Von der im Januar im Grand Palais vorgestellten Haute Couture Kollektion von Karl Lagerfeld für Chanel waren alle begeistert. In einer Art Blütenrausch begrüßte sie in einem Gewächshaus voll mit exotischen Papierblüten und Pflanzen den Frühling. Während jetzt in der Rue Cambon und auf einigen exklusiven Terminen, zu denen Direktricen mit der Kollektion rund um den Globus reisen, die Kundinnen bestellen und dann die Bestellungen in den Couture Ateliers ausgeführt werden, laufen parallel die Entwicklungen der nächsten Prêt-à-porter auf Hochtouren.
Aber nicht nur die Kollektionen müssen entwickelt werden – die Ateliers arbeiten daneben noch an Sonderprojekten, wie zum Beispiel dem Oscar-Kleid für Julienne Moore, das Karl Lagerfeld speziell für diesen einen Auftritt entworfen hat. Oder es wird an Brautkleidern gearbeitet, die immer wieder von den Töchtern der Society bestellt werden. Dies sind meist auch extra entworfene Modelle, die sich an die Couture anlehnen.
Die vielen Direktricen und die Schneiderinnen in den Ateliers „Tailleurs“ und „Flou“ – das eine ist zuständig für Kleider, Kostüme und Mäntel, das andere für die fließenden Materialien – sind nicht ganz allein mit ihrer vielen Arbeit, denn es gibt ja die Paraffections Ateliers, die der Rue Cambon zuarbeiten.
Chanel hat es erfunden, viele Häuser tun es Ihnen jetzt nach: durch Making-of-Filme und Dokumentationen gibt es die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu schauen. Die Schwerpunkte bei den einzelnen Kollektionen liegen oft auf verschiedenen Techniken und so gibt es auch in diesem Frühjahr viel Neues zu sehen. Haute Couture basiert auf uraltem Handwerk und, wie unser Aufmacherbild aus dem Jahr 1932 zeigt, hat sich die Arbeit im Kern nicht verändert. Natürlich gibt es neue Materialien und neue Techniken, wie Lasercut, mit dem es heute einfacher ist, Tausende von Blüten auszuschneiden. Auch sind neue Materialien hinzugekommen, wie Glasfasern und Silikon (im Métiers d’Art Video sieht man, wie die Blütenblätter gegossen werden). In der letzten Haute Couture wurde zum Beispiel auch Beton und Zement für Schmuckelemente und Stickereien verwandt.
Vor Karl Lagerfeld ist fast kein Material sicher und entdeckt er ein neues Verfahren, wird in den einzelnen Betrieben so lange experimentiert und geforscht, bis es perfekt verarbeitet werden kann. Während Lesage den Fokus auf traditionelle Materialien und Stickereien hat, ist Montex auf moderne Stickereien, Applikationen und das Arbeiten mit Hightech-Materialien spezialisiert. Die Motive für die „Paris-Salzburg“-Kollektion wurden hier in wochenlanger Arbeit hergestellt.
Gérard Lognon, ein Atelier, das 2013 dazugekommen ist, kann komplizierte Plissee-Faltungen und Plissees, die an Origami erinnern, herstellen. Nicht nur dass das Handwerk durch den Erwerb erhalten wird, sondern auch die Materialien, die zum Teil in den Lägern schlummern, werden genutzt oder in der Herstellung rekonstruiert, sodass auch andere Firmen die Betriebe gerne buchen. Obwohl Lognon zu Chanel gehört, hat beispielsweise Raf Simons seine Bänderröcke der letzten DIOR-Couture dort herstellen lassen.
Das älteste Atelier, das die Idee auslöste, solche Betriebe zu kaufen, zu nutzen und zu unterhalten war Desrues – Chanels Knopf- und Broschenmacher. Karl Lagerfeld entdeckte schnell nach seinem Eintritt in das Haus, welche Perlen an Zulieferern den Vorsprung und die Spezialität des Hauses ausmachte. Nur waren viele der Firmen sehr klein und die Inhaber sehr alt. In den Achtziger und Neunzigern fast aus der Mode gekommen, wollte niemand diese Firmen, die meist in Hinterhöfen wie am Beginn der industriellen Revolution saßen, übernehmen. Durch den Kauf wurde nicht nur die Existenz gesichert. Parallel wurden Programme gestartet, Berufe wie den Textilblumen-Macher bei Lemarié oder Guillet wieder attraktiv zu machen. Geht man heute durch die Ateliers, sieht man fast nur junge Leute neben den erfahrenden Meistern agieren.Die Paraffections Ateliers und auch die Haute Couture Werkstätten sind begehrte Arbeitsplätze. Viele Leute, auch die mit „Bac“, dem französischen Abitur, entscheiden sich heute wieder für ein Handwerk. Robert Goossens macht den aufwendigen Schmuck in Bronzeguss-Technik und Feuer-Vergoldung. Causse ist für die Handschuhe zuständig und Michel für die Hüte. Die Couture-Schuhe werden mitten in Paris gegenüber von Cartier an der prächtigen Rue de la Paix bei Massaro hergestellt. Nebenbei machen die meisten Ateliers auch ihre eigenen Kollektionen, so kann man sich bei Massaro auch Maßschuhe anfertigen lassen und Michel hat in der Rue Cambon, direkt neben Chanel, einen eigenen Hut-Laden. Über die Paraffections Ateliers hinaus kooperiert Chanel auch mit anderen Betrieben in Frankreich wie zum Beispiel dem Stickerei-Konservatorium in Luneville (Lothringen), wo Sticktechniken gelehrt und ausgeführt werden. Hier wurde zum Beispiel das Oscar-Kleid von Julienne Moore bestickt, wo sechs Stickerinnen 150 Stunden die Vorarbeit dafür geliefert haben, damit Montex dann in weiteren 600 Stunden die Blüten daraufsetzen konnten.
Schaut man sich das Behind-the-Scenes-Video an, sieht man, wie sich bei den Fittings das zusammenfügt, was einmal in einer Skizze entstand. Was alles nötig ist und wie mühsam jeder einzelne Arbeitsschritt ist, fasziniert in jeder Saison. Jede Phase muss mit Erfahrung, Akribie und Fingerspitzengefühl gemacht werden. Kein Schritt darf danebengehen und man muss bedenken, dass die Uhr den einzelnen Handwerkern im Nacken sitzt. Karl Lagerfeld fordert jedem einzelnen Mitarbeiter Höchstleistungen ab und entwickelt so die Couture immer weiter.
Es heißt, Handwerk habe goldenen Boden. Bei den Ateliers der Haute Couture von Chanel scheinen es nicht nur doppelte, sondern dreifache Böden zu sein, denn das meiste sieht man ersten auf den zweiten Blick: Couture-Kleider sind für die Ewigkeit geschaffen. Das wird einem spätestens dann klar, wenn man einmal so ein Atelier besucht hat. Wie schön, dass es in einer schnelllebigen Welt so etwas noch gibt. Die Frage der Nachhaltigkeit stellt sich in den Ateliers hingegen nie – Träume sind das Nachhaltigste der Welt. Träume sind ewig …