung im Salon hatte es die ersten Unruhen gegeben, da Saint Laurent in der Pressemappe schrieb, dass er sich von der Kriegs- und Besetzungszeit inspirieren ließ, als er die Entwürfe gezeichnet hat.
Welche Modernität und vor allem welche Einflüsse bis heute in den achtzig Looks steckten, können wir bis heute in der Mode erleben. Das Wort „Retro“ und der Rückgriff auf vergangene Moden begegnen uns in jeder Saison hundertfach.
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Links: Robe de jour courte, corselet brodé de vert; rechts: Robe du soir courte, ceinture de daim rouge; Collection haute couture printemps-été 1971; Fotos Sophie Carre, © Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent

Die Fondation Pierre Bergé-Yves Saint Laurent widmet nun der „Collection du Scandale“ eine extra Ausstellung, die es doppelt lohnt zu besuchen, da es die Räume in der Avenue Marceau Nummer 5 sind, in denen sich damals auch das Atelier von Yves Saint Laurents und die Salons befunden haben. Die Fondation stellte uns seltene Originalfotos der Präsentation sowie die Originalskizzen und Bemusterungen zur Veröffentlichung zur Verfügung – allesamt Modeschätze erster Klasse, die nur selten aus den Archiven geholt werden. In der Ausstellung sind die Modelle im Original, das Presseecho und auch Fotos von Saint Laurent aus der Zeit zu sehen. Eine schöne Ausstellung an einem Ort, der die ganze Welt des Modegenies widerspiegelt und nicht nur eingefleischte Fans in den Bann ziehen wird. Vielleicht besucht die Ausstellung ja auch ein Designer, dem es eines Tages gelingt, wieder so etwas zu kreieren. Es wäre zu wünschen, denn Saint Laurent hat es ja mehrmals geschafft, einem den Atem zu verschlagen – ob in frühen Jahren bei Dior oder später auch noch mit den Kollektionen der späten Siebziger. Keine dieser Kollektionen hatte aber diese Wirkung wie die Entwürfe aus dem Frühjahr 1971. Glücklicherweise stört sich auch keiner mehr an Inspirationen aus der
Nachkriegszeit. Miuccia Prada oder Dolce&Gabbana zitieren häufig aus dieser Zeit und viele Modeschöpfer nennen bis heute die in der Ausstellung gezeigten Modelle als ihre Schlüsselinspirationen.
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Links: Tailleur-jupe; rechts: Robe de jour courte, boa de renard argent; Collection haute couture printemps-été 1971; © Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent

Nachdem Paloma Picasso nicht nur geerbt hatte, sondern auch noch zu einer vor allem wirtschaftlich erfolgreichen Designerin wurde, kaufte sie nicht mehr auf dem Flohmarkt, sondern trug vornehmlich Haute Couture oder extra für sie entworfene Modelle von Yves. Aber nie mehr inspirierte sie damit zu einer Kollektion …

Die Ausstellung „Yves Saint Laurent 1971, La Collection du Scandale“ läuft noch bis zum 19. Juli 2015. Kuratiert wurde sie von Olivier Saillard – einem der wohl besten Modeexperten und Direktor des Palais Galliera, dem
Modemuseum der Stadt Paris, das gleich um die Ecke liegt und zurzeit eine „Jeanne Lanvin“ Ausstellung zeigt.

„Yves Saint Laurent 1971, La Collection du Scandale“
Fondation Pierre Bergé – Yves Saint Laurent
Espace d’exposition
5,Avenue Marceau Eingang  3 rue Léonce Reynaud
Paris 16ème

Weitere Infos unter fondation-pb-ysl.net

  • Horst
    20. März 2015 at 12:31

    Ich liebe die Kollektion! Blomquist und ich sind im Sommer in Paris und ich hoffe, dass wir Zeit für einen Besuch der Fondation haben!

  • Markus
    20. März 2015 at 12:48

    Ich liebe Saint Laurents erste Kollektion mit den Cabans und den weissen Hosen und diese von 71 am allermeisten. Watum es keine Jahrhundert Kollektion mehr gibt – es gibt heute keine Musen mehr vom Rang einer Paloma Picasso – gepaart mit ihrem unvergleichlichen Stil

  • Markus
    20. März 2015 at 12:51

    genialer Bericht übrigens Peter, vielen Dank hierfür, übrigens wußte Saint Laurent damals im Vorfeld, dass er mit dieser „arm“ wirkenden Kollektion negative Kritik ernten würde. Er „mußte“ sie trotzdem machen, weil er sie „in sich“ hatte.

  • Monsieur_Didier
    20. März 2015 at 14:30

    …ich muss gestehen, dass ich YSL „früher“ nicht mochte, weil ich ihn nicht verstand…
    je mehr und je intensiver ich mich mit Mode beschäftigte, desto mehr liebte ich ihn…
    viele Sachen bleiben mir auch heute noch verschlossen, aber auch er, eigentlich gerade er war ein Revolutionär zu seiner Zeit…
    Hosen für Frauen, Smokings für Frauen, den Sahara-Look für Frauen…
    er hat alles kreiert und erdacht und hat den Frauen einen unglaublichen Dienst erwiesen…

    …ich weiß noch, wie meine Mutter mir als kleinen Jungen erzählte, dass Frauen nicht in Restaurants kamen, weil sie Hosen trugen…
    ich hab gestaunt und war sehr verwundert…
    man versteht oft Dinge erst, wenn man im nachhinein Dinge rückblickend betrachtet…
    das geht mir jedenfalls mit einigen Dingen aus der Mode so…
    aber vielleicht liegt es auch daran, weil „uns“ diese Dinge so unfassbar vorkommen (Verbot von Hosen, dass Frauen nicht alleine weggehen dürfen, das Rauchen auf offener Straße)
    für die Brechung all dieser gesellschaftlichen Regeln liebe ich Yves…
    und für seine Kreation der farbigen Pelze…
    und und und…!

  • Siegmar
    20. März 2015 at 15:38

    ein ganz, ganz wunderbarer Artikel über YSL, über eine wirkliche Muse und einer besonderen Kollektion. Danke dafür !

  • Elke
    21. März 2015 at 18:46

    Hast uns wieder einen tollen Bericht geschrieben,immer wiederFreude
    beim Lesen!!

  • Stephan Berlin
    22. März 2015 at 00:26

    Oh wie toll!
    Dafür flieg ich nach Paris!

  • Die Woche auf Horstson – KW 12/2015 | Horstson
    22. März 2015 at 13:02

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