Männermode

Virgil Abloh for Louis Vuitton S/S 2019 – Ein Kommentar.

von Martin Labisch.

Vergangenen Donnerstag war es nun soweit. Virgil Abloh hat als Nachfolger von Kim Jones seine erste Kollektion als Artistic Director für Louis Vuitton präsentiert. So viel vorweg: der „Wow“- Moment war auf jeden Fall gegeben! Die Show wird wohl als popkulturell ikonischer Moment in die Modegeschichte eingehen. Doch was steckt hinter dem Hype, der Virgil Abloh und alles was er anfasst, umgibt? Und warum schreibe ich darüber?
Daher möchte ich mich bei meinem Debüt als Horstson-Contributor kurz vorstellen: Ich bin Martin, 29, aus Stuttgart und habe nach meinem abgeschlossen Masterstudium der Kunstgeschichte, mit Fokus auf der Modegeschichte und der Malerei der Moderne, in diesem Semester eine Individualpromotion über Modetheorie bei Prof. Dr. Barbara Vinken begonnen. Die Mode ist also gewissermaßen mein Fachgebiet und als fanatischer Verfolger aller Modewochen und Beobachter von Trends, bin ich bisher ein lautstarker Kritiker Virgil Ablohs Schaffens. Bleibe ich es? Vielleicht konnte mich seine erste Show für Louis Vuitton ja eines Besseren belehren:

Von vielen wird Virgil als erster Designer mit afrikanischen Wurzeln bei einem großen europäischen Modehaus gefeiert. Dabei vergessen sie, dass Ozwald Boateng von 2004 bis 2007 als Head of Menswear bei Givenchy tätig war und übersehen auch Olivier Rousteing, der seit 2009 Creative Director von Balmain ist. Trotzdem fühlt sich Virgil bei Louis Vuitton bedeutender an. Abloh gilt als Musterbeispiel eines Mode-Autodidakten, der als ausgebildeter Stadtplaner und Architekt nun die Mode revolutioniert. Aber tut er das auch wirklich? Was auch immer man von seinen Entwürfen halten mag, er stößt auf jeden Fall viele Diskussionen an. Sonst würde ich auch nicht angehalten sein, diesen Artikel hier zu schreiben. Virgil bewegt etwas. Was inhaltlich bleibt, ist dabei erst ein mal egal. Dass der Hype real ist, zeigen auch die Preise für die T-Shirts aus den Goodie Bags dieser ersten, nun schon legendären Louis Vuitton Show Ablohs, die auf Grailed zwischen 1000 und 5000 Dollar rangieren.

Thematisch beschreibt Virgil mit seiner ersten Kollektion für das französische Luxuswaren-Unternehmen gewissermaßen seine eigene Reise zu diesem renommierten Modehaus. Er fühlt sich wie Dorothy im zauberhaften Land des Wizard of Oz. Ähnlich wie der Film von 1939, mit Judy Garland in der Hauptrolle, begann Virgils Mode-Karriere mit einfachsten Mitteln. Der Schwarzweiß-Beginn des Films kann als Simile zu den bedruckten T-Shirts von Ablohs erstem, 2012 gegründeten Modelabel Pyrex Vision gesehen werden und findet sich in den monochromen Outfits zu Beginn der Louis Vuitton Show für S/S 2019 wieder. In sechs Jahren vom eigenen T-Shirt Label zum Artistic Director bei Louis Vuitton. Lasse ich mal so stehen, quite an achievement.

Der Laufsteg in Regenbogenfarben bezieht sich auf Virgils eigene Aussage, dass er bei Louis Vuitton nun Zugang zu allen Farben des Spektrums hat. Das hervorragende Atelier des Modehauses kann alles herstellen, was der US-Amerikaner sich so vorstellen mag. Vielleicht zu viel?
Mögen etwa die weit geschnitten Hosen für den 08/15-Modeinteressierten avantgardistisch wirken und die Ansätze von dekonstruierter Kleidung à la Margiela und Yamamoto revolutionär wirken, so sind sie für Kenner des Faches wahrlich nichts Neues. In den letzten Jahren hat man in der Männermode längst mit Hedi Slimanes, immer noch die Straßen deutscher Großstädte dominierendem, Slim Fit-Look abgeschlossen, doch Louis Vuitton und Virgil bugsieren das Thema einer neuen Silhouette in den Mainstream und in das Sichtfeld des Zeitgeistes: in die News Feeds der Generation Z auf Instagram. Als kleines Zwischenresümee zur Kollektion kann ich sagen, dass allein die Silhouetten, sprich, die weiteren, für den Mainstream avantgardistisch wirkenden Schnitte, und auch die clevere Referenz zum Wizard of Oz mich positiv überrascht haben. Auch hat Virgil die Ideen für seine Mode zum ersten Mal nicht komplett bei der Konkurrenz abgeschaut. Sämtliche Off-White Kollektionen erinnern doch wiederholt an die vordatierten Saisons seiner Kollegen von Vêtements und Balenciaga, plus gebrandeter Nike-Sneaker, die jegliche konstruktive Innovationen vermissen lassen. Ablohs Kleidung wirkt oft wie aus einer textilen Bastelstunde, nur dass das Atelier Louis Vuittons es nun versteht, Virgils kindische und oft naiv wirkenden Ideen durch hohe Handwerkskunst hervorragend umzusetzen und diese plötzlich nach guter Mode aussehen zu lassen.

