Seit über 25 Jahren liegt in meinem Bücherbord ein Armreif in Form einer großen Schraubenmutter – Innen mit dem Aufkleber passage 72 ugo correani pour chloe 83/84 – es ist die Erinnerung an die erste Modenschau die ich jemals in meinem Leben live gesehen habe. Anfang Februar 1983 flatterte eine Einladung in unseren Briefkasten, wo auf feinstem Bütten das Haus Chloe in der Avenue Franklin D. Roosevelt in Paris Herrn Peter Kempe (damals 16) bat, im März am Defilee für den Winter 1983/84 teil zu nehmen. Ich war ausser mir vor Freude – hatte ich doch ein halbes Jahr vorher in sauberster Schüler-Handschrift den Createur des Hauses – Karl Lagerfeld – gebeten, dass ich einmal so gerne eine seiner Schauen sehen möchte. Natürlich hatte ich nichts gehört und es auch schon beinahe vergessen…
Dann kam die Einladung. Aufgeregt fuhr ich nach Paris und sollte mein blaues Wunder erleben
Damals fanden die Schauen in Zelten im Cour Carrée des Louvre statt und die Eingangskontrollen kamen mir vor, als wollte ich mir Einlass ins Fort Knox verschaffen aber mein Zauberschreiben öffnete mir alle Türen, Taschenkontrollen und Sicherheits-Checks und ich kam mir klein und unbedeutend vor in einer Menge so durchgestylter Leute, neben Einkäufern und Journalisten aus aller Welt war zu dieser Zeit von der Ultra-Avantgarde etwa 100 Leute da – vom Styling sahen sie wie Kajagoogoo aus, Frauen die wie Miyake-Berge wirkten und Asymetrisches in schwarz in jeder Variation.
Überhaupt dominierte japanisches Schwarz: 12 japanische Designer zeigten zu der Zeit in Paris und es war ein gewaltiger Trend, der die gesamten achtziger Jahre beeinflusste. Endlich im Zelt angekommen und meinen Platz gefunden baute sich vor mir eine gewaltige Autobahn als Laufsteg auf, an derem Ende sich eine Art Kreisverkehr befand. Sofort fragte ich mich, ob Karl Lagerfeld endlich den Führerschein gemacht hatte und das als Inspiration verwandte??
Nach stundenlangem Warten und dem dann allmählichen Eintreffen von Suzy Menkes, Hebe Dorsey, Carrie Donovan und den damaligen Meinungsmachern wie Fairchild & Co begann die Vorstellung – mein Herz klopfte bis zum Hals.
„On Broadway“ von George Benson ertönte und dazu traten New Yorker Karrierefrauen auf den Laufsteg, Pat Cleveland, Inès de la Fressange, Dalma, Joan Saverance – alle Topmodels der Zeit vertreten. Super ich war jetzt schon im siebten Himmel. Aber halt Stop – was war das??? Der Meister muss sein Bad renoviert haben, oder die Heimwerker Abteilung des Bazaar Hotel de Ville aufgekauft haben, dachte ich!!!
Vive les Plombiers de Paris!!! Wasserhähne, Duschköpfe, Schraubenschlüssel, Zangen, Hammer – ganze Werkzeugkästen als Accessoires. War Lagerfeld ein schöner Klempner begegnet? Ich war begeistert.
Regenschirme hatten Duschköpfe, die Zangen waren Broschen oder Colliers, Schraubenmuttern paarige Armreifen oder Ohrclipse mit Perlen in der Mitte.
Ugo Correani, damals kongenialer Schmuckmacher, hatte aber in die feinste Materialkiste gegriffen: Strass, Perlen und Resin.
Höhepunkt der Klempner-Show dann die Abendkleider: tiefe Rückendekoltees, an deren Seiten von Lesage gestickte Duschbrausen und ein Cocktailkleid, dessen Neckholder ein Warmwasserhahn bildet. Schraubzwingen, die tiefe drapierte Falten halten. Lagerfelds Handwerkerträume at its best, Surrelismus wie zu Schiaparellis Zeiten. Das Modevolk jubelte und im Anschluss stieg Lagerfeld für den Fotografen im Massanzug und mit Hilditch und Key-Hemd in die Badewanne.
