(Laziz Hamani)
Glücklicherweise gibt es zum Thema Mode mittlerweile wieder viele ernst zu nehmende Bücher, neben unzähligen Coffee-Table-Books und Samplern, die oftmals günstig produziert werden. Dabei sticht dann doch das ein oder andere Werk heraus, das man wirklich als überragend bezeichnen kann.
Laziz Hamani
Dazu gehören sicherlich, das von Stefano Tonchi geschriebene Buch über Walter Albini oder auch die „Culture Chanel“-Bücher. Neben dem Haus Chanel ist das wohl am besten dokumentierte das von Christian Dior. Nicht nur, dass im Zuge des 70-jährigen Jubiläums im vergangenen Jahr eine der spektakulärsten und erfolgreichsten Ausstellungen im Musée des Art Decoratifs in Paris stattfand und das Museum in Granville, dem Geburtsort von Christian Dior jedes Jahr wechselnde Retrospektiven bietet. Das Haus verfügt sogar über eine eigene Abteilung, die Publikationen in Kooperation mit renommierten Verlagshäusern, Autoren und Fotografen zur Geschichte und Heritage des Hauses ständig vorbereitet. Eines der Hauptprojekte von Jérôme Gautier und seinem Team ist, gemeinsam mit dem Assouline Verlag, die Würdigung der Designer und Phasen des Hauses Dior der letzten 70 Jahre. Christian Dior, Yves Saint Laurent, Marc Bohan, Gianfranco Ferré, John Galliano, Raf Simmons und Maria Grazia Chiuri – jeder hat das Haus beeinflusst und ihm seinen eigenen Stempel aufgedrückt.
Zwei Bände der großformatigen und umfangreichen Bücher sind schon erschienen: Gründer und Namensgeber Christian Dior, der von 1947 – 1957 das Haus begründete und alle Grundsteine für den Stil bis heute legte, und Yves Saint Laurent, der von 1958 bis 1960 das Haus revolutionierte und sehr jung das Fundament dazu legte selbst zur Modelegende des 20. Jahrhunderts zu werden, das dann allerdings mit seinem eigenen Haute Couture Hauses und der Einführung seines Prêt-à-Porter Yves Saint Laurent Rive Gauche.
Kollektion für Kollektion wird anhand von besonderen Modellen aus den Archiven des Hauses oder auch internationalen Sammlungen und von prominenten Kundinnen beschrieben.
Obwohl großformatig nicht nur zum Anschauen, sondern wirkliche gut recherchierte, auch dem Fachmann gerecht werdende Dokumentationen, die fast vollständig die lückenlose Geschichte beschreiben und die Werke zu dem Standardwerk über das Haus Dior werden lassen. Wer sich nur annähernd für Haute Couture oder Mode des 20. Jahrhunderts interessiert, wird auch mit höchsten Ansprüchen von der Reihe nicht enttäuscht.
Mit Spannung erwartet, jetzt der dritte Band über einen Mann, der in der jüngeren Generation fast unbekannt ist. Obwohl Designer im wahrsten Sinne des Wortes, hat er fast dreißig Jahre das Bild der Marke Dior kreierte und vor allem den Wandel in ein modernes Modehaus, den Weg durch die Umbrüche der Gesellschaft in den Sechziger Jahren und durch die Emanzipationswelle der Frauen vollzogen.
Die moderne Dior-Frau wurde von Marc Bohan erschaffen. Er war der Erste, der dem heutigen Designerbild entsprach und nicht ernsthaft ein eigenes Modehaus, mit eigenem Namen anstrebte, sondern die Kollektionen mit der Heritage von Dior, durch seine Vision des Zeitgeistes immer wieder anpasste, erneuerte und seine Version und Strategie für die Weiterentwicklung des Hauses verwirklichte.
Was heute gang und gäbe ist, Designer für das Außenbild und die Kollektion einer Marke verantwortlich sein zu lassen, war bei Dior mehr aus der Not des plötzlichen Todes von Christian Dior nach nur zehn Jahren entstanden. Marc Bohan führte von 1960 bis 1989 nicht nur das Haus Christian Dior, sondern hielt auch in diesen Jahrzehnten, die Vormachtstellung aufrecht, erstes Couture-Haus Frankreichs zu sein.
Laziz Hamani
Das Buch, an dem der 91-jährige Marc Bohan jetzt aktiv mitarbeitete, bietet nicht nur das erste umfangreiche Werk und die komplette Retroperspektive seiner Dior Zeit, sonder zeigt gleichzeitig wunderbar die Wandlung der Haute Couture, die Veränderung der Generation und des Zeitgeistes der Couture-Kundin und auch die Einführung der ersten Prêt-à-Porter Kollektionen „Miss Dior“ und „Christian Dior Boutique“.
Doch wer war dieser Marc Bohan, der zweifelsohne mit seiner leisen Art, die Mode von 1960 bis 1990 maßgeblich beeinflusste? 1926 geboren als Roger Maurice Louis Bohan kam er schon früh mit Textilien in Berührung, denn seine Mutter war Hutmacherin. Eigentlich sollte er in die Finanzwelt einsteigen, bekam aber durch die Verbindungen seiner Mutter 1945 einen Job bei Robert Piguet, wo er für vier Jahre arbeitete. Piquet gilt in der Modegeschichte als der Vater aller Couturiers: Christian Dior arbeitete bei ihm, Pierre Balmain und auch Hubert de Givenchy. Danach zog es ihn zu Edward Molyneux, einem Engländer in Paris, bekannt für seinen Tailored-Style, der Marc Bohans Liebe zu England entfachte und bei dem er auch Englisch lernte, etwas was damals in Frankreich eher selten beherrscht wurde. Zu früh dann der Sprung in die Selbstständigkeit. Nach nur einer Kollektion Parisienne 54 und ohne die nötige finanzielle Stütze scheiterte dieses Vorhaben.
