Am Dienstag zeigte Karl Lagerfeld in Schloss Leopoldskron in Salzburg in Österreich seine jährliche, seit nun mehr zehn Jahren zur guten Tradition gewordene Métiers d’Art Schau für das Modehaus Chanel. Unter dem Motto „Paris-Salzburg“ soll auch in diesem Jahr für die Ende Mai als Pre-Collection für den Winter in die Boutiquen kommende Themenkollektion der Bogen zwischen der Geschichte und den Eigenschaften des Stammhauses und der Begründerin Coco Chanel mit dem Ort verbunden werden, an dem die Präsentation stattfand …
Bild: Olivier Saillant
Natürlich zeigen wir auch Looks aus dem Defilee und erklären die Stilistik, aber Horstson-Leser sind es ja gewohnt, bei uns hinter die Kulissen zu blicken. Diesmal interessiert uns insbesondere, wie die Thematik entsteht und das eigentlich das Produkt nur am Ende einer Kette einer umfassenden und akribischen Vorbereitung herauskommt, die mehr umfasst, als das „Machen“ sondern eine eigene Geschichte erzählt, einen wichtigen Teil unserer Kulturgeschichte aufrollt und in aller Welt erlebbar macht. Es ist so eine Art Bildungsauftrag den Karl Lagerfeld verfolgt und der über das Medium Chanel seine Interessengebiete und unsere kulturellen Wurzeln weiterträgt – weit ab von Zeigefinger und staubiger Geschichtslehrstunde. Er setzt Historie, in dem er sie „chanellisiert“, ein, um genau das in unsere heutige Zeit umzusetzen, was der Mode manchmal fehlt: Tiefe. Während sich der ein oder andere Designer damit begnügt, seine Inspiration aus einem bestimmten Jahrzehnt oder einer besonderen Strömung herauszuziehen, ist es bei Karl Lagerfeld viel komplexer. Es gibt bestimmte Grundthemen, die ihn lebenslang begeistern und beschäftigen und Personen, die für ihn Maßstäbe gesetzt haben. Dazu gehören Figuren, wie könnte es bei ihm anders sein, aus den verschiedensten Gebieten und Wirkungskreisen. Eduard von Keyserling, der Dichter des Impressionismus, gehört dazu, genau so wie der Politiker Walter Rathenau oder auch die im 17. Jahrhundert in Frankreich lebende Liselotte von der Pfalz.
Seine umfassende kulturelle, politische und künstlerische Bildung ermöglicht Lagerfeld aus einem fast unerschöpflichen Repertoire von Einflüssen die Energie und Inspiration für immer neue Einfälle von Kollektionsthemen zu beziehen, die er nonchalant und spielerisch auf unsere Zeit aktualisiert und damit in einem völlig anderen Kontext wieder auferstehen lässt.
Bild: Olivier Saillant
Schon in früheren Jahren haben Karl Lagerfeld der Dichter Hugo von Hofmannsthal, der Komponist Richard Strauss und der Theaterintendant Max Reinhardt, der als Erneuerer des Theaters gilt, fasziniert. Menschen, die in die Zukunft denken und neue Wege gehen, sind ihm seit frühester Jugend weisend, da es ihm selbst entspricht. Das man dabei Traditionalist sein kann schließt sich für ihn nicht aus und verleiht dem Ganzen eine besondere Herausforderung. Das Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg stellte in Deutschland mit der Weimarer Republik und in Österreich mit dem demokratischen Aufbruch nach der Kaiserzeit die Weichen für das freie Denken des gesamten Zwanzigsten Jahrhunderts und strahlt für den Designer immer schon eine große Faszination aus. Genau in diesem Jahrzehnt wurden viele Weichen gestellt, die noch heute die Grundlage des modernen Lebens bilden und die auch für die Frauen eine völlig neue Entwicklung einleiteten. Eine der Wegbereiterinnen, zumindest was das Erscheinungsbild der Frau betraf, war Coco Chanel, die mit ihren Kreationen, ihrer Lebensform und ihren Stilelementen genau diesen Zeitgeist traf und prägte. Sportlichkeit mit Formalwear zu verbinden, echte und falsche Preziosen mischen, Materialien, die bisher Männern vorbehalten waren, auf Frauenkleidung umsetzen – alles Dinge, die sie als völlig normal empfand und mit denen sie ganze Generationen von Frauen beeinflusste. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – es war die Hoch-Zeit des Trachtenjankers in der Mode und Marlene Dietrich verpasste keinen Aufenthalt in Salzburg, um in großem Maße bei „Trachten Lanz “ einzukaufen – zogen die ersten Kostüme und Jacken mit Galons und im „alpenländischen Stil“ in ihren Kollektionen ein. Besonders schöne Beispiele dafür gibt es heute noch in der Kostümsammlung des Metropolitan Museums und selbst die Harper’s Bazaar widmete im September 1938 eine ganze Strecke genau diesen Looks.
