Männermode

Parisian Streetwear

(Balenciaga Lookbook Pre-Fall 2018; Bilder: Johnny Duffort)

Das Männer-Lookbook der Pre-Fall-Kollektion von Balenciaga sieht auf den ersten Blick so aus, als würde man Schnappschüsse anschauen, die in den ausgehenden Neunziger Jahren auf den Straßen Paris‘ entstanden sind. Doch weit gefehlt, die Kollektion, die Demna Gvasalia für die Männer entworfen hat, sollte man sehr genau unter die Lupe nehmen.
Mit zweidimensionalem Oversized-Look geht es in eine neue Dimension, die viel Modernes und vor allem Raffiniertes enthält. Wer Demna Gvasalia vorwirft, er würde einen Neunziger Jahre Retrolook kreieren, hat die Kollektion nicht wirklich erkannt.

Die Tragbarkeit und trotzdem das eindeutige modische Statement, diesmal mit viel weniger Allover-Logos als in vorherigen Kollektionen, ist etwas, was Demna Gvasalia perfekt beherrscht. Betrachtet man die Einzelteile der Looks, und dabei meine ich nicht die bis zum Erbrechen auf Instagram lancierten Turnschuhe, Kappen oder Logo-Taschen, sondern seine wunderbaren Jacken und Mäntel, sieht man die raffinierten Schnittführungen und die völlig neuartigen Proportionen, die Demna Gvasalia den Teilen verleiht. Neben geraden, fast Bell-Bottom-Jeans, gibt es das klassische Männerstoffrepertoire, wie Camouflage, Nadelstreifen oder englisches Wollkaro im Herringbone-Stil.
Demna Gvasalia setzt in der Pre-Fall-Kollektion von Balenciaga auf klassische Herrenlederschuhe (natürlich gibt’s die Sneaker weiterhin) aber er fokussiert sich auf klassische Derbys mit etwas vergrößerten Proportionen und an Halbschuhe, überwiegend in Racing Green oder Bordeaux, die an Doc Martens erinnern. Seine Looks wirken selbstverständlich aber nicht langweilig, sportlich ohne Sportswear zu sein. Demna Gvasalia lässt Alltagsmode durch eine extreme Verbreiterung der Schultern und der Aufhebung der Proportionen eine Metamorphose von Vintage-Optik zu Modernität durchleben.

Patchwork steht in der Pre-Fall-Kollektion von Balenciaga im Vordergrund und auch das Spielen mit „kurze über lange Ärmel“-Optiken, allerdings auch als Patch-Trompe-l’œil. Fast alle Materialien verbindet Demna Gvasalia für seine Balenciaga-Pre-Fall-Kollektion mit Denim und so bekommen zum Beispiel Daunenjacken und Anoraks Jeansjackenkrägen. Karo-Patchwork-Windbreaker, Blousons und Capes bricht der Designer mit Hemdenkaros und Popeline-Unis auf. Langärmelige Denimhemden sehen aus, als würde man ein farbiges oder gestreiftes Hemd darunter tragen – Lagenlook ohne Lagen.

Das Tollste für mich sind, wie auch schon in den letzten Saisons, die Mäntel, die Demna Gvasalia für Balenciaga entwirft. Extravagant und, wie ich finde, rasant, wenn man sie näher betrachtet und vor allem schon mal probiert hat. Die Heritage des Hauses, die Couture Cristobal Balenciagas, wird darin für mich – egal, ob gewollt oder ungewollt – aufgenommen und zeitgemäß interpretiert. Lodenmäntel, einreihige Popeline-Staubmäntel und Karomäntel in weiten Trapezformen werden zu meinen Favoriten und sind großartig geschnitten und wirken irrsinnig lässig. Oversized-Rollkragenpullis und Fair-Isle-Pullover mit großen Schals werden genauso zu Lieblingsteilen, wie die übergroßen Troyer mit Jacquard- und Zopfstrickmustern.

Logo-Gürteltaschen, Bananentaschen und gestreifte „Take-Away-Taschen“ lassen sicherlich nicht lange auf Fans warten. Die Kettentaschen aus der Damenkollektion, auch wenn Instagram täglich damit männliche asiatische Konsumenten zeigt, finde ich, sollten den Frauen überlassen werden, irgendwie wirkt das an Europäern ein wenig affig. Außerdem gibt es genügend Alternativen – auch bei Balenciaga.

In der Pre-Fall-Kollektion von Balenciaga sehe ich viele spannende Einzelteile und besonders die Militarymäntel im cleanen Look sind wirklich neu. Außerdem sind Demna Gvasalias Modelle alterslos, sehen an hippen Youngsters genauso gut aus wie an meiner Altersklasse.

Mode soll in erster Linie Spaß machen und gleichzeitig selbstverständlich sein. Demna Gvasalia versteht es, scheinbar Gewohntes neu erscheinen zu lassen und tragbare Extravaganz zu erzeugen. Die Banalität des Alltags zu Kleiderkunst werden lassen: Bei Demna Gvasalias Balenciaga-Herrenkollektionen funktioniert das auf faszinierende Weise. Er beherrscht es, die Normalität zu Hype- und Highfashion werden zu lassen.

  • Siegmar
    4. April 2018 at 09:52

    Sehr toll geschriebener Artikel, ich muss mich wirklich erstmal damit beschäftigen.

  • vk
    4. April 2018 at 17:07

    nice gender blur statement. die klamotten allerdings braucht man nicht. da ist gucci ganz anders.

  • Reinhard
    4. April 2018 at 21:37

    Klasse Beitrag, sch*** Klamotten, was aber durch die Erklärungen wett gemacht wird. Insofern danke!

  • JayKay
    6. April 2018 at 10:05

    Obwohl ich 2-3 Looks wirklich super finde, will bei mir im Grossen Ganzen der Funke nicht überspringen. Die Proportionen sind irgendwie nicht mein Ding. Wahrscheinlich können auch die hochwertigen Stoffe auf den Bildern nicht richtig rübergebracht werden. (Wie so oft)

  • fred
    6. April 2018 at 14:30

    Die Art der Fotografie liegt sehr sehr eng an der „Purple“-Fotografie der 90er Jahre. In 20 Jahren vom Underground zum Mainstream.