(Bild: Courtesy of Rolf Ekroth)
Vor einigen Tagen fand eines der bedeutendsten Nachwuchsfestivals der Mode statt, aus deren Gewinnern und Teilnehmern in den letzten Jahren viele bekannte Designer hervorgegangen sind. Das 31ème Festival International de Mode et de Photographie in Hyères an der Côte d’Azur setzt in vielerlei Hinsicht Maßstäbe. Wir berichteten bereits im letzten Jahr davon, als es von Karl Lagerfeld kuratiert wurde. Damals gab es nicht nur Einblicke in die Ateliers und die Kultur von CHANEL; ein Highlight war natürlich auch, dass die Deutsche Annelie Schubert gewann. Viele französische Unternehmen rekrutieren ihren Nachwuchs aus den Teilnehmern des Festivals, das vor 31 Jahren von Jean-Pierre Blanc gegründet wurde und das hoch über dem blauen Mittelmeer in der sagenumwobenen Villa Noailles an der Côte Varoise stattfindet. Die Villa, entworfen von dem Architekten Robert Mallet-Stevens für die Pariser Mäzenen Charles und Marie-Laure de Noailles, ist in den zwanziger Jahren als Antwort auf das Bauhaus entstanden. Von Jean Cocteau über Le Corbusier bis zu Christian Bérard oder Jean-Michel Frank, der die komplette Ausstattung für das Haus mit seinen großzügigen Terrassen und Gärten schuf, beherbergte die Villa die Künstlerelite ihrer Zeit …
Bilder: Courtesy of Rolf Ekroth
Neben dem Hauptsponsor CHANEL sind auch Louis Vuitton, Diptyque, Chloé und anderen Unternehmen an der Finanzierung des Festivals beteiligt. Die Jury ist jedes Jahr hochkarätig besetzt, diesmal mit Julien Dossena von Paco Rabanne, Pierre Hardy und anderen internationalen Modeexperten. Die Fotojury stand unter der Leitung von William Klein. Der 88-Jährige war nicht nur einer der Avantgarde-Modefotografen der Sechziger Jahre, sondern drehte auch den Film „Who are you Polly Maggoo?“, der, ähnlich wie „Blow up“; einer der Fashionfilme des Jahrhunderts ist. Der Kultfilm beschreibt auf eindrucksvoll surrealistische Art genau die Atmosphäre der Ära von Courreges und Paco Rabanne. Klein wurde zeitgleich eine große Ausstellung innerhalb der Villa gewidmet, die noch bis zum Sommer geöffnet ist.
Bilder: Courtesy of Rolf Ekroth
Hyères ist ein wichtiger Treffpunkt für Modeschaffende aus der ganzen Welt und so trifft man in lockerer Atmosphäre von Pascale Mussard von Hermès bis zu den Trendscouts von japanischen Modeschulen alles, was sich Gedanken um die Zukunft der Mode und das Potenzial von Menschen macht, die diese gestalten könnten. Ich werde noch ausführlich über das vielschichtige Festival berichten.
In der Rubrik „Mode“ gibt es jedes Jahr weit über 300 Nachwuchsdesigner, die sich bewerben und von denen dann in der Villa Noailles zehn Finalisten ausstellen und ihre Kollektionen auf einer großen Schau präsentieren.
Bilder: Courtesy of Rolf Ekroth
Neben dem Großen Preis der Première Vision Paris werden der Prix Chloé verliehen und der Preis der Stadt Hyères. In diesem Jahr gewann Wataru Tominaga aus Japan den Hauptpreis. Die Finnen Hanne Jurmu und Anton Vartiainen gewannen den Prix Chloé, in dem es darum geht, dass jeder Designer für Chloé einen Look entwirft, der dem Spirit des Hauses, aber auch den eigenen Wurzeln entspricht. Wer Hyères gewinnt oder auch nur unter den zehn Finalisten ist, hat es international fast geschafft. Neben Viktor und Rolf und Julien Dossena ging zum Beispiel auch der neue Saint Laurent-Designer Anthony Vaccarello aus den Wettbewerb hervor.