Viele Looks aus dieser Show für S/S 19 ziehen Referenzen zu aktuellen Streetwear- Trends. Virgil macht, wie immer, also eigentlich nichts Neues. Herr Abloh lässt uns seit jeher rätseln, ob er bewusst Referenzen zu anderen Modedesignern zieht, dann sollte er dies aber doch bitte kenntlich machen oder verkünden, oder deren Arbeiten schlicht nicht kennt und zu einem späteren Zeitpunkt zu einer gleichen textilen Lösung gekommen ist. Leider denke ich, trifft eher die erste Theorie zu und er bedient sich schamlos, querbeet durch die ältere und neuere Modegeschichte. Der Vorwurf des Kopisten ist bei Entwürfen von Virgil Abloh nie fern. Es gibt einen Unterschied zwischen dem Nutzen anderer Entwürfe als Inspirationsquelle und dem bloßen Imitieren von Gegebenem. Das Prinzip des Tigersprungs ist essenziell für die Mode, doch Virgil verkauft fremde Entwürfe stets als seine eigenen und darf daher nicht als innovativer Designer gelten. Auch dieses Mal hat er sich munter an den aktuelle Angeboten anderer Modeschöpfer bedient. Allein die Idee von Arbeitshandschuhen als Kleidungsstück für den Alltag sah man schon in zahlreichen Shows vergangener Saisons.

Irgendwie fehlt der Kollektion jedoch die klare Linie. Sind alle Farben des Spektrums vielleicht zu viel auf ein Mal? Die Parallelität des Farbeinsatzes zum Wizard of Oz beizubehalten, dessen Sequenzen im zauberhaften Land, die „not [at] home“ (siehe Aufdruck Goodie Bag Shirt) im schwarz-weißen Kansas spielen und daher in farbigem Technicolor gedreht wurden, ist ein genialer Kniff Virgils. Chapeau Abloh! Konnte er erste Teil der Kollektion schnitttechnisch noch überzeugen, so wirkt dieser farbige Teil nun leider etwas trivial, ist geschwängert von alten Streetwear-Ideen und Skate-Styles aus Virgils Pyrex Vision Zeit und lässt die DNA des Hauses Vuitton vermissen, da wohl eher darauf geachtet wurde, kommerziell gut verkäufliche Kleidung zu schaffen, die aktuell sowieso schon gefragt ist. Bedruckte Windbreaker und der Normcore-Dad-Look sind eigentlich gerade in Mode, langweilen fast schon wieder, bleiben auch wegen Virgil nun wohl aber vorerst trendy.

Bei genauerer Betrachtung vieler Teile enttäuschen die auf den ersten Blick clever wirkenden Ideen jedoch. Accessoires und Kleidung aus PVC erreichen ihren Trend- Höhepunkt eher diesen Sommer und kommenden Herbst/Winter. Nächstes Jahr sollte das Thema doch eher durch sein. Hier ist Virgil mal wieder nur Nachahmer und kein Innovator.

Einerseits erscheint die Hologramm-Optik des Vuitton Klassikers „Keepall“ zwar als sehr erfrischend, nur um beim zweiten Hinsehen wie eine 3€-Tasche zu wirken, die man in Antalya am Strand erwerben kann.

