(Martijn van Broekhuizen und Sergei Polunin Terschelling, 2020; Copyright: Anton Corbijn)
Ein Fünfminutenschnipsel der zweiten Dokumentation über den ukrainischen Tänzer Sergei Polunin, Dancer II, zeigt das, was ein ausgezeichneter Fotograf und Filmdokumentar und der beste zeitgenössische Balletttänzer seiner Generation zusammen geschaffen haben.
Man muss nicht zwingend zu jenen Ballettverrückten zählen, die keine Sekunde des jährlichen Prix De Lausanne versäumen, um zu genießen, wie sich Sergei Polunin zum Song „In Your Room“ von Depeche Mode ausdrucksstark bewegt.
Dank dem 2015 von David La Chapelle gedrehten Ballettclip zu Hoziers „Take Me to Church“, ist Polunin längst auch außerhalb der Welt der Ballettratten und Urenkel Nijinskis, Nurejews, Baryshnikovs und Malakhovs bekannt. Wird für sein Talent, die Unangepasstheit – und wenn wir ehrlich sind, auch für sein Aussehen – geliebt.
Er hat künstlerisch viel probiert und sich Zeit gelassen mit neuen Entscheidungen, seit seinem Abgang vom Royal Ballett London. War aber ohnehin auch dort schon ein Tänzer, der mehr auszudrücken vermochte, als insbesondere die Choreographien der großen Klassiker des Balletts zulassen. Manierierte Darstellungen und die technisch absolut perfekten Ausführungen aller Sprünge, Positionen und Drehungen, machen einen großen Teil des Faszinosums des klassischen Balletts aus. Da wird selbst auf den Rist geguckt …
Mit den zeitgenössischen Stücken vieler Companien und weltweit gastierender Ballettstars wie Polunin, werden auch kunstaffine Menschen erreicht, denen klassisches Ballett paradoxerweise zu statisch ist oder stellenweise altmodisch anmutet.
Anton Corbijn und der Choreograf Ross Freddie haben Polunin mit den Freiheiten im Ausdruck versorgt, die es braucht, um das darstellerische Talent des Tänzers erlebbar zu machen. Polunin kämpft mit sich, dem Establishment und den Geistern, die er rief. So hat es den Anschein. Für Corbijn hat Polunin „… den inneren Kampf des Songs unter den widrigsten Umständen so lebendig herausgearbeitet, dass man nur staunen kann, was er hier geleistet hat.“
Gedreht wurde in Nordholland im November.
Das Video ist wie gesagt eine Vorschau auf den kommenden Dokumentarfilm „Dancer II“. Darin geht es darum, wie es zu Polunins Ausstieg aus der Welt des Balletts kam. Er hatte das Royal Ballett infolge psychischer Probleme verlassen und sich einen eigenen Weg gesucht beziehungsweise erarbeitet oder erkämpft. Er ist besser, denn je und zurück im Rampenlicht.
Balletttänzer sind keine Politikwissenschaftler. Durch das Tattoo mit Putins Konterfei auf dem Oberkörper von Polunin wird dieser aber nicht zum netten Onkel Vladimir.
Weil wir gerade beim Thema sind und ein Lesetipp zum Ende des Beitrages: Es gibt schwergewichtigen Anton-Corbijn-Zuwachs für den Coffeetable.
Noch ganz frisch im gut sortierten Buchhandel zu haben: Das Ergebnis von 37 Jahren Zusammenarbeit zwischen dem Fotograf Anton Corbijn und der Band Depeche Mode.
Der Bildband enthält 500 Fotos, darunter einige bisher unveröffentlichte Werke aus Corbijns persönlichem Archiv, Bühnenbilder, Skizzen und Albumcover. Das Buch „DM by AC“ entstand in enger Zusammenarbeit mit Depeche Mode.
„DM by AC – Depeche Mode by Anton Corbijn“
Taschen Verlag, 512 Seiten, 100 Euro.
Anton Corbijn präsentiert hier höchstpersönlich sein Buch.
Markus
11. Juli 2021 at 08:40sensationell