(Bild: Dan Lecca)
Alessandro Michele betrachtet Mode grundsätzlich philosophisch – das, was wir bisher gerne als Wimmelbilder der Mode beschrieben haben – ist kein heilloses Durcheinander, wie es Kritiker dem Designer immer wieder vorgeworfen haben. Es ist eine sehr moderne und durchdachte Form von Design, die – trotz aller Muster und Brüche – regelrecht zeitlos ist. Kann jemand die einzelnen Kollektionen von Gucci der letzten Jahre dechiffrieren? Vielleicht gelingt es dem Kenner, einzelne Statement-Pieces zu benennen. Aber sonst? Michele nimmt der Mode auf überaus geschickter und erfolgreicher Weise die Geschwindigkeit, trotz zwei Haupt-, Pre-, Cruise- und diverser Capsule-Kollektionen.
Auch die Frühling/Sommer-Kollektion erklärt Alessandro Michele äußerst durchdacht.
Bild: Dan Lecca
Michele hinterfragt, ob sie sich als Instrument des Widerstands anbieten kann: „Kann sie erfahrungsmäßige Freiheit, die Fähigkeit zu überschreiten und nicht zu gehorchen, Emanzipation und Selbstbestimmung suggerieren? Oder läuft die Mode selbst Gefahr, ein raffiniertes Instrument neoliberaler Regierung zu werden, das letztendlich eine neue Normativität auferlegt, die Freiheit zur Ware und Emanzipation zum gebrochenen Versprechen macht?“ Michele erinnert mit der Kollektion daran, dass Mode – zumindest in seinen Augen – eine andere Funktion hat: „Menschen durch die Bereiche der Möglichkeiten gehen zu lassen, Hinweise zu geben und Offenheit hervorzurufen, Schönheitsversprechen zu kultivieren, Zeugnisse und Prophezeiungen zu bieten, jede Form von Vielfalt zu sakralisieren und die unabdingbaren Fähigkeiten der Selbstbestimmung zu fördern. Nur so kann Modekonstitutiv widerstandsfähig sein: Jedem Einzelnen zu erlauben, sich seinen eigenen Platz in der Welt kreativ aufbauen, jenseits jeglicher von außen auferlegten Normativität. Mode als poetischer Selbstbejahungsraum, in dem das Verlangen nach sich selbst erstrahlen kann.“
Betrachtet man das, was Michele nun in Mailand gezeigt hat, rational, ist die Kollektion regelrecht – Pardon! – minimalistisch. Muster tauchen wenig auf; die Brüche werden hauptsächlich durch Zitate an SM-Kleidung erreicht, allerdings ohne progressiv nach Sex zu schreien. Einzig den 1960er- bis 1970er-Jahren scheint Michele treu zu bleiben. Schaut man aber genauer hin, fällt auf, dass die Kollektion die Entwürfe der letzten Jahre ergänzt. So kann der treue Kunde mit nur einem Mantel seiner ganzen Garderobe frischen Wind einhauchen.
Zwar ist die Kollektion alles andere als Minimalismus, aber das wäre wohl auch das Letzte, was man von Michele erwartet hat. Die Kollektion ist vielmehr das, was der Titel verspricht: „Orgasmique“. Wir freuen uns schon jetzt auf’s Nachspiel.