(Canyon Fitness Bikes „Pathlite“ und „Roadlite“; Bild: Julian Gadatsch)
Vor ein paar Tagen hatte ich berichtet, dass ich neuerdings dem Rennradfahren verfallen bin. Noch immer etwas ungläubig darüber, dass ich plötzlich so überdurchschnittlich viel Elan und „Bitte sofort auf der Straße losstarten“-Gefühle in meinem athleten-fernen Alltag entwickeln konnte, fiebere ich nunmehr jedem Radfahrthema entgegen: Ich mache mich schlau in Sachen Fahrradgeschäfte und -hersteller, suche fieberhaft nach dem besten Outfit für die nächste Tour und übe mich fleißig im Klickpedale-Fahren. Soweit, so gut. Wann immer das Wetter es zulässt, tingele ich in persönlichen Rekordzeiten über die norddeutschen Deiche und fühle mich stückweit „angekommen“. Das hört sich etwas kitschig an oder aber nach ersten Anzeichen einer Pre-Midlife-Crisis, ist es aber nicht. Vielmehr habe ich seit Langem mal wieder so richtig Spaß an etwas und plane sogar den hochheiligen Sommerurlaub nach meinem neuen Hobby: Bald wird bergauf und -ab geradelt, wahlweise in Italien oder Frankreich. Zu meiner Verblüffung konzentriere ich mich auch im Schlussverkauf verstärkt auf die Bereiche Trikots/ Trainingshosen, statt dem 100. Paar Sneaker und Jeans nachzujagen. Ihr merkt, dass ich wirklich Blut geleckt habe. Ihr merkt auch, dass da oben Canyon steht – ist als Überschrift schließlich unübersehbar. Plötzlich kam nämlich eins zum anderen und in mein Mailfach flatterte eine Einladung zum Probefahren und persönlichen Austausch mit Verantwortlichen der besagten Fahrradmarke.
„Man, das ist doch mal eine einmalige Chance“, dachte ich mir, und sagte schneller zu, als man es in digitalen Lichtgeschwindigkeiten überhaupt nachvollziehen kann. Extra dick aufgetragen und mit „Rennraderprobt“-Vermerk – schließlich sollte jeder wissen, dass ich ehrgeizmäßig bei der nächsten Tour de France mitfahren möchte. Ein paar Tage später fand ich mich beim Fitness-Brunch von Canyon wieder und war klein mit Hut. Ich war beeindruckt und irgendwie auch eingeschüchtert. Warum? Weil beim gemeinsamen Essen waschechte Sportredakteure bzw. fachversierte Fahrradpros anwesend waren und die hatten – ganz im Gegensatz zu mir – wirklich Ahnung! Auf Seiten Canyon hatte uns Thorsten Lewandowski eingeladen, er ist als Global Communications Manager tätig und begleitete uns beim Probefahren der Fitness Bike-Modelle um die Alster. Zusätzlich durfte ich dem sympathischen Fahrradfreund allerlei Fragen stellen, die ich hier gerne mit euch teilen möchte. Radfahren werden viele von uns Horstson-Lesern, da bin ich mir sicher, und deshalb gehe ich mit Thorsten direkt mal rein ins Thema. Über das Unternehmen selbst wusste ich persönlich nicht so viel, das holen wir hiermit nach.
Ich habe gelesen, dass die Ursprünge von Canyon in den 1980er-Jahren liegen und ein Vater-Sohn-Gespann dabei von besonderer Bedeutung war?
Die Geschichte des Unternehmens beginnt tatsächlich in den Achtzigern, wobei wir da noch nicht von der Marke Canyon sprechen können. Vielmehr war es so, dass in dieser Zeit unser Geschäftsführer und -gründer mit dem Rennradfahren begonnen hat: Roman Arnold. Als Teenager ist er mit seiner Familie im Urlaub unterwegs gewesen, mit dem Auto sind sie damals über Alpenpässe gefahren. Dabei hat er Rennradfahrer beobachten können und war plötzlich angefixt. Er war sogar so begeistert, dass er entschied: Zum Geburtstag wird sich kein Mofa, sondern viel lieber ein Rennrad gewünscht. So kam es dazu, dass Roman mit dem Sport begann. Er konnte sich ungemein für diese Form der Freiheit, dieses Gefühl der Selbstbestimmtheit begeistern.
