Pigozzi ruft nach München – Noch vor ein kurzem, ich war mit meinem Freund on tour auf dem Elbjazz-Festival im Hamburger Hafen, musste ich mir doofe Sprüche in Sachen Selfie-Schießen anhören: Ne klassische „Ach, die Jugend weiß nur sich selbst zu fotografieren und denkt an nichts anderes mehr“-Klatsche samt verächtlichem Kopfschütteln. Ausgesprochen von einer ziemlich frustriert wirkenden Dame mittleren Alters, die sich nicht mal für die samba-frohe Musik auf der Bühne begeistern konnte und stur auf ihren Bierbecher stierte. Normalerweise tangieren mich abschätzige Aussagen fremder Leute gen Null, hier war ich doch etwas irritiert. Warum? Weil ich A: Pauschalisierungen aus Prinzip schon unnötig finde, B: gar nicht mal so häufig Selfies mache und C: noch am Abend vorher über die Entwicklung der Selbstfotografie gelesen hatte. Im Rahmen meiner Masterarbeit verschlinge ich momentan das ein oder andere Buch mit Berührungspunkten der Bereiche Kunst, Mode und Luxus. Einen wichtigen Namen in diesem, mal mehr oder wenig eng geflochtenen Business, hat sich der Fotograf Jean Pigozzi gemacht.
Der französisch-italienische Lebemann kam mir mit seinen Publikationen wie z.B. „Pigozzi’s Journal of the Seventies“ in den Kopf, als besagte Dussel-Dame vom Festival ‘nen Abgang machte und vermutlich woanders weiter stänkerte. Pigozzi hatte schon in den 1970er-Jahren damit begonnen, Selfies von sich und anderen Personen zu schießen. Auf einer Harvard-Party nahm er sein erstes Doppelportrait mit Faye Dunaway auf. Damit sollte er eine Passion für sich entdeckt haben, die ihn später – mindestens auf Kunst- und Modeebene – ähnlich berühmt wie die junge Schauspielerin machen sollte. Pigozzi, aufgewachsen inmitten der Automobildynastie seines Vaters Henri Pigozzi (SIMCA), hatte damals vorrangig nicht mit ungewolltem Feedback auf Festivals zu tun, das Anfertigen von Selbstaufnahmen schien jedoch auch damals nicht der großer Hit gewesen zu sein. Es war schlichtweg nicht etabliert, noch sonderlich beliebt. Der ein oder andere wird zurecht sagen, dass es verpönt war. Trotz allem wurde dieser, damals oftmals als gleichermaßen freundlich wie forsch beschriebene, Pigozzi-Spross fortan zur Anlaufstelle für jeden, der etwas auf sich hielt.
Jean Pigozzi wurde schrittweise zum Bestandteil der New Yorker Society, verkehrte als anerkannter Unternehmersohn und Harvard-Student in den richtigen Kreisen. Dabei konnte er Aufnahmen mit(-samt) Ikonen wie Andy Warhol oder Ed Ruscha ergattern. Dass ging oftmals blitzschnell und so verwundert es auch nicht, dass der Fotograf immer wieder in Interviews fallen lässt, dass er es bei seinen Selfies nie darauf anlegt, schöne Bilder zu machen. Die Liste seiner Foto-Companions (wahlweise ist Pigozzi hinter oder vor der Linse dabei) ist lang, Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone, Catherine Deneuve oder Elle MacPherson sind nur ein paar der Namen, die beim Betrachten des bisherigen Oeuvre des Fotografens ins Auge fallen. Ich für meinen Teil finde mitunter die gemeinsame Aufnahme mit dem Galeristen-Mogul Larry Gagosian verflixt stark und freue mich, tadaa, auf die bevorstehende Ausstellung in München. Richtig gehört: Am 21. Juni eröffnet eine feine Schau in der Galerie IMMAGIS. Circa 40 klein- und mittelformatige Fotografien sollen hier gezeigt werden und ich bin schon mehr als gespannt, welche finale Bildauswahl der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Neben seiner berühmten Serie „Pool Party“ (Horstson-Lesern wird die Ausstellung in der Berliner Helmut Newton Stiftung vom letzten Sommer Erinnerungen wachrufen), kann in München auch seine neue Chronik „ME & CO“ bestaunt werden. Hierbei geht es, wie im Verlauf weiter oben bereits beschrieben, um die vielen spannenden Selbstaufnahmen von und mit Pigozzi, die er in den letzten Jahrzehnten fotografiert hat. Wenn ich an dieser Stelle schreiben würde, dass es sich hierbei um einen „wunderbar nahen Blick in die Welt von Celebrities, Luxus und Rampenlicht“ handelt, würdet ihr mir (nicht ganz zu Unrecht) attestieren, dass ich für irgendein Boulevard-Blatt oder RTL Exclusiv angestellt sei. Wagemutig wie wir hier auf Horstson nun mal sind, tue ich es trotzdem und finde die Umschreibung an dieser Stelle schlichtweg passend. Ich klicke mich just in diesem Moment durch die Fotografien der Pressemitteilung und bleibe mit dem Blick an Aufnahmen von und mit Ai Weiwei haften. Auch der französische Designer Nicolas Ghesquière – sonst oftmals schwer nachdenklich bis missmutig dreinblickend – macht in der Serie „Pool Party“ eine sehr gute Figur.
Ich klappe an dieser Stelle den Rechner zu und verabschiede mich in Richtung Offline-Recherche, meine Abgabe der Masterarbeit rückt Woche für Woche näher. Die Ausstellung versuche ich auf jeden Fall zu sehen und kann einen Besuch bei IMMAGIS in München bestens empfehlen. Bis dahin werde ich bestimmt noch das ein oder andere Foto aka Selfie schießen. Beim nächsten doofen Kommentar spreche ich dann einfach eine Ausstellungsempfehlung aus oder frage einfach, ob er/sie mit aufs Bild möchte –Jean Pigozzi hat sich in den letzten Jahrzehnten mit bestechend-nahen Künstler- und Prominenz-Schnappschüssen einen Namen gemacht hat, vielleicht schafft man es heutzutage auch weniger glänzend mit grummelnd dreinschauenden Fotopartnern? No one knows, aber erstmal lassen wir einem der inoffiziellen Erfinder des Selfies den Vortritt!
Anbei ein paar Impressionen und Informationen zur Galerie, Standort und Öffnungszeiten siehe unten…
Jean Pigozzi: Best of „ME & CO“ & „Pool Party“
Laufzeit vom 22. Juni bis 4. August 2018
IMMAGIS Fine Art Photography
Blütenstraße 1, 80799 München
Tel: +49 (0)151/419 35 868
Öffnungszeiten
Dienstag bis Freitag: 14 – 18 Uhr
Samstag: 11 – 14 Uhr
und natürlich nach Vereinbarung …
fred
19. Juni 2018 at 10:59Nix besseres als Selfies. Mach Dir kein Kopf. Jetzt Selfies machen. Wann denn sonst?