Wir trafen uns auf einen Kaffee mit Karin Stehr vom Hamburger Optiker Bellevue und den Gründern des Brillenlabels „Mapleton“, Klaus Stiegemeyer und Florian Baron, und sprachen darüber, warum man im stationären Brillenhandel gelassen dem Onlinehype entgegensehen kann, über Brillengesichter und der Frage, wie man auf die Idee kommt, ein eigenes Brillenunternehmen zu gründen.
Uns gefällt die Philosophie, wonach Bellevue Manufakturen und Produkte aussucht – „Für gute Konzepte, starkes Design und die Menschen, die hinter diesen Kollektionen stehen“. Wonach wählt Bellevue diese Konzepte und Menschen aus; hat das viel mit persönlicher Sympathie zu tun? Wie müssen die Menschen beschaffen sein und wie findet ihr diese Menschen. Kommen sie auf Bellevue zu oder ist es wie immer im Leben, dass sich die Individualisten anziehen und von allein finden?
Karin Stehr: Ganz klar, Sympathie ist unglaublich wichtig. Dann tut man mehr füreinander, als in einer rein betriebswirtschaftlich begründeten Partnerschaft. Unsere Brillendesigner sind interessante, kreative und positiv denkende Menschen, für die – ebenso wie für mich – die Profession Lebensinhalt ist. Finden tun wir uns, weil wir innerhalb dieser kleinen „exklusiven“ internationalen Eyewear-Branche schon seit Jahren oder Jahrzehnten vielfach vernetzt sind. Es gibt Events, Messen, auf denen fast alle zusammenkommen, dort findet das Socialising statt.
Bellevue sagt selber, dass sie „bei der Auswahl unserer Marken […]“ extrem wählerisch sind. Heißt das, dass sehr viele Angebote kommen, wo dann das Innere sagt, das passt nicht zu uns oder das passt nicht in unser Sortiment? Was sind im Brillen-Einkauf ausschlaggebenden Argumente, die für ein Sortiment oder eine Marke stehen, um sie aufzunehmen?
Karin Stehr: Ja, gerade wenn man einen gewissen Bekanntheitsgrad hat, coole Brands führt und dazu noch mitten im Hamburger Zentrum sitzt, gibt es schon viele Anfragen, bei denen sofort klar ist, dass sie nicht passen. Da müssen wir freundlich absagen, ohne die Leute vor den Kopf zu stoßen.
Wir führen um die 20 Brands – mehr ist auf der Fläche kaum zu machen, wenn auch die „Kleinsten“ eine repräsentative Auswahl haben sollen. Im Laufe des Jahres wird sondiert, durch Empfehlungen von guten Kollegen aus dem Netzwerk, durch analoge und digitale Fachmedien, auf Messen und manchmal sogar bei Besuchen von Repräsentanten oder Designern im Geschäft. Wenn wir sicher sind, dass eine neue Marke langfristig besser wäre als eine bestehende, muss uns tatsächlich mal jemand „im Guten“ verlassen. Das sind so 1-3 Marken im Jahr.
Was ist ein No-go bei einer Brillenmarke oder einem Designer, sodass Bellevue sie nicht ins Sortiment aufnimmt?
Karin Stehr: Wir führen definitiv keine Lizenzmarken von Fashion- oder Lifestylebrands, außer bei Sportbrillen. Offensichtliche Kopien von erfolgreichen Designs anderer Brands sind ebenfalls tabu.
Was wären absolute Traumkollektionen, die Bellevue gerne hättet?
Karin Stehr: Wir haben unsere Traumkollektionen schon und freuen uns, wenn wir jede Saison wieder schöne Neuheiten von denen sehen. Natürlich gibt es immer wieder neue Begehrlichkeiten. Der Markt entwickelt sich gerade rasant und positiv. Doch die Kunst liegt in der Beschränkung und Konzentration.
Was unterscheidet Kunden von Bellevue von Kunden anderen Optikern?
Karin Stehr: Ein erheblicher Anteil unserer Kunden legt Wert darauf, kein sichtbares Logo am Brillenbügel zu tragen. Sie sind sehr gut informiert und interessieren sich grundsätzlich stark für Fashion und Design. Diesen Kunden gefällt es, dass wir eine intensive Bindung zu den Designern haben und ihnen Details zu deren Philosophie und Technologien erzählen können.
Es gibt in Berlin einen Optiker, der Brillen binnen einer Stunde fertigstellt. Wie stehen Sie zu einem solchem „Fast-Glasses“-Konzept?
