Interview

“Wow das war weird, aber irgendwie auch cool” – Drag Queen und „Skinny Legend“ Trixie Mattel über Mainstream, Gayming und Barbara.

Trixie Mattel; Bild: Albert Sanchez

Ganz ehrlich? Ich war selten so aufgeregt vor einem Interview wie am heutigen Tag. Und das obwohl ich schon ganz andere Musiker und bekannte Gesichter interviewt habe. Es ist 22:20 Uhr. Ich hänge mehr oder weniger nervös in der Warteschleife meines Interview-Calls und trinke mich locker. Brian Michael Firkus a.k.a. Trixie Mattel ist längst nicht nur Dragrace-Ikone und „Skinny Legend“. Sie ist Stand-Up Queen, CEO und Gründer von „Trixie Cosmetics“ und ist mit über 3 Millionen Followern auf Instagram, YouTube, Twitter, Facebook und Twitch eine der ganz großen Social Media Dragqueens. Viele kennen sie durch Formate wie „UNHhhh“, ihre „Full Coverage Fridays“ oder „Twitch Tuesdays“, welche jetzt schon legendär sind.
Und als wäre das nicht genug, hat sie mittlerweile ihr bereits drittes Album „Barbara“ veröffentlicht und ist auch als erste Drag-Folkmusikerin erfolgreich. Die Dokumentation „Moving Parts“ ist aktuell auf Netflix zu sehen und zeigt Trixie auf ihrer „Moving Parts“-Tour, sowie ihren persönlichen Struggle während der Zeit zwischen Tour, Drag Race Allstars und den Problemen mit ihrer langjährigen Weggefährtin und Freundin Katya. Grund genug also ein wenig aufgeregt zu sein. Daher platze ich auch gleich mal 15 Minuten zu früh in den Call, da ich die letzte Mail ihres Managements überlesen habe.

Jan Who: Hi Trixie. First things first: Warum warst du mit deiner Tour bzw. Konzerten noch nie in Deutschland?
Trixie Mattel: Oh das liegt einfach daran, dass die Agenturen, die mich bisher gebucht haben, hauptsächlich in UK saßen und sich somit meine Toudorthin verlagert hat. Aber ich war tatsächlich schon ein paar Mal in Berlin. Ich bin im „Hamburger Mary’s“ aufgetreten und auch im GMF damals. Ich glaube das ist 4-5 Jahre her. Ihr seid crazy drauf. Ich sollte um 2 Uhr im Club sein und um 4 war mein Gig. Es war Sonntag und ich dachte mir: Leute habt ihr keine Jobs? (lacht)

Dein drittes Album „Barbara“ ist jüngst erschienen. Du bist mit deiner Musik sehr erfolgreich geworden, wie auch mit allem anderen was du anpackst. Hättest du gedacht, dass gerade die Musik so durch die Decke gehen wird?
Nicht so wirklich. Meine erste große Liebe ist und bleibt Comedy. Und dafür lieben und kennen die Leute auch Trixie. Ich denke ich bin ein besserer Comedian als Musiker. Aber ich liebe Musik und spiele schon mein ganzes Leben lang Gitarre und schreibe Songs. Das Tolle ist, dass ich in meinen Shows beides einbinden kann. Ich kann also Musik und Comedy in einer Show zeigen und das noch in Drag. Ich war eine Zeit lang skeptisch in Bezug auf meine Musik und habe mich immer gefragt: Ist sie gut, ist sie nicht gut? Und jetzt habe ich viel mehr Vertrauen in mich. Letztendlich ist es aber so: die Leute da draußen, die meine Musik hören wollen, machen das alles eigentlich erst möglich. Und Leute, die mir wegen meiner Comedy wie zum Beispiel „UNHhhh“ und wegen Dragrace folgen, nehmen sich die Zeit und hören meine Musik an. Und das macht mich glücklich.