Einer der diesjährigen Finalisten stach mir besonders ins Auge und wurde während der Tage des Festivals mein absoluter Favorit. Die Männerkollektion des finnischen Designers Rolf Ekroth fasziniert durch seine Verbindung von Sportswear und Couture und einer atemberaubenden Detailversessenheit. Das Handwerk, das Ekroth in seine Arbeit steckt, ist unglaublich. Der lässige und (und überaus sympathische) Finne, der gar nicht der Vorstellung eines glamourösen Designers entspricht, erklärte mir seine Philosophie und seine Beweggründe, Mode zu machen. Dass Finnland nicht zu den klassischen Modezentren der Welt gehört, es dort aber die renommierte Alvar Aalto Design School gibt, macht es doppelt interessant. Der Weg von Finnland nach Paris, auch wenn es in Europa liegt, scheint unendlich weit zu sein. Die Sichtweise des Landes auf den Modezirkus bringt neue Alternativen zu den bestehenden Kollektionen hervor – nicht umsonst waren seine Landsleute Hanne Jurmu und Anton Vartiainen auch unter den Finalisten.
Bilder: Courtesy of Rolf Ekroth
Was mich an Rolf Ekroth besonders fasziniert, ist, dass er nicht so jung wie seine Konkurrenten ist, sondern „schon“ Anfang vierzig. Er wartet nicht mit der typischen Geschichte auf, schon immer Mode machen zu wollen und präsentiert auch nicht die klassische „Erweckungsgeschichte“. Das Leben brachte ihn auf Umwegen dorthin, wo er jetzt steht. Ein Grund dafür, dass seine Kreationen voller Fantasie, ausgereiftem Charakter und technischer und handwerklicher Raffinessen stecken. „Nachdem ich das Highschool Diplom abgelegt habe, entschied ich mich, Sozialpädagogik zu studieren und wurde Sozialarbeiter. Ich merkte aber, dass ich das nicht ein Leben lang machen wollte und vielleicht auch nicht der passende Typ für diesen Beruf bin“, wie mir Ekroth erklärte. „Ich jobbte als Verkäufer in den verschiedensten Branchen von Magazinen, über Sportswear bis zu hin zu Waschmaschinen …
2004 erreichte der Pokerboom Finnland und ich war total fasziniert. Ununterbrochen und in jeder freien Minute spielte ich Poker. Schließlich realisierte ich, dass man damit viel Geld verdienen konnte und ich begann, im Grand Casino in Helsinki als Croupier an den Pokertischen zu arbeiten.
Irgendwann war klar, dass der Lebensstil und der Rhythmus des Nachtlebens nichts für mich ist und stieg für ein Jahr aus. Der Zufall wollte es, dass ich Lust bekam, zu nähen. Also meldete ich mich bei einem Kursus für Anfänger an, der – ich hatte es natürlich nicht geahnt – nur von älteren Frauen belegt war. Die Frauen nahmen mich unter ihre Fittiche; viele konnten stricken, häkeln oder andere Handarbeiten und sie hätschelten mich wie einen kleinen Hund. So kam ich auf den Geschmack, etwas selbst zu schaffen. Ich war von dem Entstehungsprozess fasziniert und suchte den optimalen Weg, damit in Produktion zu gehen. Also besuchte ich im Anschluss in Helsinki eine professionelle Schule für Schneiderei und lernte die richtigen Techniken der Schnitterstellung und der Bekleidungsfertigung. Beim zweiten Anlauf schaffte ich schließlich die Bewerbung für die Aalto Universität und der Klasse für Fashiondesign.
Die Schule ist nicht so überlaufen wie in Paris oder London und bietet dadurch gute Möglichkeiten, seine Ansätze zu realisieren und sich zu professionalisieren. Man lernt wahnsinnig viel und der Rest ist schon fast wie eine Geschichte, mit der ich nicht gerechnet hatte. Mit meinen Abschlussarbeiten des zweiten Jahres gewann ich bereits den dänischen „Designers Nest“-Preis einen skandinavischen Nachwuchspreis und im selben Jahr den finnischen Nachwuchsdesigner Preis. Tja, und in diesem Jahr darf ich meine Kollektion „June 17th, 1994“ unter den Finalisten im wunderschönen Hyères zeigen …“
Bilder: Courtesy of Rolf Ekroth
Rolf Ekroth, der eigentlich Roffe Ekroth heißt, lässt sich für seine Kollektionen häufig von historischen Daten oder Ereignisse inspirieren. Die Einflüsse, die meist alle zur selben Zeit geschehen, vermischen oder überblenden sich und so entsteht daraus etwas völlig Neues und Ungesehenes.