Aber Chanels große Liebe und Inspiration kam immer aus Basisteilen der Garderobe schon in den zwanziger Jahren, als sie „Kammerzofen Kleider“ zu Abendkleidern, wie dem „Kleinen Schwarzen“ verwandelte. Anfang der zwanziger Jahre entdeckte sie auch das Land, was die Inspiration zur diesjährigen Métiers d’Art Kollektion werden sollte.
Bild: Olivier Saillant
Gabrielle Chanel liebte Österreich und seinen Charme, seine Atmosphäre und die Berglandschaft. Sie liebte die Natur, den Sport und Aktivitäten unter freiem Himmel genauso wie kulturelle Events und das gesellschaftliche Leben. All das gab es in Österreich. In einem Brief an Jean Cocteau am 16. Juli 1922 schrieb sie: „Tzara ist in Tirol – er scheint sich besser zu fühlen, glücklich zu sein – ich werde vielleicht auch hinfahren.“ Wie viele Künstler damals, hielt sich Tristan Tzara dort mit Max Ernst und Paul Eluard auf, weiteren Mitgliedern der Dada-Bewegung.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts haben sich Salzburg und das österreichische Tirol zu sehr beliebten Reisezielen entwickelt. In den 1920er Jahren wurden sie noch populärer, als der Regisseur Max Reinhardt, der Komponist Richard Strauss und der Autor Hugo von Hofmannsthal die Salzburger Festspiele ins Leben riefen, ein jährlich im Sommer stattfindendes Opernfestival, das ein elegantes und kulturell begeistertes Publikum anzog.
Zu Beginn der 1930er Jahre reiste Gabrielle Chanel gerne in den berühmten Skiort St. Moritz. Dort lernte Sie Baron Hubert von Pantz kennen, ein sehr attraktiver österreichischer Adliger. Äußerst elegant und charmant besaß er alles, um Gabrielle Chanel zu gefallen. Es entwickelte sich eine Liebesgeschichte, die zwei Jahre lang währte. Zur gleichen Zeit kaufte er Schloss Mittersill, das er in ein prachtvolles Hotel verwandelte.
Schloss Mittersill war sofort ein großer Erfolg, und 1936 beschrieb die amerikanische Vogue das Hotel als „den Ort in Österreich, über den am meisten gesprochen wurde“. Mit seinem anspruchsvollen Niveau und seinen perfekten Manieren gelang es Hubert von Pantz, berühmte Gäste wie den Herzog von Gramont und die Marquise de Polignac anzuziehen. Aber auch Künstler wie Marlene Dietrich, Douglas Fairbanks und Cole Porter. Sie alle liebten die elegante Atmosphäre und den traditionellen Charme. Hier wurden viele Aktivitäten wie Golf oder Gletscherwanderungen angeboten. Auch die Möglichkeit, Trachtenmode aus Loden einzukaufen bot der feinen Gesellschaft reichlich Zerstreuung. Es war im Mittersill, wo Gabrielle Chanel die tadellosen Jacken, die von den Liftboys getragen wurden, entdeckte…
Nach dem Krieg lebte Chanel zwar in der Schweiz, sie blieb aber bis zu den Vorbereitungen ihres Comebacks 1954 Österreich immer verbunden. Die Idee des Kostüms und der Liftboyjacken nahm sie wieder auf und führte sie schließlich zu dem Synonym ihres Stiles und Jahrhundertklassikers, den auch Karl Lagerfeld immer wieder zur Grundlage seiner immer wieder in Variationen erscheinenden, sich der Zeit anpassenden Chanel-Jacke dient.
Bilder Chanel
Bilder: Chanel
Genau wie bei den vorhergehenden, den Ateliers und dem Handwerk der Paraffections Ateliers gewidmeten Kollektionen „Paris–Edinburgh“, „Paris-Bombay“, „Paris–Shanghai“, „Paris-Moskau“ oder „Paris-Tokio“ taucht Karl Lagerfeld mit uns wie auf einer imaginären Reise mit den Augen und den Anknüpfungspunkten von Chanel gesehen in die Kultur und Welt des Reiseziels ein. Wie selbstverständlich und übergreifend beschäftigen sich er und sein Team aber nicht nur mit der Kollektionserstellung, sondern alles darum wird perfekt dazu erschaffen und recherchiert. Lagerfelds Sammlungen werden dabei genau so herangezogen, wie Handwerkstechniken aus der Region, die dann bei Lesage dem Sticker, Desrues im Schmuckbereich und bei Knöpfen, dem Handschuhmacher Causse, im Atelier von Montex oder bei Barrie in Schottland umgesetzt werden. Es geht sogar noch weiter: Verleger Gerhard Steidl druckt nicht nur sämtliche begleitenden Materialien wie Pressedossier oder die Kataloge zum jeweiligen Thema, sondern in diesem Fall Faksimile-Ausgaben der Kostümentwürfe zur Oper „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss oder das gleichnamige Libretto von Hugo von Hofmannsthal in der Originalgrafik. Max Reinhardts Residenz „Schloss Leopoldskron“, auch Drehort des berühmten Musical-Films „The Sound of Music“, wird komplett mit Möbeln ausgestattet, die der Zeit des Genies entsprechen. Alles transferiert sich perfekt in die Thematik, und wenn Karl Lagerfeld beginnt, die Kollektion zwei Monate vor der Präsentation in die Ateliers zu geben, um die technische und handwerkliche Umsetzung zu beginnen, ist praktisch alles in den Geist getaucht und das Ergebnis für Lagerfeld die logische Konsequenz.