Auf Barbara lebst du diese 50er / 60er Beach Fantasie. Ich habe neulich ein Zitat vom Künstler David Kramer gelesen. “I have nostalgia for things I probably have never known. “ Trifft das auch auf dich zu?
Oh I love that. Ja ich habe diese Verbindung zu den Sechzigern und dieser kalifornischen Lebensart. Ich lebe ja auch seit ein paar Jahren in Los Angeles und mit Barbara wollte ich etwas aufnehmen, dass zeitlos klingt, aber musikalisch auch durch die Zeit reist. Die Idee war in einer Stadt zu leben, in der die Leute pinke Cocktails trinken, super gebräunt sind, keine Jobs haben und das dann mit anderen Songs über das Verliebtsein zu kombinieren. Da ich gerade in meiner bisher längsten Beziehung bin, sind die Songs auf „Barbara“ auch deutlich positiver als auf dem letzten Album. Die Idee zum Song „Malibu“ war zum Beispiel, dass ich und mein Freund so verliebt sind und wir einfach in ein Auto springen und irgendwohin fahren. Was wir nicht tun, weil wir lieber zusammen Netflix schauen. Aber wenn wir das machen würden, wäre das der Soundtrack. Außerdem ist Trixie selber ja mittlerweile zu diesem sexy sechziger Beachbunny geworden, was eigentlich auch meine Original-Idee für Trixie war. Ich bin immer daran interessiert, dass der Sound auch dem Look entspricht. Und da ich (Trixie) mich auch nicht mehr wie eine Western-Barbie anziehe, wollte ich nicht noch ein Country- bzw. Western-Album aufnehmen.

Es gibt diesen Song “Girl next door”, der hervorsticht, da er eine reine Popfantasie ist. Ist das ein kleiner Hinweis auf das Trixie-Popalbum, auf das wir gewartet haben ohne dass wir es wussten?
Omg ja, der ist so poppig oder?

Ich habe ein bißchen Katy Perry darin erkannt.
Katy Perry ist großartig! Ich war 19 als ich … wie alt bist du eigentlich?

36 wieso?
Erinnerst du dich, als sie ihr erstes Album „One of the Boys“ rausgebracht hat?

Klar!
Ich habe dieses Album geliebt! Also „Girl Next Door“ sollte eigentlich ein langsamerer Song werden. Mein Producer Nick, der Pop liebt, hatte mir dann diese Version geschickt und meinte „Hass mich nicht, wenn es jetzt zu poppig geworden ist“, aber ich habe es geliebt. Ich liebe einfach Powerpop. Also Pop der rockig, aber im Grunde poppig ist.

Gibt es denn einen Künstler, mit dem du unbedingt mal etwas zusammen aufnehmen willst?
Also wie gesagt ich liebe Katy Perry, Kesha, Miley Cyrus oder Aimee Mann. Aimee Mann ist aber mein alltime favorite. Sie hat 2018 einen Grammy gewonnen und ich habe geweint, dabei habe ich sie noch nie in meinem Leben getroffen (lacht). Ich habe für sie geweint, weil ich ihre Musik so sehr liebe.

„Es gibt es nichts Tolleres als wie Leute dich anschauen, wenn du über 2 Meter groß bist und die Bühne betrittst. Die Leute denken dann: Hier wird gleich etwas sehr Wichtiges passieren, da hörst du jetzt besser zu.“

Ich habe den Eindruck, dass du als Dragqueen, die Country und Folkmusik macht, eine Menge für dieses doch etwas ältere Genre tust. Meinst du andere, alteingesessene Musiker aus dem Genre wissen das zu schätzen?
Wenn du dir „Two Birds“ oder „One Stone“ anhörst dann merkst du, dass dieser Künstler Comedy macht, aber dem Sound und der Herkunft dieses Genres sehr großen Respekt zollt. Ich spiele ja auch Autoharp. Und wenn man Autoharp bei Wikipedia eingibt, erscheint u.a. mein Bild als Referenz. Ich würde das Instrument auch gar nicht spielen, wenn ich der Musik und dem Genre keinen Respekt zollen würde. Ich meine guck dir Kacey Musgraves an. Egal wieviel Make-up sie aufträgt oder was auch immer sie anzieht, man hört in ihrer Musik immer den Respekt und das Verständnis der Musik gegenüber. Ich glaube das ist das Wichtigste. Einige größere und bekanntere Musiker wie zum Beispiel Brandi Carlile haben mich nie getroffen. Ich weiß aber, dass sie definitiv wissen wer ich bin und was ich mache.

Wieviel Prozent des Erfolgs an deiner Musik gehören Trixie bzw. Brian?
Ich glaube für mich ist es das Gleiche. Denn egal in welcher künstlerischen Darstellungsform: Schminken, deine Haare machen usw. gehört eben dazu. Die Show ist immer ein großer Teil von allem. Für mich hat sich Drag nie als Add-On oder Ablenkung angefühlt, sondern eher organisch, wenn man das so sagen kann. Für mich ist es dasselbe würde ich sagen, also gleichberechtigt quasi. Außerdem gibt es nichts Tolleres als wie Leute dich anschauen, wenn du über 2 Meter groß bist und die Bühne betrittst. Die Leute denken dann: Hier wird gleich etwas sehr Wichtiges passieren, da hörst du jetzt besser zu.