Nie wieder gab es so eine feucht-fröhliche Saison bei Chloe. Aber sein größter Triumph stand noch aus, ein Erfolg von dem er nie zu träumen gewagt hatte:
Er machte seine erste Kollektion für Chanel, und das wissen wir, hat er bis heute zum bedeutendsten Modehaus der Welt gemacht und der Start war die Saison der Klempnerkiste. Aber an Humor und Einfällen hat es Karl ja noch nie gefehlt. In Paris und Amerika sollte der teure Baumarkt-Schmuck darauf weggehen wie warme Semmeln und Womens Wear widemete der Kollektion 5 Seiten…
Ne Schraube zu der Mutter habe ich bis heute noch nicht dazu gefunden damit könnte man ja auch einen Ozeandampfer fest machen…. Aber vielleicht schau ich mal beim nächsten mal in Paris im Bazaar Hotel de Ville in die Heimwerker-Abteilung..
blomquist
21. September 2010 at 18:33Großartig Peter-
ich hatte beim lesen das Gefühl als wäre ich dabei gewesen!
jürgen
21. September 2010 at 19:09Hier gab es das ganze dann von hübsche Zeichnungen begleitet bei Antonia Hilke im NDR zu sehen 🙂
Tobi
21. September 2010 at 20:07unglaublich was für sachen lagerfeld mal entworfen hat. ich hätte es gerne live gesehen – aber werde wohl nie das glück haben ein modenschau zu sehen. danke für den bericht 🙂
MarcoWo
21. September 2010 at 21:27tolles lied lief bei der schau! dank der live-version wriklich so als wär da gewesen
MarcoWo
21. September 2010 at 21:34habe den bericht jetzt schon 2 mal gelesen und mir fällt auf das der schreiber voller begeisterung schreibt
blomquist
21. September 2010 at 22:07@ MarcoWo: Peter ist voller Begeisterung! Das macht Ihn so besonders.
Daisydora
21. September 2010 at 22:22Herrlich, ganz wundervoll…selbst für Insider sind deine Berichte Pretiosen – danke!
Dana Li
22. September 2010 at 10:13Ein wunderschöner Bericht!
Hätte ich doch mit sechzehn auch mal einen Brief geschrieben…
Melli
22. September 2010 at 10:14Ich finde Karl Lagerfeld ist ein begnadeter Designer und hat vielen etwas voraus. Damals als er für H&M eine Kollektion designed hat, hätte ich mich in den Hintern beißen können, weil ich nichts mehr bekommen habe.
Karladi
22. September 2010 at 10:27TOLLER BERICHT!!!
o
22. September 2010 at 11:46…THEY SAY THE NEON LIGHTS ARE BRIGHT ON BROADWAY
THEY SAY THERE’S ALWAYS MAGIC IN THE AIR
BUT WHEN YOU’RE WALKIN‘ DOWN THE STREET
AND YOU AIN’T HAD ENOUGH TO EAT
THE GLITTER RUBS RIGHT OFF AND YOU’RE NOWHERE…
OLAF
22. September 2010 at 14:57LOVE IT !!!
higher
22. September 2010 at 16:26Tall das Bild mit Herrn Lagerfeld ohne Brille (!) und in der Dusche stehend.
Horstson » Blog Archiv » Warum Peters Cutting’s heute den Grünen Punkt und einen angebissenen Apfel haben
5. März 2012 at 09:03[…] Seit über 25 Jahren liegt in meinem Bücherbord ein Armreif in Form einer großen Schraubenmutter – Innen mit dem Aufkleber passage 72 ugo correani pour chloe 83/84 – es ist die Erinnerung an die erste Modenschau die ich jemals in meinem Leben live gesehen habe. Anfang Februar 1983 flatterte eine Einladung in unseren Briefkasten, wo auf feinstem Bütten das Haus Chloe in der Avenue Franklin D. Roosevelt in Paris Herrn Peter Kempe (damals 16) bat, im März am Defilee für den Winter 1983/84 teil zu nehmen. Ich war ausser mir vor Freude – hatte ich doch ein halbes Jahr vorher in sauberster Schüler-Handschrift den Createur des Hauses – Karl Lagerfeld – gebeten, dass ich einmal so gerne eine seiner Schauen sehen möchte. Natürlich hatte ich nichts gehört und es auch schon beinahe vergessen. Dann kam die Einladung. Aufgeregt fuhr ich nach Paris und sollte mein blaues Wunder erleben… Weiterlesen […]
Karl Lagerfeld: Junk-Food macht Japaner hübsch
23. März 2012 at 08:00[…] echt gemacht ist richtig hübsch geworden im letzten halben jahr Daumen hoch 0 Daumen runter 0 Horstson » Blog Archiv » Wenn der Klempner zweimal klingelt Karl Ich war ausser mir vor Freude hatte ich doch ein halbes Jahr vorher in sauberster […]