Anfang April erscheint eine sehr sehenswerte Dokumentation über den 1989 an AIDS verstorbenen Fotografen Robert Mapplethorpe – zeitgleich mit zwei Retrospektiven des zweigeteilten Werkes des bis heute noch wegweisenden Lichtbildners. Im Getty Museum und im Los Angeles County Museum wird das Werk des Mannes gezeigt, der Maßstäbe in der Fotografie von sexistischen, meist schwulen Themen setzte. Gleichzeitig zeigte Mapplethorpe aber auch durch seine klaren und einfühlsamen Porträts sowie Stillleben eine ganz andere Seite von sich. Doch eines wollte er immer: Seine Bilder sollten Anstoß zur Diskussion geben. Sie sollten nicht einfach die Realität abbilden, sondern das, was sich tief hinter dem Motiv verbarg, in den Vordergrund rücken. Die Abgründe der Menschen und der Sexualität bildeten dabei für ihn, der seine hetero- und homosexuellen Seiten auslebte, den Mittelpunkt seiner Motive. „Look at the Pictures“ stellt eindrucksvoll den Weg des 1946 geborenen Künstlers vor und lässt viele seiner Weggefährten zu Wort kommen.
Was auf uns heute normal aber noch immer ungewohnt wirkt, verstörte damals die Betrachter so sehr, dass Robert Mapplethorpes Werke bis heute modern wirken. Er verzichtete auf ausschweifenden Dekor und fotografiert meist vor schwarzem oder weißem Hintergrund.
Ab Anfang der 80er-Jahre wurde Mapplethorpe, zunächst vor allem in New York von einem größeren Publikum wahrgenommen. Viele Persönlichkeiten ließen sich von ihm porträtieren, unter anderem Andy Warhol, Hollywood-Beau Richard Gere, Sänger Peter Gabriel aber auch Grace Jones oder Paloma Picasso und Lebensabschnittsgefährtin Patti Smith. Gemeinsam mit der Bodybuilderin Lisa Lyon produzierte Mapplethorpe von 1980 bis 1982 die legendäre Bildserie „Lady Lisa Lyon“. Die Mehrzahl seiner Aufnahmen entstand in seinem eigenen Studio oder in einem der unzähligen New Yorker Lofts.
Modelle, die er in der New Yorker Schwulenszene rekrutierte, zeigten sich unverholen nicht nur nackt, sondern ließen sich auch in BDSM- und Fetischszenen ablichten. Das amerikanische Publikum der Reagan Ära reagierte verschnupft und besonders die Motive der „Portfolio X“-Serie avancierten zum Skandal. Trotzdem förderte ihn, gegen vielerlei Proteste von religiösen und sittlich moralisch aufgerufenen Gruppen, die nationale Stiftung zur Kunst und Kulturförderung und ermöglichte Ausstellungen. Auch er selbst machte sich häufig zum Motiv seiner Fotos. Neben zahlreichen Selbstportraits lichtete er sich zum Beispiel dabei ab, wie er sich mit einer Bullenpeitsche anal befriedigte.
Mapplethorpe verstand es aber, trotz seiner Motive eine beeindruckende Art des Handwerks der klassischen und puren Fotografie anzuwenden, die beruhigt und klar die Themen so inszeniert, dass sie völlig zeitlos wirken und zu einer Kunstform macht. Seine Fotos sind technisch exzellent und brillant und stehen wie er selbst immer im Gegensatz zum Motiv.
„Look at the Pictures“ schildert den Weg Mapplethorpes vom Studium in Brooklyn Anfang der 60er-Jahre, zeigt, wie er Polaroid-Techniken entdeckt, mit denen er seine Freunde fotografiert. Seine Mitarbeiter werden ebenso interviewt, wie die Menschen, mit denen er längere Beziehungen hatte.
Sie berichtet aber genau so darüber, dass ein Jahr nach seinem Tod 1990 die Wanderausstellung „The perfect Moment“ sogar zu Prozessen gegen die Verantwortlichen des Museums führte. Japan brauchte lange, um das künstlerische Potenzial dieses besonderen Fotografen und Menschen zu erkennen und gab die Bildbände, die vorher verboten, erst 2008 frei.
„Look at the Pictures“ wurde von den Regisseuren Fenton Bailey und Randy Barbato gefilmt und stellt die erste so umfangreich gedrehte und recherchierte Doku da, in der so viele Zeitzeugen zu Wort kommen und gleichzeitig versucht wird, den Mensch Mapplethorpe zu ergründen. Dass er auf seine ganz eigene Weise ein Genie war, der in einer Zeit, die noch gar nicht so lange her ist, Grenzen durchbrach und Ästhetik mit politischem Anspruch vereinigte, wird wunderbar herausgearbeitet.
Mapplethorpe gehört mittlerweile zu den absoluten Klassikern der modernen Fotografie. Seine Bilder fordern immer noch zur Diskussion heraus und nicht zum bloßen Betrachten. Genau das war sein Ziel und das hat er auf seine ihm ureigenste Weise erreicht.
„Look at the Pictures“ ist eine Dokumentation, die genau die Stimmung einer Zeit widerspiegelt, die schon modern wirkte aber eigentlich noch von einer tiefen Intoleranz und vor allem ungeheurem gesellschaftlichen Konservatismus in Amerika geprägt war. Ob sich das geändert hat, werden sicherlich die Reaktionen auf Film und die beiden Retrospektiven zeigen. Amerika ist seit Mapplethorpes Tod nicht viel aufgeschlossener geworden.
Ob und wann die Doku in die deutschen Kinos kommt, steht noch nicht fest. Hier als Vorgeschmack der erste Trailer …
Siegmar
16. März 2016 at 16:34wunderbare Bilder, danke für deinen Artikel, Peter