Seine Passion wurde mit der Zeit immer größer und Roman fuhr fortan auch bei Rennen mit – sowohl auf der Bahn, als auf der Straße. Immer mit dabei? Sein Vater! Er fuhr ihn überall hin und begleitete seinen Sohn bei den Wettkämpfen, feuerte an und wartete an der Zielgeraden. Dabei fiel ihm auf, dass bei solchen Veranstaltungen ein Bedürfnis an Zubehör vorlag – Dinge, mit denen man Räder z.B. pimpen konnte. Mit seinem Geschäftssinn hatte er eine Nische gefunden und kaufte fortan edle Fahrradteile an: Nicht irgendwoher, sondern aus Italien. Die waren sehr gefragt, sehr hochwertig in der Fertigung und in der Gegend um Löf an der Mosel – wo die Familie herkam – damals noch rar gesät. Romans Vater verkaufte besagte Einzelteile aus einem Anhänger heraus, während der Sohn seine Rennen fuhr. Der blaue Anhänger mit Aufschrift „Rad-Sport-Arnold“ steht heute in unserem Showroom.
Ein Stück Geschichte…
Ganz genau. Besagter Anhänger bildet in gewisser Weise den Ursprung des Unternehmens Canyon, vielmehr ist er seine Wurzel. Mit diesem Anhänger ist Romans Vater damals regelmäßig in den Süden gefahren und lud ihn dort mit allerlei Ersatzteilen „made in Italy“ voll. Das Geschäft lief gut, die Nachfrage stieg und somit machte sich die Familie an der Mosel, rund um Koblenz und die jeweiligen Wettkampfstandorte, einen Namen. Das alles funktionierte ganz ohne Zwischenstationen, ohne andere Abnehmer – ein direkter Verkauf aus dem mobilen Ersatzteile-Anhänger. Das wiederum ist ein weiterer wichtiger Punkt, denn Canyon als Direct-2-Consumer-Marke verfolgt bis heute ein ähnliches Konzept.
Wie ging es dann weiter bzw. wann wurde Canyon gegründet?
Vater Arnold war sehr erfolgreich mit seinem Geschäft, aus dem kleinen blauen Anhänger wurde irgendwann ein Garagenverkauf. Irgendwann war jedoch auch dieser Standort zu klein und die Familie eröffnete ein eigenes Fahrradgeschäft. Modelle von Canyon gab es noch nicht, die Marke war zum damaligen Zeitpunkt schließlich noch nicht gegründet. Stattdessen wurden andere Rädermarken verkauft, sehr bekannt war der Laden für seine Expertise in der Triathlon-Szene. Im Geschäft wurden zudem viele Räder für Wettkämpfe maßangefertigt, auch das war nicht gang und gäbe für ein Fahrradgeschäft. Das Geschäft lief gut, das kann man so zusammenfassen. Leider verstarb dann Romans Vater plötzlich. Neben dem persönlichen Verlust der Familie, stand auch die Frage im Raum: Was passiert mit dem Geschäft, dass mit so viel Herzblut von der Familie aufgebaut und geführt worden ist?
Das ist traurig zu hören, wie wurde nach diesem Schicksalsschlag entschieden?
Die Familie – neben Roman gibt es noch zwei weitere Söhne – entschied sich glücklicherweise dazu, das Fahrradgeschäft weiterzuführen. Roman und sein jüngerer Bruder Franc zeigten sich fortan verantwortlich für Laden und Service. Roman selbst hatte dabei immer große Pläne im Hinterkopf. Er träumte davon, dass er eines Tages eine eigene Fahrradmarke aufbauen würde. Modelle selbst entwickeln und herstellen – Einblick und Expertise hatte er schließlich über Jahre hinweg sammeln können. Das waren so die Anfänge, es folgten weitere Zwischenschritte bis sich der Gedanke einer eigenen Marke konkretisierte.
Ich mache an dieser Stelle ein paar Sprünge, sonst ufert unser Interview aus. Als es dann irgendwann greifbar wurde und Roman seine eigene Fahrradmarke anmeldete, stand eine wichtige Frage im Raum: Wie wird das Ganze genannt? Der Name Radical stand zur Disposition, dem Mosler und Koblenzer schien der Name jedoch wortwörtlich zu radikal. So kam Canyon auf und machte das Rennen…
Geht mit der Namensgebung eine besondere Bedeutung einher, oder warum genau Canyon?
Der Name lässt sich als eine gewisse Hommage verstehen. Auf das, was Roman mit seiner Jugend und seinen Begegnungen zum Thema Rennrad verbindet: Die Kraft der Natur, in der man sich bewegt. Die Kraft des Canyon, wie er sich durch den Stein frisst. Der Gedanke spiegelt sich wider, wenn man sich beispielsweise mit einem Performance-Rad in der Natur fortbewegt und dieses Gefühl von Kraft spürt! Weißt du, was ich meine? Canyon-Fahrräder sind in ihrem Auftritt immer etwas sportiver als andere Wettbewerbsräder – das ist klar in unserem Markenkern und unserer DNA verankert. Selbst bei stadtnahen Modellen wie Commuter, Roadlite oder Pathlite kann man das in der Formgebung erkennen, sie sind stärker performance- und sportmäßiger ausgestattet als Räder anderer Hersteller.