1954 begann er, für Jean Patou die Haute-Couture-Kollektionen zu entwerfen und lernte dort die Journalistin Alice Chavane kennen, die ihm Christian Dior vorstellte. Dior fragte ihn, ob er nicht die kreative Leitung der Tochtergesellschaft Christian Dior New York übernehmen wollte. Durch den plötzlichen Tod Dior’s im Oktober 1957 scheiterte allerdings die Vertragsunterzeichnung mit dem Haus Dior. Bohan ging dennoch nach New York und arbeitete als freier Designer auf der 7th Avenue.
Nachdem Yves Saint Laurent Fashion Director des Stammhauses in der Avenue Montaigne wurde und seine berühmte Trapez Linie vorstellte, entschied das Dior-Management das Bohan die Filiale Christian Dior London übernehmen sollte. Nach einem kurzen Intermezzo beim Pelzhaus Revillon in Paris holt ihn dann der Besitzer und Begründer von Dior Marcel Boussac endgültig als Nachfolger von Saint Laurent 1960 in die Avenue Montaigne. Die Lehr- und Wanderjahre waren vorbei und seine dreißig Jahre, länger als es der Namensgeber selbst in seinem Haus agierte, prägen das Bild, das wir auch heute noch vom Dior Stil haben, tief.
Schon in seiner ersten Kollektion 1961, dem „Slim Look“, wandelt er den Stil des Hauses, behält die weiblichen Elemente selbstverständlich bei, bringt jedoch mehr Tagesgarderobe und deutliche Elemente aus der sportlicheren englischen Mode und Schneiderkunst mit ein. Das Frauenbild von Marc Bohan orientiert sich mehr an einer jüngeren Frau und die Couture soll für ihn zwar elegant, aber auch alltagstauglich sein.
Er liebt die Frauen im wahrsten Sinne des Wortes, war immer sehr eng mit seinen Models, die sein Leitbild prägten. Bettina Graziani, Sophie Litvak, später Jerry Hall und in den frühen Achtziger Jahren, vor ihrer Zeit bei Chanel, Ines de la Fressange.
Außerdem möchte er über kurz oder lang auch eine Herrenlinie einführen und sieht deutlich, dass aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen, die Konfektion und sportlichere Linien notwendig werden. Kurz vor den großen Pariser Mai-Revolten 1968, führt er, kurz nachdem Pierre Cardin und Yves Saint Laurent ihre Ready-to-wear Linien an den Markt brachten, die Miss Dior Linie ein. Später in Dior Boutique umbenannt, der Grundstein der Linien, die heute in acht Kollektionen die wichtigste Linie des Hauses Dior ausmachen. Konfektion war für Marc Bohan der Schlüssel zu der Generation, die auf die Straße ging und für ihre Rechte kämpfte. 1968 änderte viel – auch in den Pariser Haute Couture Häusern und deren Handschrift.
Marc Bohans Stil steht für elegantes, romantisches und jugendhaftes Design. Seine Herbst/Winter-Kollektion 1966 wurde von den Kritikern hochgelobt, indem er seine ‘Doctor Zhivago’-Inspiration in den mit Fell besetzten Tweet-Mänteln und lange schwarze Stiefel ausdrückte. Er entwickelt kontinuierlich den Dior Stil fort.
Er selbst, eher ein feiner und zurückhaltender Mann, der die deutsche Oper und Literatur liebt und mit Künstlern wie Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely befreundet ist, ist kein Mann der Skandale. 1989 folgt noch ein kurzes Intermezzo bei Hartnell in London, danach beschließt Bohan, dass er nicht ewig Kollektionen machen will und mehr seinem Hobby der Reiterei nachgehen und Reisen möchte. 2000 zieht er zu seiner Tochter Marie-Anne Bohan aufs Land, wo er noch heute lebt und maßgeblich zu diesem wirklich tollen Buch beigetragen hat.
Der Journalist Jérôme Hanover hat dazu den Text des Werkes verfasst und Marc Bohans Lieblingskundin Gracia Patricia von Monaco ist mit vielen ihrer Kleider und Kostümen in dem von Laziz Hamani fotografierten Prachtband immer wieder anzutreffen. Das Konzept, aus der umfangreichen Sammlung des Hauses Dior und dem Pariser Modemuseums Galliera, sowie vieler von Bohans treuen Dior Couture Kundinnen, seine beispielhaften Kreationen für das Haus Dior mit den jeweiligen Nummern der Kollektions-Premieren versehen, detailreich zu beleuchten und zu erklären, ist voll aufgegangen.
Dior by Marc Bohan ist das erste umfangreiche Werk und macht große Freude den Designer wieder zu entdecken und für eine jüngere Generation auch seine Bedeutung zu begreifen. Das prachtvolle Buch ist ein großer Schatz in jeder Modebibliothek und an sofort erhältlich.
Dior by Marc Bohan 1961-1989 – Edition Assouline
Jérôme Hanover & Laziz Hamani