Karin Stehr: Es gibt Typen, Kunden, Situationen, in denen so ein Angebot bestimmt sinnvoll oder hilfreich ist. Von unserer Idee LIEBE STATT LOGO ist das so weit entfernt wie der Mars. Ich habe dazu auch einen Kommentar in Euren Blog geschrieben …
Was sind die Wunschkunden von Bellevue?
Karin Stehr: Die gerade beschriebenen Kunden sind uns natürlich sehr willkommen –
sie teilen unsere Ideen und Leidenschaften. Schön ist es außerdem, wenn wir aus unserer Erfahrung neue Formen oder Designs ins Spiel bringen dürfen, die sich ein Kunde nie selbst ausgesucht oder gewünscht hätte. Oft ist dann genau die Brille dabei, für die er sich am Ende entscheidet.
Gibt es eine Geschichte, wo ein Kunde in den Laden gekommen ist und Bellevue durch ihn auf eine Kollektion aufmerksam geworden ist?
Karin Stehr: Ganz 1-zu-1 kann ich das nicht sagen, doch einige interessante Kollektionen auf unserer internen „Warteliste“ sind durch Kundenkontakte weiter nach oben gerutscht.
„Wir engagieren uns für Global Player und Local Heros, Etablierte und Newcomer, feinstes Handwerk und Spitzentechnologie.“ – Braucht man die Global Player um die Local Heros unterstützen zu können und gibt es Marken, die man einfach haben muss, um in einer Lage wie bei Bellevue, die ja bekanntlich nicht zu den günstigen Ecken von Hamburg gehört, wirtschaftlich überleben zu können?
Karin Stehr: Ja, wir haben ein paar etablierte Independent Brands, die sind genial gut gestaltet, qualitativ hochwertig und passen darüber hinaus vielen unterschiedlichen Typen. Mit diesen Kollektionen können wir tatsächlich über eine gewisse Zeit Newcomer subventionieren. Das kann nötig sein, um eine neue Kollektion zu etablieren und ihr Potential zu erkennen und zu entwickeln. Oder um Highlights zu präsentieren, über die man redet und die das Image prägen – auch wenn sich nur wenige finden, die sie kaufen.
Ist es nicht viel reizvoller etwas zu etablieren? Und empfinden Sie es als schwer, in einer Welt, die immer uniformer wird?
Karin Stehr: Ja, es ist reizvoll, aber auch unsere „großen“ Marken gehören ja nicht zum Mainstream. Das gilt erst recht für die Sonnenbrillen. Hier haben die feinen individuellen Brands noch viel mehr Potential, denn die bekannten Edelmarken sind ja allgegenwärtig.
Es ist vielleicht langwieriger, aber auch nicht schwer, wenn man sein Geschäft konsequent entwickelt und ein super Team hat, das genau aus diesem Grund dabei ist. Unser Markt ist noch ziemlich am Anfang. Wenige wissen, dass es über 100 ernst zu nehmende individuelle, unabhängige Brillenmarken gibt. Auch die Presse fängt gerade erst an, uns zu entdecken. Ein zeitgemäßer Onlineauftritt, erst recht Social Media, Instagram, ist in unserer Branche eine Seltenheit. Hier liegt eine großartige Chance und es macht Spaß, dieses Genre mit Gleichgesinnten zu entwickeln.
Ein Local Hero, den wir sehr mögen und über den wir schon sofort nach der Gründung 2015 berichteten, ist das Hamburger Label Mapleton, das für kerniges und traditionelles Design steht.
Wie ist Bellevue auf Mapleton und Florian Baron und Klaus Stiegemeyer aufmerksam geworden und wie gestaltete sich der erste Kontakt?
Karin Stehr: Das ist eine Netzwerkgeschichte, wie sie im Buche steht. Zwei Menschen – nicht aus der Branche, aber an der Entwicklung der Marke Bellevue beteiligt – haben mir an einem Sonntag vor einem Jahr eine Email mit nur einem Satz geschickt: „Kennst Du schon mapleton.de?“
Da kannte ich sie tatsächlich noch nicht und die Kollektion landete nach Sichtung der Website sofort auf meiner internen „Warteliste“. Persönlich kennengelernt haben wir uns diesen Mai auf einer kleinen Hamburger Independent Brillenmesse. Dort wurden sie mir außerdem von einem meiner Lieblingskollegen empfohlen. Eine mutige, antizyklisch massiv gestaltete Kollektion mit klassischen Wurzeln, dazu zwei sympathische Überzeugungstäter mit kreativem Background als Gründer, da habe ich wirklich nicht lange überlegt.