Wann wurde denn das erste Rad aus dem Hause Canyon angeboten?
Das war 1996, damals ging der Verkauf des Rads über einen Katalog. Nicht viel später hat sich Roman zu einem, zumindest für die damalige Zeit eher untypischen und zukunftsweisenden Schritt, entschieden: Dem Vertrieb über das Internet. Von Amazon und ähnlichen Portalen war wohlgemerkt noch nicht die Rede. Ein hauseigener Online-Shop statt dem üblichen Verkaufsweg über Fahrradhändler und ihre Läden? Durchaus risikobehaftet! Heute ist es keinesfalls ungewöhnlich, dass man etwas online bestellt. Damals war es jedoch ein ziemliches Novum…
Seitdem ist Canyon, wenn man die Zahlen und Statistiken bei der Recherche halbwegs analysiert, sehr schnell gewachsen! Oder vertue ich mich bei dieser Schlussfolgerung?
Das stimmt, das Unternehmen ist sehr schnell groß geworden. Wenn wir betrachten, wann das erste Rad verkauft wurde und wo wir heute stehen – wir sprechen hier von einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne von etwas mehr als 20 Jahren Firmengeschichte –, dann kann man das mit dem schnellen Wachstum durchaus so bezeichnen. Um die Jahrtausendwende ist bei Canyon sehr viel passiert, im Kopf habe ich immer drei Zahlen: Vor 12 Jahren hatte Canyon 50 Mitarbeiter, vor fünf waren es 100 und aktuell sind es weltweit um die 1000 Mitarbeiter.
Mittlerweile sind wir auf 17 Märkten vertreten, an den Standorten sind wir mit unseren Teams bestehend aus Marketing-Managern und Service-Mechanikern aufgestellt. Dann haben wir z.B. jede Menge Call Agents, die als direkter Ansprechpartner in den jeweiligen Landessprachen fungieren und in unserer Zentrale in Koblenz haben wir ebenfalls unglaublich viele Mitarbeiter vor Ort. Der Aspekt des Wachstums spielt bei uns auf jeden Fall eine essentielle Rolle, er ist damit auch Charaktereigenschaft unseres Unternehmens geworden. Was Geschwindigkeit und Volumen von Canyon angeht, wachsen wir weiterhin im zweistelligen Bereich.
Apropos Volumen: Wie viele Fahrräder gehen bei Canyon pro Jahr über die digitale Ladentheke?
Wir machen 285 Millionen Euro Umsatz und sind zum aktuellen Zeitpunkt in der Lage, bis zu 450 Canyon-Räder pro Tag zu fertigen. Montiert wird bei uns in Rübenach, einem Stadtteil von Koblenz – das ist bestimmt nicht ganz unwichtig zu erwähnen. Vor Ort haben wir die Canyon Factory gegründet, sie ist 2016 in Betrieb gegangen und zeichnet sich als eine der modernsten Fahrradproduktionsstätten der Welt aus. Im Canyon Warehouse, unserem Lager- und Logistikstandort, werden anschließend die fertigen Räder an unsere Kundschaft verschickt.
Wie läuft die Fertigung am Standort Koblenz ab?
In der Canyon Factory gibt es drei Produktionseinheiten: Die weitaus größte Anzahl an Fahrrädern kommt aus der sogenannten „Linie“, der Linienmontage – das kennt der ein oder andere vielleicht aus dem Bereich der Autofertigung. Hier werden Modelle wie das Roadlite und Pathlite gebaut. Eine weitere Produktionseinheit ist die Einzelradmontage, hier wird mitunter unser Triathlonrad Speedmax gebaut. Solche Bikes sind deutlich komplexer im Aufbau, deshalb dieser andere Prozess.
Das musst Du mir bitte näher erklären!
Es ist so, dass unsere Mechaniker hierbei deutlich mehr Zeit für bestimmte Teilvorgänge der Fertigung benötigen. In der „Linie“ lässt sich das nicht bewerkstelligen, sie könnte nur sehr viel langsamer laufen. Als dritten Montageprozess gibt es noch eine Mischform, die dritte Produktionseinheit in der Canyon Factory: Das nennt sich bei uns Flexmontage oder flex assembly – eine „Linie“, bestehend aus mehreren Mechanikern. Jeder von ihnen verantwortet bei der Fertigung des Rads mehrere Arbeitsschritte. Unter anderem werden hier unsere E-Mountainbikes gebaut.
