(Adrian van Hooydonk / Head of BMW Design; Bild: BMW)
Kreativer Austausch auf Augenhöhe – Ein etwas verspätetes Neujahrs-Servus aus München meinerseits, viel zu lange habe ich nichts von mir hören lassen. Voller Tatendrang bin ich jetzt wieder an Bord und freue mich auf spannende neue Projekte: Warum an dieser Stelle jedoch „Servus“ und kein nordisch-gewohntes „Moin“? Vor knapp zwei Wochen war ich für Horstson in Bayern unterwegs und noch immer bin ich positiv eingestimmt von der unglaublich sympathischen Gastfreundschaft im Süden, deshalb meine Wortwahl als Einleitung dieses Artikels! Schön war es, sehr viel Schnee gab es vor Ort und natürlich auch Brezen samt Weißwurst. Der eigentliche Grund für meinen Ausflug war jedoch keinesfalls Völlerei und Lotterleben, sondern ein Interviewtermin mit Adrian van Hooydonk. Anlässlich einer nagelneu entstandenen Ausstellungsfläche in der BMW Welt, die er gemeinsam mit der Architektin und Designerin Patricia Urquiola entworfen hat, habe ich mit dem Leiter BMW Group Design mitunter über besondere Erlebnisse, das Aufschlagen von Strenge sowie die Relevanz millionenfacher Fahrtsituationen für die Zukunft gesprochen.
Ich würde gerne nahtlos an den ersten Teil unseres Interviews (den Artikel gibt’s hier zum Nachlesen) anschließen. Sie erwähnen im Gespräch und auch während des Talks mit Frau Urquiola wiederholt das gezielte „Führen eines Dialogs“: Was ist dabei so entscheidend?
Miteinander sprechen und diskutieren, Ideen präsentieren. Einen Dialog ins Rollen bringen, das ist bei unserer kreativen Arbeit ungemein wichtig. Man weiß schließlich nie im Voraus, wohin er einen führen kann. Es ist sehr interessant, im Austausch mit anderen Kreativen zu sein.
Mit Blick auf die neue Ausstellungsfläche, die die Spitzenmodelle im Produktportfolio von BMW stark hervorhebt, frage ich mich: Weiß man im Voraus, was in der Zusammenarbeit entstehen wird oder gestaltet es sich dabei ähnlich Ihrer Idee vom Dialog? Einem Nicht-Genau-Wissen-Wo-Es-Hingehen-Wird?
Naja, was auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist: Patricia und ich haben beide sehr große Teams, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir haben täglich viele Leute um uns herum, ich denke bei ihr werden es circa 70 bis 80 Mitarbeiter sein. Das wird natürlich gemanagt und jeder weiß, was er zu tun hat – man hat seine Rolle. Wir beide tragen in unserer Funktion der Leitung unserer Teams natürlich die Verantwortung, dass an einem festgesetzten Tag X etwas fertiggestellt und präsentiert werden muss. Man muss auf den Punkt kommen. Der Anfang ist das, was man als Dialog beschreiben könnte: Man kommt zusammen, ganz ohne Zwang. Schaut, wohin das Ganze führen könnte. Tauscht sich aus. Klar, es kann immer mal passieren, dass man sich denkt: Oh, das lassen wir lieber oder legen Ideen ad acta, bevor wir uns vollauf damit beschäftigen. Bei Projekten wie hier, also der Kollaboration anlässlich der Ausstellungsfläche in der BMW Welt, werden einem klare Aufträge vergeben. Die Verantwortlichen sind demnach auf uns zugekommen und haben uns nach unserem Rat gefragt. Was könnten man vor Ort realisieren? Wie könnte man die neue Fläche gestalten? Ausschlaggebender Punkt war dabei, dass sich die Verantwortlichen der BMW Welt auf eine Welle neuer BMW-Produkte vorbereiten mussten.
Da waren Sie als Leiter BMW Group Design und Ihr Team natürlich gefragt!