Privat bist du sehr viel in der Gayming Community, also der schwulen Gamer Community unterwegs. Was unterscheidet Gay-Gamer von anderen Gamern?
Also erst einmal: Ich bin immer glücklicher, wenn es schwuler ist. Ich mag die schwule Community und den schwulen Humor. Ich glaube wir spielen anders. Wir gehen an das Gaming mit etwas mehr Leichtigkeit ran, weniger kompetitiv und mit mehr Humor. Ich denke Gaming unter heterosexuellen Spielern ist relativ hart und kompetitiv. Und es ist doch cool, wenn es auch hier eine schwule Community gibt. Wir verstehen dieselben Anspielungen und Referenzen, lachen über ähnliche Dinge und so. Es gibt auch eine rein weibliche Gaming Community. Das find ich auch super, weil man immer noch nicht automatisch an Frauen denkt, wenn es ums Gaming geht.

Ist Gaming nicht auch generell heißer geworden? Ich erinnere mich daran, dass ich früher dafür noch in der Schule gehänselt wurde. Mittlerweile gibt es sogar Pornos mit Computerspielbezug.
Ich glaube die Spieleindustrie hat einen sehr guten Job gemacht über die letzten Jahre. Computerspiele sehen cool aus, sind futuristisch und Computerspielen hat einen viel größeren Funfactor. Außerdem ist es ja so: Teenager, die früher gespielt haben und jetzt erwachsen sind, spielen teilweise immer noch. Die Spieleindustrie hat vor allem mit Twitch und YouTube super Arbeit geleistet. Alleine was die Community-Bildung auf diesen Plattformen angeht. Ich meine du kannst alle Arten von Spielen auf den Plattformen schauen. Du kannst heißen Girls, älteren Männern oder Drag Queens beim Spielen zuschauen. Das ist schon sehr smart gemacht.

Aber futuristisch und aufregend waren Computerspiele ja damals auch.
Ja aber wir haben heute ja ganz andere Möglichkeiten mit mobilem Internet und so. Wir können überall spielen. Außerdem ist es ein viel sozialeres Happening geworden. Früher hieß es ja wer Computerspiele spielt hat keine Freunde.

„Ich bin immer glücklicher, wenn es schwuler ist. Ich mag die schwule Community und den schwulen Humor.“

Was ist das schwulste Computerspiel ever in deinen Augen?
„Dream Daddy“. Da kannst du quasi heiße Daddies aus deiner Nachbarschaft daten. Und ich finde auch die Sims sind ziemlich gay.

Du bist ja ein großer „The Sims“-Fan. Deine „Twitch Tuesdays“ mit den Sims sind ja schon fast legendär.
Ja, was ich so toll finde an den Sims, ist, dass dort jeder jeden daten kann, egal wer oder was er ist. Jeder ist quasi pansexuell. Es gibt keinen Rassismus, keine Homophobie. Männliche wie weibliche Sims sind gleich bezahlt. Es ist im Grunde eine Utopie von dem was wir gerne hätten.

Drag ist durch Dragrace und auch durch sehr erfolgreiche Dragqueens wie dich im Mainstream angekommen. Findest du Drag ist trotzdem noch immer politisch genug?
Ich denke das kommt darauf an. Nicht jede Dragqueen ist bei jeder ihrer Performances politisch. Manchmal geht’s eben auch „nur“ um Spaß oder Comedy. Aber egal wie sehr wir jetzt schon in der Mitte angekommen sind. Wir sind immer noch „die Anderen“. Wenn ich in Drag in den Supermarkt gehe, reagieren die Leute so nach dem Motto „What the fuck?“. Und das macht ja auch die Stärke von Drag aus. Für mich muss Drag nicht so Mainstream sein, dass es keinen mehr kümmert wie ich aussehe oder wie ich rumlaufe. Ich mag es, wenn Leute denken: Wow das war weird, aber irgendwie auch cool. Ich und Katya machen zum Beispiel Inhalte, die den Leuten eine Pause von der ganzen Politik etc. geben. Aber in dem Moment wo wir uns zurechtmachen und als Dragqueen vor der Kamera sind, geben wir, auch wenn wir es nicht laut sagen, ein politisches Statement ab.