Ich versuche das Ganze gerade logisch nachzuvollziehen…
Also, das ist so: Räder, die in der „Linie“ gefertigt werden, hängen. Im Umkehrschluss würde das am Beispiel der E-Bike-Fertigung bedeuten, dass man die Motoren aus dem Rücken heraus anbauen müsste. Für unsere Mitarbeiter wäre ein solcher Arbeitsschritt aus ergonomischer Sicht äußerst ungünstig, das wollen wir vermeiden. Deswegen haben wir eine dritte Einheit etabliert: So können z.B. Motoren komfortabel und ohne Rückenverrenkungen eingebaut werden. Das sind vereinfacht erklärt unsere drei Produktionseinheiten in der Canyon Factory. Wenn du magst, komme gerne mal in Koblenz vorbei und schaue dir die Prozesse aus nächster Nähe an.
Vielen Dank für das Angebot! Lass uns gerne vom großen Ganzen etwas mehr ins Detail gehen: Ihr habt zwei Fitness Bikes mit nach Hamburg gebracht, was sind deren Distinktionsmerkmale?
Klar, gerne. Das sind die Modelle Roadlite und Pathlite, ich fange am besten mit dem ersten an zu erklären: Das Roadlite ist eine Ableitung vom klassischen Rennrad, das kann man auf den ersten Blick erkennen. Genauso sportiv und schnell auf Geschwindigkeit ausgerichtet wie Rennräder von Canyon. Dieses Fitness-Modell ist äußerst wendig, es eignet sich zum Beispiel perfekt als Workout-Tool. Das Hauptaugenmerk liegt voll und ganz auf Performance, das Roadlite ist ein Rennrad mit geradem Lenker und setzt zusätzlich verstärkt auf Komfort: Man sitzt beim Fahren aufrechter und das Bremsen bietet mehr Sicherheit – mancher Kunde vermisst solche Eigenschaften beim Rennrad. Dem wollten wir entgegenwirken und mit dem Fitness-Modell eine passende Alternative bieten. Mit dem Roadlite kann man aber auch gut commuten, in die Stadt reinfahren oder am Wochenende eine Radtour planen.
Beim dem anderen Fitness Bike kann ich äußerlich erkennbare Unterschiede ausmachen, nicht?
Stimmt, das Pathlite kommt mehr aus der Mountainbike-Ecke. Das Modell verfügt über eine Federgabel mit 75mm Federweg, das wird dir vermutlich als erstes aufgefallen sein. Dazu kommen breitere Reifen, die profiliert sind. Das ist ziemlich praktisch, weil man mit weniger Luftdruck fahren kann und der Reifen besser über Unebenheiten wie gröberen Schotter walkt. Die Federgabel des Pathlite bügelt glatt, was sich abseits der befestigten Straßen in den Weg stellt. Ein klarer Pluspunkt, wenn man unterwegs zum Badesee ist oder die nächste Tour durch Wald und etwas bergige Wege gehen soll.
Ließe sich zusammenfassen: Dem urbanen Radfahrer der Städte angepasst?
Dem würde ich jetzt per se nicht zustimmen. Wer auf der Suche nach einem Rad ist, das einen tagtäglich und verlässlich ins Büro hin- und zurückfährt, findet bei Canyon andere Modelle. Das wären Commuter oder Commuter Sport, die ich an dieser Stelle empfehlen würde. Die beiden Räder sind klar auf den täglichen Gebrauch im urbanen Umfeld ausgerichtet: Sie verfügen zum Teil über Riemenantrieb, Schutzbleche, Gepäckträger, Narbenschaltung und Licht –meist ist schon alles dran, was man für die Stadt benötigt. Die beiden Fitness Bikes Roadlite und Pathlite gehen vielmehr einen anderen Schritt und sind performance-stärker aufgestellt. Klar, man kann sich mit den beiden hervorragend in der Stadt bewegen, sie sind jedoch auch im Bereich Sportgerät und Workout einzuordnen.
So, hier machen wir eine kurze Pause und freuen uns schon einmal auf den zweiten Teil des Interviews. Wie ihr mich mittlerweile kennt, fallen Q&A‘s selten kurz bei mir aus. In den nächsten Tagen geht es hier mit Canyon`s Wettkampfsiegen, Digitalisierungsmaßnahmen und dem Stellenwert von Instagram weiter. Bis dahin wünsche ich Euch eine schöne Zeit und freue mich über Feedback!
Nachgefragt bei ... Thorsten Lewandowski im Interview | Horstson
5. Juli 2019 at 08:22[…] dem Fahrradfreund allerlei neugierige Fragen stellen, Teil 1 des Interviews mit Thorsten gibt es hier zum Nachlesen, heute folgt der zweite […]