Genau. Deshalb sind wir letztes Jahr ins Boot geholt worden, um den Bereich der Spitzenmodelle gekonnt in Szene zu setzen. Mein Team und ich haben uns das Ganze angeschaut und gemeinsam entschieden, dass wir hierbei gerne mitwirken würden. Relativ schnell hatten wir aber auch beschlossen, dass wir zusätzlich noch Patricia dazu holen. Wir kennen sie lang genug, schätzen ihre Arbeit und sind immer wieder im Kontakt – das war natürlich passend. Auch die Verantwortlichen der BMW Welt hielten eine Design-Kollaboration für eine gute Idee. Als wir uns dann alle zusammengesetzt hatten, ging es natürlich auch um das Festlegen eines Zieltermins. Damit beantwortet sich deine Frage von vorhin: Patricia ist, genauso wie ich, wahnsinnig viel beschäftigt und wir müssen natürlich wissen, in welche Richtung die jeweiligen Projekte vom terminlichen Umfang her gehen.
Terminkoordination?
Es müssen natürlich die Kalender der Beteiligten inspiziert werden. Anschließend werden dann immer viele Vorschläge für Treffen rumgeschickt. Das alles muss frühzeitig genug koordiniert werden, damit wir uns auch wirklich sehen und Ideen austauschen können. Wenn wir uns dann treffen, ist es immer sehr nett. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, das ist sehr wichtig. Ein Punkt ist dabei von großer Bedeutung: Ich halte Patricia nicht vor, was sie zu tun hat und sie tut es auch nicht bei mir. Wir beide sind Experten in unserem jeweiligen Metier und können voneinander profitieren. Was der jeweils andere zu tun oder zu lassen hat, ist nicht unsere Aufgabe. So ist ziemlich klar, wer, was genau zu verantworten hat – erst dann kann eine Zusammenarbeit erfolgreich werden.
Wie häufig haben Sie sich für das aktuelle Projekt, die Gestaltung der Ausstellungsfläche, gesehen?
Sie arbeitet ja von Mailand aus, ich bin hier vor Ort in München. Im letzten Jahr haben wir uns ungefähr drei- bis viermal persönlich getroffen. Klar, unsere Teams haben sich öfters gesehen und ausgetauscht. Die Treffen von Patricia und mir waren primär dafür da, dass Ideen besprochen, Entwürfe gesichtet und Entscheidungen gefällt werden. Sie kam jedes Mal mit tollen Ideen und Vorschlägen nach München, war immerzu bestens vorbereitet.
Schauen wir uns die Fläche kurz genauer an: Inwiefern spiegelt die finale Umsetzung BMW wider?
Patricias Handschrift kann ich darin sehr stark und deutlich erkennen, das steht fest. Ich finde, dass die Fläche uns hingegen eher ergänzt als widerspiegelt! Mit unseren Autos von BMW zeigen wir in der Regel sehr klare und scharfe Charaktere. Wir wollen Emotionen wecken, hier in der BMW Welt keinesfalls „trocken“ wirken. Oft gilt in Autohäusern das Credo: The car is the star! Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Umgebung zurücktritt und dem Auto den Vorrang gewährt. Dunkler Boden, weiße Wände – man soll sich schließlich auf die Modelle konzentrieren. Hier vor Ort haben wir uns jedoch gewünscht, dass ein bisschen mehr passieren könnte. Unsere Besucher sollen sich dazu eingeladen fühlen, etwas länger zu verweilen und nicht nur auf die Modelle selbst zu starren. Es sollte eine Bewegung entstehen. Schaut man sich einmal um, dann erkennt man, dass jedes Auto anders aussieht. Es gibt verschiedene Areas, sei es durch raffinierte Linienspiele in der Bodenfläche. So konnten wir das Setting für jedes Auto anders gestalten, trotzdem harmoniert es mit seinem Umfeld. Schaut man etwas weiter nach dort hinten, dann sieht man die – fast schon – herkömmliche Weise des Auto-Zurschaustellens. Das sieht wesentlich strenger aus und man fühlt es auch sofort. Gemeinsam mit Patricia und unserem Team haben wir uns vorgenommen, dass wir diese Strenge gezielt aufbrechen wollen. Diese Darstellung im Kontext unserer Spitzenmodelle hat uns für die Zukunft auch einen neuen Weg geebnet.
Apropos Zukunft: Wir sitzen direkt neben dem BMW Concept M8 Gran Coupé, spannende Lackierung!
Klasse, oder? Das ist Salève Vert, benannt nach einem Berg nahe Genf – Letztes Jahr haben wir das Auto dort auf der Messe vorgestellt! Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die Farbe ziemlich grün daherkommt, jedoch immer auch ins Graue rein changiert: Erkennen Sie dieses Grau-Metallic?