Ein Fan der an fast sämtlichen Accessoires angebrachten Gliederketten werde ich auch nicht mehr. Nur in den seltensten Fällen sind sie von Nutzen und sehen auch in Porzellan- Optik eher nach Baumarkt aus – billig und irgendwie zu gezwungen. Eine nette Idee, die zu Off-White und aktueller Streetwear passt, aber nicht zu Vuitton.
Aber das Modehaus will nun eben Streetwear sein, jung erscheinen und eine neue Käuferschaft ansprechen: die Supreme und Virgil-Fanboys. Etwas Positives hat Abloh also schon bewirkt, nämlich dass Louis Vuitton Menswear zum ersten Mal relevant wird. Ja, wirklich! Ich war auch ein großer Anhänger von Kim Jones Arbeit für Vuitton, aber wer hat die Kleidung auch wirklich gekauft? Lange wussten nur Kenner über Jones Qualität Bescheid. Das Bewusstsein für Männermode von LV kam erst mit der Supreme- Kollaboration in das Bewusstsein des Mainstream. Und, da müssen wir uns nichts vormachen, genau da will LVMH die Marke auch platziert haben. Interessant ist für den Modegiganten eher eine regelrechte Ausbeutung der Fangruppen Ablohs, als innovative Kollektionen zu präsentieren. Virgil bringt neue Ideen zu Vuitton, derer er sich zwar oft woanders bedient, jedoch versucht er immer mehr etwas eigenes daraus zu kreieren. Eigentlich arbeitet er wie sein Freund Kanye West, der Virgil Abloh lange als partnerschaftlich agierenden Creative Director all seiner visuellen Produkte beschäftigt hatte, es bei der Produktion seiner Musik macht: er samplt. In Wests Musik ist der Fortschritt und das Erschaffen von etwas noch nicht Dagewesenem allerdings deutlicher, als es bisher in Virgils Mode der Fall war. Dank den Spezialisten in seinem Atelier wird ihm das nun wohl aber mehr und mehr gelingen.

Noch zwei kurze Anmerkungen zu Teilen aus der Kollektion, bevor ich zu meinem endgültigen Resümee komme. Die diversen, am Oberkörper zu tragenden Taschen, die Virgil auf den Laufsteg geschickt hat, sah man schon häufig in Kollektionen vor allem japanischer Designer, auch Porter-Yoshida & Co bietet vieles in diese Richtung an. Irgendwie komisch, dass bei Vuitton gezeigte Accessoires an andere Labels erinnern. Seit jeher war eigentlich genau das Gegenteil die Regel.
Auch die sportiven Westen mit auffällig großen Taschen sieht man insbesondere bei UK- basierten Labels schon seit mehreren Saisons. Naja, Virgil hat Trends wiederholt erkannt und bringt sie auf die große Bühne.

Eine weitere Enttäuschung sind die gezeigten Sneaker. Sie sehen einfach aus wie Jordans, plus verdächtig Prada-eskem Klettverschluss am Schaft. Ganz schwach kopiert. Die veraltete Silhouette nur durch Branding-Ideen erweitert und eigentlich voll in die Kerbe unterdurchschnittlicher Sneaker-Entwürfe großer Modehäuser geschlagen, wie man sie eigentlich aus den frühen 2000ern kennt.

Irgendwie war diese Kollektion einfach zu viel. Virgils Angebot für S/S 2019 wirkt wie das eines unreifen Kindes im Spielzeugladen, das von allem etwas mitnehmen darf. Der Zugang zu allen Möglichkeiten der Modeschöpfung, die ein Haus von Louis Vuittons Größe bietet, scheint für Virgil noch eine zu große Last zu sein. Doch genau dies könnte wiederum den Schlüssel zu seinem Erfolg darstellen. Seine kaufkräftige Fangruppe, vornehmlich aus der mit dem Internet aufgewachsenen Generation Z stammend, hat durch das Smartphone alle Möglichkeiten in der Hand und weiß bisher auch nicht so recht, was damit anzufangen ist. Diesen Zustand hat Virgil Abloh mit einer fast schon romantischen Referenz an Dorothy wahrhaft ikonisch eingefangen. Die Strahlkraft des Events an sich, mit Größen aus der Musik- und Kunstbranche (Kanye West, Skepta, Rihanna, Takashi Murakami) als Gäste, Künstlern wie Kid Cudi, ASAP Nast und Playboi Carti als Models auf dem Laufsteg, hat die Qualität der gezeigten Mode übertroffen. Dass Abloh soziale Medien als erster Designer bewusste anfing zu nutzen, hat ihn innerhalb von sechs Jahren vom eigenen T-Shirt Label zu Louis Vuitton gebracht. Und Kanye West – dessen Bekanntheit Virgil natürlich mehr als nur ein wenig half, überhaupt in die Modebranche zu kommen.

Es gibt vieles zu sagen – und, wie jeder Leser gemerkt hat, zu schreiben – über Abloh und seine Mode. Einzig sein durch glückliche Umstände entstandener Bekanntheitsgrad hat ihn so weit gebracht, wie er jetzt ist: an der Spitze der Modewelt 2018. Präsentiert hat er viel Kaufbares, viel Tragbares, einiges Missglücktes und damit eine insgesamt durchwachsene Kollektion, mit aber vielleicht genau der richtigen Menge an Innovationskraft, um Mode einer breiteren Masse zugänglich zu machen. Virgil ist mehr Star als Designer, dafür dass er alles macht und es zeigt, aber nicht dafür wie er es macht. Virgils Entwürfe sind eigentlich keine Mode, sondern sein Merchandise. Mal sehen, was man nächsten Sommer davon auf der Straße wiederfinden wird.

