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Resort-Kollektion 2023: Gucci Cosmogonie

Gucci Cosmogonie; Foto: Kevin Tachman

Italien ist immer eine Reise wert – und so lud Alessandro Michele die Gäste seiner „Cosmogonie“-Schau für Gucci nach Andria ein. Der Laufsteg vor der imposanten Kulisse des historischen Castel del Monte ließ sich von Sternbildern inspirieren. Eine Reihe von Konstellationen beleuchtete den Laufsteg und setzte eine Geschichte fort, die Jahrhunderte, Geografien und Sprachen durchläuft. Alles schön und gut, nur wenn es so weiter geht, dass Influencer, Popstars, Redakteure und Prominente weiterhin für ein Event ein- und einen Tag später wieder ausgeflogen werden, setzt sich eben auch die Geschichte des Klimawandels fort. Aber das steht auf einem anderen Blatt und hier soll es schließlich um Mode gehen. Genau in diesem Bereich ist dann Alessandro Michele ein stückweit Vorreiter, als der Designer die klassischen Saisons eingestampft hat und auf Sales verzichtet – seine Entwürfe sind also für die Ewigkeit gedacht.

Ode an Walter Benjamin und Hannah Arendt

Die Schau ansich versteht sich als eine Ode an den deutschen Philosophen Walter Benjamin, wie Michele in den Pressenotizen erklärte. Benjamin teilte sich das Schicksal des Exils mit der Publizistin Hannah Arendt. Beide waren Juden, die sich in den 1930er-Jahren in Paris zum ersten Mal begegneten, wo Benjamin mit anderen Exilanten Debatten organisierte.
Die Lage verschlechterte sich zusehends für Juden in Europa und beide beschließen, über Portugal in die Vereinigten Staaten zu fliehen. Zu diesem Zeitpunkt übergibt Benjamin Arendt einige seiner Manuskripte, darunter seine geschichtsphilosophischen Thesen. Arendt erreicht das Ziel; Benjamin hingegen wird von der Polizei aufgehalten und nimmt sich 1940 an der Grenze zu Spanien das Leben, da er die Auslieferung an die Deutschen befürchtete.
„Viele Jahre später, 1968, veröffentlicht Arendt einen Essay über Benjamin: Eine zarte und überraschende Hommage an ihren tragisch verstorbenen Freund. Es ist ihr hingebungsvoller und intimer Versuch, die Geschichte des deutschen Denkers zu erzählen, den sie als kostbaren Perlentaucher bezeichnet“, so Alessandro Michele.

Den Bogen zu Konstellationen spannt Alessandro Michele damit, dass Walter Benjamin die Fähigkeit besaß, Gedankenfetzen neu zusammenzusetzen, zu rekonstruieren und zu aktualisieren: „Er entwirrt die Knoten durch eine leidenschaftliche Umgestaltung und legt Zusammenhänge und Gliederungen frei“, wie der Designer erklärt. „Diese außergewöhnliche Fähigkeit, Zusammenhänge zu erhellen, die sonst unsichtbar wären, macht Benjamin zur paradigmatischen Figur derjenigen, die in Konstellationen denken. Ein Begriff, den er zu einem philosophischen Konzept macht. Was auf den ersten Blick atomisiert und zerstreut erscheinen mag, wie die Sterne am Himmel, wird durch Benjamins Augen zu einer Ansammlung von Komplizenschaft: eine verbindende Struktur, die durch die Epiphanie einer Konstellation Licht in die Dunkelheit bringt.“

Wimmelbild der Mode

Für Alessandro Michele Verhältnisse ist Gucci Cosmogonie eine regelrecht ruhige Kollektion. Die vielen Glitzerelemente der 101 Looks dürften die Reminiszenz zu Sternenkonstellationen sein, die Farben – sonst bei Gucci der Bereich, wo die gesamte Klaviatur gespielt wird – zurückhaltend. Überwiegend gedeckte Töne, ab und zu als Farbkleckse in homöopathischen Dosen Orange, Lachs, Blau, Grün und Lila, ansonsten Grau, viele Erdtöne, Schwarz.
Fast rauschhaft mögen manchem Alessandro Micheles Linie und seine fundierte Fantasie erscheinen. Er hat eine radikale Vision, mit der er Gucci zu einer der aktuell spannendsten (und wertvollsten) Marken macht.
Alessandro Michele zeigt, trotz mancher Übertreibung in den Looks und der Überzeichnungen, genau das, was Mode ausmacht: Lebensfreude und Opulenz. Und eines sind seine Sachen ohne Zweifel: wie Wimmelbilder, auf denen man ungeheuer viel und immer wieder Neues entdecken kann – so auch bei Gucci Cosmogonie …