Eine Arbeitsweise, die einem von der Perfektion, der Stringenz und dem Aufwand fast unmöglich erscheint – in einer Zeit, in der es manchmal um mehr Masse statt Klasse im Luxussegment geht. Genau das ist es aber, was das Familienunternehmen Chanel von anderen Unternehmen und die Kraft der Marke unterscheidet. Die konsequente Re-Investition in Entwicklung, Recherche, Durchführung und Umsetzung zahlt sich hundertfach wieder aus, weil es fast unvorstellbar perfekte Produkte hervorbringt. Dabei geht es nicht darum, dass jedem alles gefällt, sondern darum, dass, egal welches Teil es ist, es nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern auch in jedem Punkt stimmig und geschlossen ist. Jedes noch so kleine Accessoire oder jeder Schal erzählt die Story der Kollektion und transportiert auch aus dem Kontext herausgenommen den Stil der Marke und die Handschrift des Chanel-Teams – angeführt und inspiriert von Karl Lagerfeld.
Bilder: Chanel
Bilder: Chanel
Bei der „Paris-Salzburg“ Kollektion handelt es sich um Prêt-à-porter, das zwar in den Boutiquen verkauft wird, aber bei Materialien und Stoffen durchaus Couture-Niveau hat.
Neben Lodenjankern, diese Saison ist auch wieder was für die Jungs dabei, vorgeführt durch Sebastien, Baptiste, Jake, Brad und Lagerfelds Patenkind Hudson, sind alle Elemente nicht nur der Salzburger-Tracht in Elementen vertreten. Karl Lagerfeld bedient sich auch ungarischen Anleihen und teilweise auch russisch wirkenden Elementen (die dort zahlreich vertretenden Kundinnen werden es sicherlich danken). Flache Trachtenhüte aus Filz mit Federbusch-Anleihen aus der Garderobe von Kaiserin Elisabeth, genannt „Sissi“ – sind genau so vertreten, wie Militärhosen der Ära von Kaiser Franz Joseph. Die Krachlederne kommt als Hotpants daher, das Cape ist durch aufwendigste Blüten oder Federstickerei „couturisiert“. Weitere Highlights waren Edelweiss- und „Wander-Souvenir“-Broschen, Dirndl-Schnallen, Kropfbänder und Rucksäcke in Form von Lederhosen Form, die wie Kinderfantasien in edelster Form interpretiert wurden. Mit einem gewissen Augenzwinkern und aus den Totallooks befreit, finden sich viele äußerst tragbare Klassiker, die Lust darauf machen, das ein oder andere Teil mit „trachtigem“ Ursprung in seinen eigenen Look zu bringen.
Bilder: Chanel
Die Vorführung in den Salons, der Halle und der Bibliothek des Schlosses Leopoldskron, beeindruckte nicht nur durch seine äußerst opulente Inszenierung, sondern kehrte auch zu den ursprünglichen Formen, wie schon in den Pariser Salons von Worth, Doucet oder Poiret präsentiert wurde, zurück. Intim auf Fauteuils sitzend, konnten Presse, Prominente und ausgewählte Kundinnen die Looks unter anderem an Cara Delevingne, Lindsey Wixson und natürlich Stella Tennant in Augenschein nehmen.
