Es gibt Dinge, die einen lebenslang beeinflussen und die, wenn man sie sich nach vielen Jahren immer mal wieder durchliest, auch in einer veränderten Zeit gültig sind. Es sind Leitfäden oder Leitsprüche, die unabhängig von Raum und Zeit und gesellschaftlichen Veränderungen ihre Gültigkeit behalten.
Dazu gehört ein Kapitel aus einem der ersten Modebücher, die ich mir als Kind aus der örtlichen Bücherhalle auslieh und das mich auf den Geschmack brachte, mich für das Metier zu interessieren, das mich bis heute – obwohl ich ein halbes Jahrhundert alt bin – nie mehr aus dem Bann ließ und, zumindest unterbewusst, begleitete.
Anfang der fünfziger Jahre gab es – lange vor Internet und Massenmedien – kaum Publikationen, die sich mit Mode beschäftigten. Coffeetable Books waren unbekannt und nur wenige Kunstbände lieferten die einzigen Informationen, wo man etwas über die Welt der Mode erfahren konnte. Neben dem Büchern von Susa Ackermann „Die Straße der Mode“ und Célia Bertin „Haute Couture“ stand ein kleines illustriertes Buch in der kleinen Modeabteilung der Bibliothek, das mich genau in die Welt abholte, in der ich mich gern hineinträumte.
„Mein Steckenpferd heißt Mode“ von Arthur Bisegger war eine lose Ansammlung mit Geschichten über die Pariser Haute Couture, die die Entstehung von Kollektionen und die beliebtesten Modeschöpfer des Jahres 1955 beschrieb: Christian Dior, Pierre Balmain, Jacques Fath und Madame Carven waren natürlich vertreten. Coco Chanel hatte zwar ein Jahr zuvor ihre erste Kollektion nach ihrer 15-jährigen Pause gezeigt, doch spielte sie für die jüngere Generation keine Rolle mehr.
Kein Buch hat jemals so ein Feuer in mir entfacht, wie dieses unscheinbare kleine Brevier, das schließlich für das, was ich heute mache, die Weichen gestellt hat und das mein berufliches Leben ausmacht. Der Idealismus und das, was Mode so mitreißend und spannend macht, ist in diesem Buch beschrieben.
Nun fand ich neulich durch einen Zufall genau dieses Buch in einem Antiquariat. Natürlich hab ich es gekauft und verschlang es wie am ersten Tag. Das entscheidende Kapitel – mit den Augen von heute gelesen – bekommt eine völlig neue Gültigkeit: „Aufgabe des Modereporters“. In den Zeiten von immer mehr Druck und Kommerz auf Magazine und Verlage, die häufig alternative Geschäftsmodelle hinzufügen, wie Onlinehandel und Direktvernetzung zwischen redaktioneller Berichterstattung und virtuellem Handel.
Dazwischen steht der Modejournalist, dessen Berufsbild sich gewandelt hat und der neben seinen eigentlichen Artikeln und Recherchen ständig Anzeigen- oder potentielle Anzeigenkunden, Events oder Sparmaßnahmen berücksichtigen muss. Da kommt es sehr auf die Persönlichkeit des einzelnen an, noch die Nischen zu finden, wirklich interessantes zu entdecken und das, was eigentlich den Kern und den Idealismus des Berufes ausmacht, zu bewahren. Aber glücklicherweise gibt es dort auch heute noch in der internationalen und auch in der deutschen Magazinlandschaft leuchtende Beispiele, deren Artikel und Themen es große Freude macht zu lesen. „Hässliches findet bei uns nicht statt“, ist eines meiner Lieblingszitate der deutschen Chefredakteurin der VOGUE und gleichzeitig ein Ausschlussverfahren, das wir uns auch gestatten bzw. zur Diskussion stellen.