Für die Kollektion, die Ekroth in Hyères präsentierte, stand der Tag Pate, der in der Sportdokumentation „June 17th, 1994“ von Brett Morgen eindrucksvoll geschildert wurde. Es war einer der aufregendsten Tage in der Geschichte der USA in den Neunziger Jahren. Es war der Tag, an dem O. J. Simpson durch die Polizei verfolgt und festgenommen wurde. Dem ehemaligen NBA Spieler wurde vorgeworfen, seine Ex-Frau und ihren Freund umgebracht zu haben. Aber eigentlich war der Tag der Tag, an dem die wichtigsten Sportereignisse des Landes stattfinden sollten: Die Fußballweltmeisterschaft wurde in Chicago eröffnet, das NHL- und das NBL-Finale wurden ausgetragen, Baseballrekorde geschlagen und Arnold Palmer stand in der letzten Runde der US Open. Eine ganze Nation wollte eigentlich Sport sehen, aber die Fernsehsender blendeten immer wieder auf O. J. Simpson, der live von der Polizei verfolgt wurde. Mehr als 100 Millionen Zuschauer verfolgten an den Bildschirmen das Geschehen. Die Überblendung der Ereignisse und das Zappen der Sender lieferte für Rolf Ekroth die Grundlage der „June 17th, 1994“-Kollektion.
Bilder: Courtesy of Rolf Ekroth
Trainer und Tubesox, Baseballshorts, die Schnitte der Basketballshirts und Blousons wurden von Ekroth recherchiert und dekonstruiert. Diese Elemente wurde von ihm mit den „Outfits“ der Sender verbunden, die Interviews zeigten, O. J. Simpson verfolgten und mit der Transparenz des Informationsflusses überblendet, der sich an diesem Tag über die Amerikaner ergießt. Die Drucke auf den Tuniken, die wie von griechischen Olympioniken wirken, entwickelte Ekroth mit der japanischen Künstlerin und Stoffdesignerin Yuki Kawakami, die er bei einem Austauschprogramm an der Aalto Universität kennenlernte. Übrigens korrespondierten Ekroth und Kawakami überwiegend per Skype von Finnland nach Japan – auch das ein Phänomen unsere Zeit, die so ungeheuer viele Möglichkeiten in sich birgt.
Schaut man sich die Looks genauer an, liegt der Reiz natürlich in überzeichneter Form darin, dass Ekroth genau die Tendenz erspürt, die die Mode der kommenden Jahre immer mehr beeinflussen wird: Die Einflüsse von Hightechmaterialien und Funktionskleidung. Der zweite Aspekt, der die neue Designergeneration fasziniert, ist das Detail und das aufwendige Handwerk. Bei den Finalisten war augenfällig, dass sie mit traditionellen Handwerkstechniken und einem gigantischen Aufwand an Details und zeitintensiven Techniken wie Stickereien, Applikationen oder sogar der Herstellung von eigenen Materialien arbeiteten. Nachhaltigkeit, wie wiederverwendete Materialien oder sogar Fragmente von getragenen Kleidungsstücken – die Sehnsucht nach Beständigkeit ist bei der Generation, die mit Fastfashion aufwuchs, ist deutlich zu spüren und wird sich zum Statussymbol in der Highfashion entwickeln.
Ekroth zeigte Basballshirts, die mit 250.000 Swarovski-Perlen bestickt wurden. Seine Mäntel erinnern mit Fransen-Applikationen an die Cheerleader Puschel oder das Green der Kunstrasen der Stadien, in denen die Sportereignisse ausgetragen wurden.
Die Kollektion ist nicht nur von ihm entworfen, sondern wurde auch von ihm und seinen Eltern bis ins kleinste Detail selbst hergestellt – bei 250 Stunden pro Teil, die die Arbeit in Anspruch nahmen, nicht verwunderlich.
Bilder: Courtesy of Rolf Ekroth
Rolf Ekroth werden wir bestimmt an anderer Stelle wiedersehen, denn für ihn ist diese Kollektion bereits Vergangenheit und er arbeitet an den nächsten Entwürfen: „Ich habe so viele Ideen und Kollektionen im Kopf; es fehlt mir schon im Alltag nicht an Inspirationen“, erklärte er mir. Mit dieser Gabe ist er Karl Lagerfeld sehr ähnlich, denn der sagt auch, dass er nur an die nächste Kollektion denkt – alles andere ist Schnee von gestern. Rolf Ekroth ist sicherlich nicht derjenige, der darauf brennt, kommerzielle Mode zu entwerfen und in die Industrie zu gehen. Es geht ihm um das, was Mode beinhaltet: Aktualität zu kommentieren und in Mode umzusetzen. Dass er das kann, hat er mehr als einmal bewiesen.
Rolf Ekroths Kollektion „June 17th, 1994“ war eine der faszinierendsten Momente des Hyères Festivals und wegweisend für neue Kreativität in der Männermode, die das Verschwimmen der Geschlechter längst schon überwunden hat …
thomas
2. Mai 2016 at 13:34Macht die Klamotte nicht unbedingt hübscher, aber dafür wundervoll beschrieben 🙂