(Bild: Julia Kraft)
Vor einigen Tagen stolperte ich über einen Artikel von Alfons Kaiser in der FAZ, in dem er ein Interview mit Florian Winges führte. Winges bekam mit der Stuttgarter Polizei Ärger wegen „Amtsanmaßung“, da er einen Regenmantel des gehypten Pariser Labels Vetements mit der Aufschrift „POLIZEI“ trug.
Was man zunächst für einen Schildbürgerstreich hält, der dem Träger, gewollt oder ungewollt, viel Aufmerksamkeit verschafft, ist tief im deutschen Recht verankert. Uniformteile der Polizei dürfen nur Leute tragen, die auch im Dienste der Polizei stehen – so einfach ist es eigentlich.
Vetements macht Alltagskleidung bzw. Elemente der Arbeitskleidung zum Bestandteil der Kollektionen – mit zum Teil absurden Folgen: Was im Onlineshop der DHL pro Stück 6,95 Euro bei Bestellung von 100 T-Shirts kostet, schlägt bei Vetements mit 245 Euro zu Buche. Kein Wunder, dass findige Ebayer die en gros gekauften Shirts des Paketversenders als Modehit anbieten und damit beachtliche Summen erzielen.
Vetements will damit provozieren und den Alltag und die Tragbarkeit der Straße in die Mode zurückbringen. Das Label hat einen hochprofessionellen Ansatz. Der Kopf hinter dem Hype, Demna Gvasalia, bringt alle Voraussetzungen von solidem Designer und kompetenter Ausbildung mit, ist seit dieser Saison „Head of Design“ beim altehrwürdigen Modehaus Balenciaga, hat in Antwerpen studiert … Nach Stationen bei Maison Martin Margiela und Louis Vuitton hat sich Gvasalia mit einer Art Kollektiv von mehreren, ständig wechselnden Designern zu Vetements zusammengeschlossen.
Mit dem Label ging’s gleich zum Anfang steil bergauf: Louis Vuitton-Förderpreis und schon nach zwei Saisons bei den besten Geschäften und namenhaften Onlinehändlern vertreten. Die Sachen werden alle in Europa produziert, zum Teil sogar recycelt, um auch individuelle Teile produzieren zu können und nicht, wie die meisten Modemacher, an große Serien gebunden zu sein. Vetements machte Modenschauen in Sexlocations und alles wirkt off und improvisiert. Alle Grundsätze des Unternehmens entsprechen dem, was wir eigentlich mögen: freundschaftliche Zusammenarbeit, faire Produktion und eine Attitude, die „Raus aus dem Elfenbeinturm der Mode, rauf auf die Straße“ zu schreien scheint. Marktforschung scheint bei Vetements eher im Nachtleben und in der U-Bahn stattzufinden. „Es geht um die Leute auf der Straße und was sie wirklich tragen“, erklärte Gvasalia in diversen Interviews, auf die Frage, wie die Vetements-Firmenphilosophie sei. Klingt alles gut, ist aber bei Weitem nicht neu in der Branche: Jean Paul Gaultier fing ebenso mit recycelten Jeans an und Kenzo Takada arbeitete in einem japanischen Kollektiv. Doch die Zeiten haben sich grundlegend geändert und dennoch bekommt sich die Modebranche vor Begeisterung gar nicht mehr ein – so fand die Präsentation bei Colette auf einem einfachen Rollständer im Schaufenster statt, an dem eine Plastiktüte schlapp runterhing, als hätte man seine Wäscheklammern darin verstaut. Dabei sieht die Kollektion beim näheren Hinsehen aus, als würde man Kleidung für die Altkleidersammlung bereithalten, die von der Proportion her wie vom Bügelautomaten in Schnellreinigungen wirkt.
Um Vetements wird auch deshalb so ein Hype gemacht, weil das Label unsere Sehnsucht nach dem Einfachen und Simplen bedient – also die Dinge, die Luxusmarken zum Teil komplett außer Acht lassen. Was tragen heute Menschen, die früher Maison Martin Margiela oder Helmut Lang gekauft haben?
