Paris Fashion Week

Mantel-Pretiosen, Mathematische-Mode-Fraktale und andere Schmuckstücke – Jil Sander Womenswear Winter 2013/14

Man verlernt das Radfahren nicht!
Ihr kennt das alle. Und Jil(ine) Sander beweist sich, der Modepresse und den Label-Fans mit dieser Kollektion, dass das genauso ist. Gleich der erste Mitternachtsdunkelblaue Mantel aus dem Defilee (im Header zu sehen) ist praktisch schon meiner (und ich fürchte, das könnte nicht der einzige kostspielige Mantelkauf für den kommenden Winter werden …)!

Man hat ja heute als Kreativer auch ein griffiges Thema auf der Höhe der Zeit zu liefern, zu dem die einzelnen Teile der Outfits abstrahiert wurden … und, ich hatte schon nach den ersten Modellen des Defilees so eine Ahnung, dass es da um das Konstruieren von Formen im mathematischen Sinne gehen könnte. So wie der Schliff von Edelsteinen niemals nach dem Zufallsprinzip erfolgt, hat Jil Sander ihren Schnitten, mit denen Sie seit Beginn ihres früheren Schaffens immer überzeugen konnte, mit präziser Kurvensetzung, perfekter Linienführung und aufwändigen Details, die in der Tat an Edelsteinschliffe erinnern, gleichzeitig einen sehr modernen und futuristisch-hochwertigen Look verliehen.

Kühl und sachlich wandeln die Models durch eine Szenerie aus metallischem Untergrund und wenigen Gemstone-Elementen, die man als sinnstiftendes Setdesign bezeichnen könnte. Das (diesmal sehr gelungene) Make-Up und die Frisuren der Models zeigen modernen Frauen. Unaufgeregt, zielstrebig und sinnlich, aber ohne jede Vordergründigkeit. Bloss nicht emotional unkontrolliert und vulgär. Denn, so ist eine Jil Sander Frau einfach nicht.

Aber das Label Jil Sander ist High Fashion. Man braucht also auch in unseren modernen und unsicheren Zeiten klare Zeichen des Luxus. „You buy gold when you don’t trust the future,“ so Jil Sander Backstage. „But we’re optimists. We want to believe.“

Wie man für Kundinnen, die sich partout nicht mit Gold, Glitter und BlingBling behängen wollen, dennoch unmissverständliche Enbleme des Luxus in eine moderne Kollektion einfließen lässt, das kann man nicht nur anhand der angenehm sparsam eingesetzten Goldstreifen, mal versteckter, mal quer über den Oberkörper an einem trägerlosen Kleid oder einem Rollkragenpulli laufend, nachvollziehen. Es gibt es Pelz, in einer modernen Interpretation (Argentinische Bieber), dunkel glänzend, relativ kurzhaarig und auf jedes Volumen und die übliche Üppigkeit verzichtend.

Bei den Farben habe ich mich als alter Fan der Farbe Mitternachtsdunkelblau, die es bei Jil Sander schon immer gab, über die schönen, zurückhaltenden Blau-, Rot- (Beerentöne) und Grautöne besonders gefreut. Jil Sander sieht das Farbkonzept als den Mongolischen Frühling an. Das sehr geschmackvolle Orange, ein schönes Gelb (Safran, Kamille), Sanddorn, Rotklee und die erdig-ockermoosigen Töne auftauenden Permafrostbodens – nur in Spurenelementen, könnten ihr da recht geben.

Trotz der Konstruiertheit der Formen von Jacken, Mänteln, Röcken, Kleidern und Oberteilen aus wollenen oder Cashemere-Stoffen, wirken die Proportionen leicht und die Linien folgen ganz im Sinne der Kurven Oscar Niemeyer’s der Natur körperlicher Formen moderner Frauen (das heißt leider, man sollte dünn oder sehr schlank sein, zumindest für die Kleider, Röcke und die kompakten Oberteile). Auch Doubleface-Effekte sind ein Thema. Die Mäntel und Jacken wärmen, auch wenn ich selbst auf die verkürzten Ärmel an manchen Teilen verzichten hätte können. Das steht nicht jedem, verküzt die Arme optisch und wir wollen ja alle eher längere Arme haben … Aber als Modernitäts-Statement kann ich diese Idee verstehen und gelten lassen.