“Moving Parts” läuft seit einiger Zeit sehr erfolgreich auch in Deutschland auf Netflix. Dein Freund David Silver war der Produzent. Was war der schwierigste Teil an der Zusammenarbeit?
Oh, nicht zu versuchen ihn umzubringen. (lacht) Nein, das war natürlich nur Spaß. Was ich an meiner Beziehung zu David super finde ist, dass er etwas ganz anderes macht als ich und ich nach Hause kommen kann und nicht über Arbeit sprechen muss. Also macht es mir eigentlich ein wenig Angst, wenn sich Privatleben und Arbeit vermischen. Aber dadurch, dass auf der anderen Seite der Kamera jemand stand dem ich vertraue und den ich liebe, wusste ich, dass ich keine Angst haben musste, dass ich schlecht rüberkomme oder er mich in einem schlechten Licht zeigt. Nick (Zeig-Owens, Director/Producer) und David kennen sich noch von der Filmschule. Die beiden haben mit „Moving Parts“ etwas kreiert, was extrem ehrlich ist. Eben kein Reality TV in dem Dinge extra dramatisch zusammengeschnitten werden, um irgendetwas noch schlimmer wirken zu lassen. Es ist sehr real und wie gesagt ehrlich.

Ich finde das wird vor allem dadurch deutlich, dass man sich im Nachhinein irgendwie mit dir identifizieren kann, auch wenn man dich natürlich nicht persönlich kennt.
Ja und man kann sich als Zuschauer eben sein eigenes Bild machen. Die Doku kam ja während der Quarantäne-Phase raus, daher haben es natürlich noch mehr Menschen geschaut. Und selbst Leute, mit denen ich in die Schule bzw. Highschool gegangen bin, kontaktierten mich und meinten: „Wow wir hatten ja keine Ahnung“. Teilweise wussten sie die Dinge noch gar nicht von mir. Viele dachten auch All Stars war die Zeit meines Lebens und wussten gar nicht, was da alles nebenbei noch passiert ist. Der Film ist aber trotzdem nicht traurig. Es geht halt um die Höhen und Tiefen des Erfolgs. Um all die Dinge, bei denen du denkst, dass sie nicht passieren, wenn du Erfolg hast.

„Als ich Moving Parts sah, wurde mir bewusst, dass ich etwas aus meinem Leben gemacht habe.“

Du hast ja gesagt, der Film ist ehrlich und da ist nichts extra reingeschnitten etc. Gibt es denn trotzdem etwas, was du im Nachhinein vielleicht gern rausgeschnitten hättest?
Fakt ist: Aus Respekt vor David und Nick, war ich nicht beim Editing-Prozess involviert und wenn immer es um den Film ging, bin ich zum Beispiel aus dem Raum gegangen.

Wirklich?
Ja ich wusste nichts vom Material, der Story oder was rein- bzw. rausgeschnitten wurde. Denn das Ding ist doch folgendes: Ich bin eine Dragqueen. Ich hätte also gesagt: Filter hier drauf, CGI meine Taille schmaler usw. (lacht) Es hätte alles perfekt ausgesehen. Ich war mir aber sicher, dass der finale Film besser aussieht, wenn ich nicht involviert bin.

Also hast du vorher nicht mal einen Rohschnitt oder irgendwas gesehen?
Doch, ich habe einen Schnitt kurz vor Ende der Post-Production gesehen. Wir waren bei meinem Freund zu Hause und er fragte mich danach wie ich es finde. Ich habe so krass geweint. Ich weiß gar nicht warum ich so emotional war. Ich glaube nur mir wurde dann bewusst, dass ich etwas aus meinem Leben gemacht habe. Und dann habe ich ihn natürlich vorher noch einmal mit Katya angeschaut, speziell wegen der Abschnitte mit ihr. Als sie damit fine war, war es für mich ok den Film zu zeigen. Sie ist wie ein Teil von mir, quasi meine andere Hälfte und ich hätte nie etwas veröffentlicht, wenn sie damit nicht ok gewesen wäre. Der Film hat die ganze Situation mit ihr so gezeigt wie sie wirklich war. Und ja es war unangenehm, aber es wäre nicht gut gewesen, wenn wir das nicht so gezeigt hätten. In der schwulen Welt ist es viel wahrscheinlicher auf Drogenprobleme oder Probleme psychischer Art zu treffen. Hätten wir den Teil also rausgenommen nur weil es unangenehm anzuschauen ist, dann wäre es am Ende auch keine Dokumentation gewesen.