Der Grund für den Hype könnte auch darin liegen, dass die nachfolgende Generation der Twentysomethings sicherlich nicht zu den Modemarken greifen wird, die meiner Generation anerzogen wurden. Hat die Generation, die sich nicht um große Autos, sondern um chice Fahrräder und technische Neuheiten reißt, wenn sie in der Managementebene angekommen ist, das Bedürfnis, die Marken zu tragen, die heute „in“ sind? Sicherlich nicht, denn wir tragen heute auch nicht mehr Poiret oder Vionnet, wie es unsere Großmütter getan haben.
Karl Lagerfeld hat es einmal passend ausgedrückt: „Jede Generation begräbt ihre eigene Generation.“ Der häufige Vorwurf, nachwachsende Designer haben keine Ideen mehr oder sie nur das wiederholen, was es schon mal gab, wird meistens von den Menschen geäußert, die fortgeschrittenen Alters sind. Durch einen sehr engen Schauenplan, unzählige Kollektionen und einem Shareholder Value-System wird den meisten Designern gar kein Raum mehr für Kreativität gelassen. Wie soll man auch Ideen entwickeln, die plakativ und spektakulär sind, wenn man unter Druck steht und die Uhr läuft? Hunderte Ideen in einem Teil bis zum vollständigen Überladen und der gepflegten Langeweile. Liegt die Provokation von Vetements also in der Normalität?
Es ist gut, aber wenig provokant, im Luxussegment – und dort befindet sich Vetements zumindest preislich, auch wenn sich das Label nach außen als bescheiden darstellt, mit der Arbeitskleidung von schlecht bezahlten Lohnsklaven als Statussymbol zu arbeiten.
Vetements ist nicht irgendein kleines Interdependent-Label, das in Hinterhöfen produziert, sondern ein nach akkuratem Businessplan funktionierendes Unternehmen mit Demna Gvasalia an der Spitze. Demnas Bruder, Guram Gvasalia, arbeitet in dem kaum drei Jahre alten Unternehmen als CEO. Der gerade dreißigjährige ist dabei insofern erfolgreich, als dass Vetements Profit abwirft. Die Marke ist so professionell wie ein großer Luxuskonzern aufgebaut und was so wirkt, als würden junge, gut ausgebildete Enthusiasten Kollektionen entwerfen, hat Hand und Fuß und strenge Disziplin.
Dass Vetements so gehypt wird, kann ich in der Generation der jüngeren Modekonsumenten und auch von jüngeren Redakteuren verstehen – das Neue besteht eben nicht im Neuen. Dass es allerdings die „stärksten Kollektionen ever“ sein sollen und dass sie von 70-jährigen Modekolumnistinnen als Innovation gefeiert werden, hat vielleicht auch mit dem Einheitsbrei und der Profillosigkeit von Luxusmarken mit ständig wechselnden Designern zu tun. Mode soll Spaß machen und die Fantasie beflügeln. Das scheint Vetements bei vielen Konsumenten zu bewirken und zumindest auch die deutsche Polizei zu provozieren. Um aber eine Revolution auszulösen, da müssen – mit Verlaub gesagt – andere Dinge in der Mode passieren. Vielleicht ist es einfach auch nicht an der Zeit für große Umbrüche? Oder gerade? Ein DHL-T-Shirt oder ein Polizeimantel reichen sicherlich nicht, um mehr als die Stuttgarter Polizei auf den Plan zu rufen.