Salzburg als Kulisse mit den Augen von Chanel gesehen könnte genau so aussehen, wie die Vision die Lagerfeld für 2015 zeigt. Auf jeden Fall macht sie wieder Lust auf Elemente wie handgestrickte Strümpfe oder dicke Janker und die kann man ja auch zu Jeans anziehen …
Ein zauberhaftes neues Stück in der Chanel Weltreise, die mich sofort dazu verführt hat, mir handgestrickte Trachten-Strümpfe bei Lanz zu kaufen und Richard Strauss zu hören. Eine Stadt in einen Rausch zu versetzen, Kulturerbe in Mode umzusetzen und die Perfektion auf die Spitze zu treiben – das kann kein Marketing der Welt. Das kann nur durch Authentizität, Bildung, einer grenzenlosen Freiheit im Kopf und dem absoluten Vertrauen des Unternehmers zu seinen Kreativen funktionieren – genau das macht die Faszination von Chanel aus und lässt uns immer wieder träumen. Auf nach Salzburg …
Horst
4. Dezember 2014 at 13:01Für mich bitte ein Chanel-Wanderabzeichen – passend zu meiner neuen Margerite von Chanel 🙂
Die Deko und der Aufwand, schon Jahre im Vorfeld die Möbel zu besorgen, ist wirklich der Hammer und die Kollektion ist zum Glück weit weg vom Dirndl.
Sehr toll!
vk
4. Dezember 2014 at 13:13herzlichen dank, lieber peter, fuer die einbettung des gesehenen. und wahrscheinlich braucht es tatsaechlich die liebevolle und vielgestaltige anmoderation, um das halbwegs zum klingen zu bringen, was selbst so unzureichend spricht.
nach furiosem paris-dallas im letzten jahr teilt lagerfeld in salzburg, so scheint es mir, wenig mehr als einen kraftlosen nachtraum mit uns. wie geister vergangener weihnachten huschen gestalten gluecklos behaengt durch die reich gedeckte stube.
schade. fuer mich ist es nix.
Jan
4. Dezember 2014 at 14:04Toll! Solche Hintergrundinformationen und klugen Kommentare sucht man selbst in der anspruchsvollen Fachpresse vergeblich. Sehr gut auf den Punkt gebracht was Chanel ausmacht, dass die Kollektionen eben mehr sind als nur die einzelnen Teile, die gefallen oder nicht, aber immer perfekt stimmig und mit viel Humor und Augenzwinkern ein nachhaltiges Gesamtkunstwerk schaffen.
Siegmar
4. Dezember 2014 at 14:15@ Peter,
wunderbarer Artikel und durch dich bekomme ich immer erst den wirklichen Blick auf Chanel. Die Kulisse ist wirklich opulent, die Kollektion werde ich mir noch mal in Ruhe anschauen.
Monsieur_Didier
4. Dezember 2014 at 14:33…mir gefällt die Kollektion, wenn auch einiges für mein Empfinden ein bisschen sehr nach Kostümball aussieht…
aber sei’s drum, das Ergebnis im Ganzen zählt, und das überzeugt mich durchaus…
ganz abgesehen davon, dass ich die Präsentationen immer, also wirklich IMMER wunderbar finde…
sogar ide Präsentation von Paris_Texas hat mir gefallen, und da war die Kollektion für meinen Geschmack ziemlich gruselig…
aber egal, es war ein Kapitel und nicht die gesamte Geschicht…
…ich wäre gerne dabei gewesen…
danke dafür, lieber Peter… 🙂
Markus
4. Dezember 2014 at 15:27…wunderbare Ideen in ener wunderbaren Kollektion, ob man so etwas noch eine Kollektion nennen kann? hier geht es nicht um Kleidung sondern um eine ganze Welt! genial und atemlos beschrieben von Peter
Elke
4. Dezember 2014 at 20:42Ein toller Artikel!
So versteht man die Geschichte,die hinter dem Ganzen steht.
In unserer Zeit ist es doch mal etwas Bezauberndes!!
Julian Gadatsch
4. Dezember 2014 at 22:29Definitiv „quelque chose extraordinaire“ & wunderbar geschrieben!! Habe immer wieder das Verlangen, dich tausend Dinge auszufragen, weil du ein wandelndes Lexikon der Mode UND von Chanel bist. Großes Hut ab, ich bin wieder einmal begeistert von deinem Artikel!!!
Auf besonderen Wunsch wieder da: die Woche auf Horstson | Horstson
7. Dezember 2014 at 12:26[…] rief nach Salzburg und Peter ist diesem Ruf nur zu gerne gefolgt. Peters Schauen-Rezension zur Métiers d’Art Collection Paris-Salzburg gibt es hier zu lesen. 2) Na na na na na na na na na na na na na na na na – Hermès! Nicht […]
thomash
7. Dezember 2014 at 23:44bin begeistert von der schau und kempes bericht, der mal wieder dem niveau des ereignisses mehr als angemessen ist. sensationell!
jedes kollektionsteil wird ruckzug dechiffriert und analysiert und einen atemzug später in den kulturellen zusammenhang mit salzburg und dem künstler-background der stadt gestellt. das kann sonst keiner. danke, dass man auf diese weise in salzburg (und dallas und edinburgh und… und… dabei sein kann.