Stimmt …
Diese besondere Lackierung verstärkt die Form des Modells enorm. Eigentlich ist sie eher ruhig gestaltet, in Kombination mit Salève Vert „passiert“ jedoch eine Menge im Auge des Betrachters. Noch mehr, alsbald das Auto in Bewegung ist. Wir hatten Patricia den M8 Gran Coupé bei unseren ersten Treffen anlässlich der Neugestaltung hier in der BMW Welt gezeigt: By the way, das ist das Auto, dass wir auf der zukünftigen Fläche von uns zeigen werden! Sie war hin und weg von der Farbe. Auf der neuen Fläche kann man ganz gut erkennen, dass sie ihre Gedanken über den gezeigten Wagen in ihre Ideen der Umsetzung hat mit einfließen lassen.
Sie sprechen von einem „Aufbrechen der Strenge“: Ein guter Ansatz, um über die Zukunft von Automobilentwicklern zu sprechen! Was planen Sie zukünftig zum Thema autonomes Fahren?
Gegen Ende letzten Jahres haben wir zu diesem wichtigen Thema die BMW Studie Vision iNext präsentiert. Wir wollten zeigen, wie wir uns bei BMW die Zukunft vorstellen: Das ist eine Vision und es wird ganz bestimmt nicht zu 100% so sein, wie wir es uns dabei vorgestellt haben – schließlich handelt es sich dabei um ein Concept Car. Dennoch meinen wir unsere gezeigten Überlegungen durchaus ernst, wir arbeiten darauf hin. Das sieht man ganz gut im Bereich des Interieurs: So haben wir Stoff statt Leder ausgewählt, er bietet sich nämlich gleichzeitig als Bedienoberfläche mitsamt integrierter Touch-Bedienung an. Zudem haben wir sehr große Screens eingebaut, sie schweben über dem Dashboard. Auch das Dashboard selbst ist viel leichter geworden. Dinge, wie z.B. Luftauslässe oder Air Condition sind viel kleiner geworden. Das alles sind Dinge, an denen wir vertieft arbeiten. Hinzu kommt, dass man in einem Fahrzeug wie dem iNext ganz anders sitzen kann: Im Vergleich zu herkömmlichen Wagen, gibt es neue Positionen. Langfristig werden beim autonomen Fahren die unterschiedlichsten Variationen möglich sein. Bei einem gelungenen Entwurf eines Stuhls ist das schließlich auch so: Als Mensch möchte man nicht zwingend nur gerade sitzen. Man bewegt sich schließlich darauf, ähnlich wie auf einem Sofa! Genau solche Möglichkeiten haben wir in unserem Concept Car iNext aufgezeigt.
Welche Potentiale ergeben sich noch daraus?
Der Fahrer möchte beim autonomen Fahren seine Freiheit genießen und dabei trotzdem arbeiten können: Deshalb die großen Screens, an denen er E-Mails lesen oder Filme schauen kann. All diese Überlegungen werden in Zukunft auch so eintreffen, soviel kann man sich sicher sein. Wir haben uns bei dem iNext natürlich auch Gedanken über den – für viele wohlmöglich wichtigsten – Aspekt gemacht: Wie funktioniert die Übergabe, wann fahre ich, wann das Auto selbst? Wie könnte man diesen Moment gestalten? Es wird erstmal auf jeden Fall noch Lenkräder in unseren Autos geben, das steht fest. Das ist sehr wichtig für unsere Kunden und ich bin überzeugt, dass man in den kommenden zehn Jahren immer noch das Lenkrad genau erkennen können wird. Unsere Kunden wollen natürlich Einfluss nehmen und eingreifen können. Wenn etwas passiert, müssen sie schließlich entscheiden: Fahre ich oder fährt mich das Auto? Das muss von der Optik her klar ersichtlich sein! Deshalb haben wir ein Lenkrad konzipiert, dass nach hinten wegfährt alsbald das Auto autonom unterwegs ist. Im Lenkradkranz sind Lichtbänder erkennbar, die aufleuchten und signalisieren wenn der Fahrer selbst übernehmen sollte. Solche Details sind enorm wichtig in der nächsten Phase des autonomen Fahrens. Zusammenfassend waren das Aspekte unserer Ideen, die wir in den letzten Jahren entwickelt haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in ungefähr drei Jahren schon so weit wären, dass wir autonomes Fahren auf einem Level 3 anbieten könnten.