Wie ihr selbst sagt, bietet Mapleton eine Kollektion an, die „von Brillenträgern für Brillenträger“ mit echtem Charakter gemacht wurde. Muss man mutig für Mapleton sein, Klaus und Florian?
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Wenn Mut bedeutet, dass man dazu steht, Brille zu tragen, dann ja. Unsere Brillen sind nicht zu übersehen und zeugen vom selbstbewussten Auftreten unserer Kunden.
Wie habt ihr euch kennengelernt?
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Wir waren beide im Gründungsteam der Werbeagentur Philipp und Keuntje, Klaus als Berater und Florian als Texter. Das schweißt zusammen. Seitdem haben sich die Wege immer wieder überkreuzt und nun wird ein gemeinsamer beschritten: Mapleton.
Wann kam dann die Idee eines eigenen Brillenlabels?
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Los ging es vor ca. zwei Jahren. Wir hatten schon länger die Vision, ein eigenes Produkt auf den Markt zu bringen. Da Klaus gelernter Augenoptiker ist und wir beide gerne selbst markante Brillen tragen, lag es nahe, Brillen zu entwerfen. Dabei ging es am Anfang eher um die Idee, Brillen für uns selbst zu kreieren. Dass diese dann auch anderen gefallen, ist natürlich toll!
Geht man dann zum anderen hin und sagt: „Hey, lass uns mal eine Brille entwerfen!“?
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Genau. Hätte der andere gesagt, „Hey, lass uns ein U-Boot bauen, wären wir über die Planungsphase sicher nicht hinausgekommen.“
Woher kommt der Name Mapleton? Klingt nicht sehr hanseatisch sondern sehr international …
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Wir sehen unsere Marke auch nicht als lokal begrenzt. Mapleton sollte von der ersten Stunde an überall funktionieren. Unsere Gestelle sind moderne Klassiker. Die funktionieren von Japan bis in die USA überall. Und das sollte der Name transportieren.
Was sind die neuesten Modelle und gibt es etwas zur Inspiration und Entstehung zu sagen?
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Unsere Modelle sind nach Jahreszahlen benannt. Das schafft einen Bezug zur Herkunft der Form. Die neusten Modelle heißen 1963 und 1984. Die 63er geht zurück auf die Woody Allen Brille und die Anfangszeit des Filmemachers. Die 84er bezieht sich auf das Wiederaufleben der 50er Jahre in unserer Jugendzeit durch Jugendkulturen wie etwa Rockabilly.
Wie lange dauert der Entstehungsprozess – also vom ersten Gedanken bis zum fertigen Produkt – einer Brille?
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Sämtliche Entwurfs- und Korrekturphasen mitgerechnet kommen wir da ca. auf 4 Monate. Das limitiert natürlich auch die Anzahl der Modelle, die wir in einem Jahr auf den Markt bringen.
Wer sind die Style Heroes von Mapleton? Gibt es Menschen, die für das stehen, was Mapleton ausmacht?
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Zuallererst sind wir das natürlich. Wie schon gesagt, haben wir die Marke ja für uns entworfen. Und dann sind das natürlich alle, die Lust haben, dieses Statement zu teilen. Wenn da ein Promi drunter ist, freuen wir uns. Wenn nicht, ist das auch kein Ding.
Wo lässt Mapleton herstellen und in welchen Materialien?
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Unsere Brillen werden im Bayerischen Wald in einer kleinen Manufaktur in 100% Handarbeit gebaut. Unsere Materialen kommen aus Italien. Wir benutzen Bio Acetat, ein Kunststoff, der aus recyclebarer Baumwolle besteht. Auf der Nase fühlt sich das fast wie Horn an. Die Gläser sind komplett rückflächenenspiegelt und je nach Farbe aus Mineralglas oder Kunststoff. Eingearbeitet werden sie in Hamburg.
Kooperationen sind sehr beliebt in der Mode. Plant Mapleton zukünftig auch Exklusivmodelle?
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Geplant ist da momentan nichts. Wenn uns hier etwas angetragen wird, was zu unserer Marke passt, lässt sich über vieles sprechen.
Falls ja, welches wäre ein Wunschpartner und was müsste dieser
mitbringen?
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Abgesehen davon, dass wir momentan niemanden suchen, sollte er oder sie in jedem Fall Brille tragen.
Abschlussfrage: Bevor es Mapleton gab, welche Brillen habt ihr selbst getragen?
Klaus Stiegemeyer und Florian Baron: Da wir beide schon lange Brillen auf der Nase haben, gab es da eine ganze Menge. Wichtig war immer, dass sie eher dickrandig und gern schwarz waren. Gute Brillen gibt es auch neben uns viele!
Wir danken für’s Interview!