Was das Wesentliche des Moderedakteurs ausmacht, ist ein wahrer Modeschatz, den ich Euch nicht vorenthalten möchte und der es immer noch – wenn auch in etwas veralteter Schreibweise, genau auf den Punkt bringt. Was 1955 galt, ist aktueller denn je:
Die Aufgabe des Modereporters ist eine dreifache; erstens muss er so und so viele Kollektionen sehen, um sich den nötigen Überblick zu verschaffen; dann muss er das nötige Fingerspitzengefühl besitzen und auch über genügend Unterlagen verfügen, um zu entscheiden, welche Richtung die neue Mode einschlagen wird; drittens endlich muss er die breiten Leserkreise möglichst umfassend orientieren können.
Jeder Modereporter trägt eine Teilverantwortung für die Bildung der öffentlichen Meinung. Er kann und darf diese Mitverantwortung nur übernehmen, wenn er für sich und sehr lang über das Phänomen der Mode nachgedacht hat und zudem über eine ansprechende Allgemeinbildung verfügt. Es hat zum Beispiel keinen Sinn, eine neue Silhouette zu beschreiben, wenn man die Linien der Entwicklung nicht erklären kann.
Damit würde man bloß die weiterarbeitete Ansicht, und zwar irrtümliche Ansicht, unterstreichen, die Mode wechsle jede Saison auf völlig willkürliche Art, so wie es etwa den Modeschöpfern einfalle, ohne logische Entwicklung, nur eben, dass die einschlägigen Industrien weiter bestehen können.Er muss diesen verborgenen Zusammenhängen nachspüren können. Eine bloss journalistische Begabung genügt hier nicht. Nur in seiner lohen Begeisterung und in seiner zutiefst künstlerischen Bedeutung kann er zur Fackel werden, die modische Ideen durch alle Spalten der Magazine trägt und sich Leserinnen und Leser an ihr entzünden.
Der Modereporter steht zwischen Modeschöpfer und der breiten Öffentlichkeit, für die die Mode geschaffen ist. Er ist ihr Interpret, ihr Deuter und Erklärer. Er ist dem Modeschöpfer einerseits gegenüber Rechenschaft schuldig. Auf der anderen Seite kämpft er in den Spalten der Presse um den nötigen Raum, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Wie soll ein Modereporter modisches Verständnis weiterpflanzen, wenn ihm nur ein Bruchteil der Spalten zur Verfügung steht, über die andere Sparten der Journalistik, wie Sport, Politik, Lokalnachrichten usw. verfügen? Es werden noch sehr viele Artikel geschrieben werden müssen, bis die Mode allerorts richtig beurteilt und gewertet werden wird.
Arthur Biseggers Erkenntnis wird uns auch 2016 wieder dazu beflügeln, das ein oder andere zu erklären, Backstage von den Schauen zu berichten und den ein oder anderen Modeschatz zu heben. Dass die Faszination der Mode ungeheuer groß ist und bleibt, ist für uns der Ansporn, vielleicht auch ein paar dieser Werte zu bewahren. Etwas, was mir immerhin seit mehr als dreißig Jahren die Neugierde auf neue Mode nicht nur erhalten hat, sondern mich immer noch, wie am ersten Tag, klopfenden Herzens, der neuen Saison entgegensehen lässt …
„Mein Steckenpferd heißt Mode“ von Arthur Bisegger ist 1955 im Verlag der Buchdruckerei W. Zürchers Erben Zug erschienen.
Markus
22. Dezember 2015 at 12:54wunderbar geschrieben!!!! Die heutige, oft nicht sehr fundierte „Berichterstattung“ trägt leider dazu bei, dass die Mode selbst an Wertstellung verloren hat!
Tim
22. Dezember 2015 at 14:15Das was Markus sagt. Ist auch ein guter Vorsatz für das Jahr 2016 für die deutschen Magazine 😉
Sybille
22. Dezember 2015 at 14:25Ein kleines Juwel!
Siegmar
22. Dezember 2015 at 16:45ganz wunderbar und sollte Ansporn, wie Tim meinte, für 2016
Lisa Riehl
29. Dezember 2015 at 12:42Nachdem ich diesen Beitrag in der vergangenen Woche gelesen habe, habe ich heute ebenfalls ein Exemplar des Buches entdeckt und es sogleich gekauft. Vielen Dank noch einmal für den Tipp – ich freue mich darauf, es zu lesen 🙂