Inspirierend und zur Nachahmung empfohlen ist die wichtigste Message Virgil Ablohs: jeder kann es so weit bringen!

  • fred
    28. Juni 2018 at 11:13

    „popkulturell ikonischer Moment in die Modegeschichte eingehen.“

    Na ja, so weit würde ich nicht gehen. Wir haben bei LV viel Street gesehen. Viel von dem, was wir ohnehin jeden Tag sehen. Nur eben ohne das LV Label. An der Hochschule, an der ich unterrichte, habe ich seit Jahren LV, eben ohne Label. Helle weite Jeans, dicke Sneaker etc.
    Eine gute Show, aber eben eher als Resumee zu sehen, was es im Moment ohnehin gibt. Neulich habe ich gelesen: „Die Männer im edlen Zwirn wollen aussehen, wie die Jungs von der Strasse“. Das ist recht treffend.

  • Peterkempe
    28. Juni 2018 at 12:17

    Genau der richtige Weg die Luxus Brand konsumierende Generation die heute 20 – 35 ist will Normcore Teile, die sie immer schon kennen nur verwandelt in andere Materialien oder mit dem gehypten Label das gerade angesagt ist. Die Design Leistung liegt nicht mehr im konstruieren, sondern alltäglichen Dingen den Kick zu verleihen, der fuer alle auf Insta und Co. deutlich sichtbar ist und direkt ins Auge faellt.

  • fred
    28. Juni 2018 at 12:46

    @PK
    Ist das nicht etwas langweilig. Vor allem auch für den Designer? Was ist mit den Leistungen, wie sie ein YSL vollbracht hat? Neue Silouhetten erfinden etc.? Geht es nicht nur ums Geld? Den Leuten das geben, was sie kennen, nur eben teuer?
    Bleibt der „Entwurf“ dabei nicht auf der Strecke? Ich sehe im Moment vor allem auch viel 90er und 2000er Entwürfe. Vieles habe ich schonmal getragen. Nur eben ohne LV Label.

  • Peterkempe
    28. Juni 2018 at 14:22

    @Fred Genau das ist ja das Problem des Fashion Systems im Moment. Man will keine Persoenlichkeiten mehr und Yves Saint Laurent wuerde heute gar keiner mehr beschäftigen. Schon 1960 wurde er bei Dior ausgetauscht auf unschöne Weise und musste sich selbständig machen, weil man lieber etwas angepassteres wollte. Reproduktion ist der Zeitgeist, weil die Generation nach uns von allen geliebt werden will um durch zu kommen. Daran scheitert die Mode an sich, die als Passion revolutionieren will und es kommt eben auf den Zeitgeist der Gewoehnung und der Langeweile heraus um nur noch den Cashflow zu sichern. Das System wird eines Tages sich selbst überleben und die Karten neu gemischt werden, weil jede Generation ihre eigenen Idole begräbt und neue Tendenzen erscheinen. Das ist der Lauf der
    Welt sonst würden wir ja auch noch Worth, Paquin, Poiret oder Vionnet tragen.

  • vk
    28. Juni 2018 at 15:34

    bravo martin!
    wunderbarer artikel. differenziert, prononciert, meinungsstark. das ist eine sehr schoene kombination. bravo! laesst viel erwarten. schreib hier oefter!

  • JayKay
    28. Juni 2018 at 17:13

    Danke Martin, für deine ausführliche Einschätzung.
    Es hat noch mal vieles deutlicher gemacht.

    Danke Peter Kempe für den Satz: „Reproduktion ist der Zeitgeist“
    Damit ist eigentlich schon alles gesagt.

  • fred
    28. Juni 2018 at 18:08

    @PK
    Das stimmt.
    Von allen geliebt werden. Das ist wahrscheinlich das eigentliche Problem im Moment. Gibt es nicht den blöden Satz: „Everbodys Darling is everybodys Depp.“? Und damit meine ich nicht Johnny Depp.

  • Maximilian
    29. Juni 2018 at 11:11

    Sehr schöner Artikel, ich freue mich auf mehr.

  • Stephan Meyer
    2. Juli 2018 at 13:28

    Irgendwie warten die Modeleute ja immer auf den nächsten Propheten aber Virgil ist es wohl eher nicht. Mir kommt vor, als ob die Mode hier egal wäre und nur das soziologische Phänomen bemerkenswert ist!