Wenn Sie vom Level des autonomen Fahrens sprechen: Welche Herausforderungen ergeben sich daraus?
Diese Entwicklungsschritte sind allesamt eine Frage von Computing Power: Die Rechenleistung muss groß genug sein, es müssen Millionen von Kilometern in den Systemen verinnerlicht werden.
Das müssen Sie mir bitte kurz näher erklären!
Es müssen millionenfach Fahrsituation abgespeichert werden, damit das Auto in der Situation autonomen Fahrens die richtige Reaktion ausführen kann. Genau diese Erfahrungen müssen zig millionenfach im System abgespeichert sein. Als Mensch machen wir den Führerschein, sammeln Fahrpraxis und dabei wächst natürlich auch der eigene Erfahrungsschatz. Es lässt sich in manchen Situationen eine gewisse Routine erkennen, das Autofahren geht gewissermaßen in unser Rückenmark über. Situationen können mit steigender Fahrpraxis besser eingeschätzt werden. Natürlich möchte ich hiermit keinesfalls relativieren, dass immer unvorhergesehene Situationen einhergehen können: Ein Ball rollt auf die Straße oder die Ampelanlage fällt plötzlich aus. Solche Ausnahmefälle muss der Computer für das autonome Fahren erlernen.
Wie geht man dabei vor?
Millionenfache Erfahrungen können in sein System gespeist werden, er kann mit tausenden Fahrerlebnissen unterschiedlichster Fahrzeuge vernetzt werden. Wir können Fahrerlebnisse von unzähligen Fahrzeugen miteinander koppeln, der Mensch hingegen kann nur eine begrenzte Anzahl an Kilometern fahren, eine bestimmte Anzahl an Erfahrungen sammeln. Der Computer eines autonom fahrenden Autos kann hingegen Millionen von Kilometern fahren und automatisch abspeichern. Dieser Erfahrungsschatz wird eines Tages so umfangreich und sicher sein, dass man problemlos selbstfahrende Autos nutzen kann. Man ist auf alle Fahrsituationen vorbereitet, egal in welchem Land, egal auf welcher Straße. Wir als Autofahrer kennen die Straßenschilder in Deutschland, bestimmt auch in Ländern wie Frankreich oder Italien. Wenn man jedoch in Ägypten oder Saudi-Arabien auf der Straße fährt, sieht das schon ganz anders aus. Dann wird es schwierig, dass wir alles erkennen, geschweige denn verstehen. Noch schwieriger wird es vielleicht in Japan oder Indien: Wie soll das funktionieren? Das ist ein sehr dichter und unübersichtlicher Verkehr, der dort vorherrscht. All diese Situationen muss der Computer erlernen und somit die Systeme autonom fahrender Autos stärken.
Ein spannendes Feld, das sich mir damit eröffnet. Eine letzte Frage, um den Rahmen des heutigen Anlasses zu schließen: Werden beim Entwerfen von Autos zukünftig mehr Design-Kollaborationen auftreten?
Das ist durchaus möglich, ich schließe es in meiner Arbeit nicht aus. Ich möchte solche Zusammenarbeiten jedoch keinesfalls erzwingen. Wenn sich auf natürliche Art und Weise eine Zusammenarbeit ergibt, dann bin ich gerne mit im Boot. So wie wir es hier auf der Ausstellungsfläche der BMW Welt mit Patricia beispielsweise hatten, das bereitet mir enorme Freude. Ich möchte fortan jedoch nicht jede Heckleuchte in Zusammenarbeit mit irgendeinem Leuchtdesigner entwerfen. Sprich: Da würde eine Leuchte designt und anschließend prangt überall „designed by“ – das benötigt BMW als Marke schlichtweg nicht. Die Designer, mit denen wir zusammenarbeiten, benötigen solche Kollaborationen im Übrigen auch nicht für ihr Portfolio. So wie wir es jetzt mit Patricia umsetzen konnten, ist es sehr gut für uns: Beide Seiten nehmen etwas davon mit, man ergänzt sich und profitiert von der Kreativität seines Gegenübers. Es ist und bleibt ein Dialog, in dem man sich bei einer solchen Kollaboration befindet.
Ein passendes Schlusswort, vielen Dank für das Gespräch!