Mein Anspruch an die Luxusbranche ist ein völlig anderer. Eigentlich ist es sogar schade, dass die Menschen mit so wenig Revolution im Kleiderschrank zu begeistern sind. Florian Winges wird sich deshalb nicht abhalten lassen, weiter bei Vetements einzukaufen und das ist auch gut so. Zu meiner Beruhigung trägt er zum Polizeimantel Slipper von Gucci. Dass junge Leute wiederum ein so arriviertes Label mögen, das aktuell auch, wenn auch mit einem anderen Anspruch, provoziert, ist dann wieder ein versöhnlicher Gedanke …
Serven
21. April 2016 at 22:18Wir warten ab, wie sie Vetements weiter entwickelt.
irgendwann verkrachen sie sich, das Kollektiv spaltet sich auf.
Die einen wollen mehr Luxus machen, mehr Geld etc.
Der Hype kam extrem schnell. Wenn man überlegt, wer in den
letzten fast 20 Jahren als Hype bei Colette hing. Colette ist
bekannt dafür, Brands ein, bis zwei Kollektionen lang zu zeigen
und sie dann fallen zu lassen. Colette ist keine Boutique, die
eine Marke trägt und mit aufbaut. Colette hat ein sehr strenges,
fast konservatives Programm, das durch Hypes gebrochen wird.
Sobald die aber nicht mehr funktionieren und sie nicht mehr
jeder von der Stange reisst, dann zieht Colette schnell den
Schlusstrich.
Es gab einen jungen Designer vor einigen Jahren, der etwas
Aufsehen erregt hat, mit Trenchcoats mit Animal-Prints. Sie
waren gut gemacht und sahen auch wirklich gut aus. Er hat
bei Colette verkauft und bei Dover Street Market. Ich habe
einige Interviews mit ihm gelesen. Er hat sich stilecht präsentiert,
mit weissem T-Shirt, vor Schneiderpuppe. Nach der zweiten
Saison hat Colette nicht mehr geordert. Da war dann ein anderer
dran. Wie geht es dann weiter?
Wir müssen also schauen, wie es mit Vetements läuft.
Alltagsklamotte haben viele gemacht. Aber wie geht es damit weiter?
Gibt es nur die gute Anfangsidee, die den Hype macht oder gibt es
dann irgendwann, wenn es um die Substanz geht, auch einen Willen
zur Gestaltung, der das ganze dann auch langfristig trägt?
Monsieur_Didier
21. April 2016 at 23:57…ein toller Artikel Peter mit vielen sehr guten Überlegungen…!
Vk
22. April 2016 at 08:17Jawoll. Toller text. Feinste fruehstueckslektuere.
Martina
22. April 2016 at 08:19Gut analysiert. Vetements wird in meinen Augen hoffnungslos überschätzt. Im Unterschied zu einer Hose von Helmut Lang, die man jetzt noch gerne hätte, will in 20 Jahren bestimmt niemand mehr ein T-Shirt mit DHL auf der Brust. Es ist wie mit Buffalos, die sind einem heute auch peinlich 😉
Die Woche auf Horstson – KW 16 / 2016 | Horstson
24. April 2016 at 13:04[…] allwöchentlichen Rückblick auf die vergangenen Horstson-Tage: 1) Wissenswertes über Vetements, DEM Label der Stunde und warum ein Mantel aus der Kollektion dank seines Schriftzugs für […]
Siegmar
25. April 2016 at 10:41kann mich den Vorrednern nur ein anschließen, der Artikel ist, wie immer, toll und der Hype um die Marke ist mir nicht verständlich. Was ich bisher von Vetements gesehen habe, würde nicht den Weg in meinen Kleiderschrank finden, da hängt übrigens eine fas 20 Jahre alte tolle Hose von Helmut Lang. Ich laufe auch nicht freiwillig mit einem DHL T-Shirt rum, das machen Fans des DHL-Hubs in Leipzig.
Ben
25. April 2016 at 15:12Mal nicht so kleinkariert hier. Vielleicht nicht der Geschmack von jedem, aber so Scheiße auch wieder nicht!!!
Siegmar
25. April 2016 at 16:40@ Ben
warum kleinkariert, ich finde tatsächlich nichts an den Klamotten 😉