Die Rocklängen reichen knapp über das Knie, sehr ladylike, ohne madamig oder bieder zu wirken. Bei den durchwegs wunderschönen Kleidern, hat sich die Kreateurin für gemäßigt kurze oder knapp über dem Knie endende Längen entschieden, was den modernen Schnitten sehr gut bekommt und ohnehin fast jeder Jil-Sander-Frau besser als ganz kurze oder etwas zu lange Rocklängen steht. Jil Sander achtet auf ihre Klientel und deren Bedürfnis danach, diese Mode im Job, bei offiziellen und privaten Anlässen frei von jeder Überlegung, „passt das auch wirklich zum Anlass“, tragen zu können. Davon darf man ruhig ein wenig fasziniert sein, dass man nicht verkleidet sein muss, um modisch auf der Höhe der Zeit bei fast jedem Anlass gut auszusehen. Purismus ohne Verzicht auf die Schönheit der natürlichen Proportionen. Futurismus auch als Anerkennung dessen, was Frauen heute schön macht.

In Summe hat die Designerin den Brückenschlag zwischen dem alten Ruhm der deutschen Modemacherin im besten Sinne und der neuen Jil Sander, die auf der handwerklichen und kreativen Grundlage vieler Erfolgskollektionen immer für positive Eindrücke und Überraschungen gut ist, für mich perfekt gemeistert. Ich bin sicher, dass mit der dritten und vierten Kollektion die Wogen der Begeisterung, auch bei den eingefleischten Raf-Simons-für-Jil-Sander-Fans langsam aufbranden könnten. Am Ende ist das alles nur in unserem Kopf, was wir uns zu so mancher Kollektion zusammen fantasieren und fabulieren …

Mir gefällt das neue Manifest der fraktalen Geometrie der Rauheit der Kreateurin Jil Sander. Und auch, wie Sie die Natur des Modebusiness beschreibt: Oft weißt du nicht was du willst, bevor du gesehen hast, was du nicht willst … oder so ähnlich. Cool und richtig ist heute modern. Was sagt ihr dazu, liebe LeserInnen? Wie gefällt die Kollektion?

Show Credits: Haare: Guido Palau, Make-Up: Pat McGrath, Set-Up und Lichtdesign: Thierry Dreyfus,

  • peter
    26. Februar 2013 at 11:46

    Mit der Kollektion hat sie sie alle wieder:die alten jils sander Kunden und die neuen gleich dazu,neben Prada das stärkste was in mailand gezeigt wurde!!!Danke Daisy für den Artikel genau meine Sichtweise!!!

  • peter
    26. Februar 2013 at 12:04

    und mein toller Mantel- Winter geht auch weiter!!!

  • Daisydora
    26. Februar 2013 at 12:15

    @peter

    Finde ich auch. Genau wie du. Solche Berichte sind ja sehr einfach, weil das so klar ist, wie sie das meint und das Frauenbild ist einfach modern. Oh ja, der Mantelwinter, der scheint teuer zu werden. Mir gefällt schon jetzt so viel …. 😉

  • Ludger
    26. Februar 2013 at 13:00

    Super!

  • blomquist
    26. Februar 2013 at 14:17

    Eine wirklich gute Kollektion!

  • Monsieur_Didier
    26. Februar 2013 at 17:24

    …auf jeden Fall besser als die Männer-Kollektion, die mir gar nicht gefiel…
    da sind etliche sehr gute Stücke bei. Nicht alle, aber das ist ja auch eher persönliche Geschmacksache, aber sehr viel…

    …ich muss es aber noch einmal in den Raum stellen, irgendwie habe ich den Eindruck, dass Jil Sander wieder ein paar Schritte zurückgerudert ist, hin in Richtung dessen, was man von ihr kennt…

    ich weiß, das Raf Simmons umsatzmäßig wohl nicht der große Sieger bei Jil Sander war, aber irgendwie hat mir sein Weg „besser“ gefallen, wenn man das überhaupt so sagen kann…

  • loewenherzblut
    26. Februar 2013 at 22:08

    …auf jeden Fall genau so gut wie die Männer-Kollektion, die mir erstklassig gefiel. Ich fahre auf diese unterkühlte, teilweise verkopft anmutende Sinnlichkeit, die hier über die „schnittfeste“ Kleidung transportiert wird, total ab. Die Hausherrin ist konsequenterweise immer mehr „JIL SANDER“ als es jeder Gastdesigner jemals sein könnte, oder: Ich bin ein besseres „Ich“, als Du es jemals sein könntest.

  • Daisydora
    27. Februar 2013 at 08:57

    @Monsieur_Didier

    Zu der Männerkollektion schreibe ich auch noch einen Bericht, bin gespannt auf Deine Sichtweise …. Das mit dem ein paar Schritte Zurückrudern verstehe ich so, dass die Verkäuflichkeit der Teile auch im Auge behalten werden muss. Was hat man von hymnischem Lob der Fachpresse, wenn die Shops die Kollektion nicht großzügig ordern oder so wie in Düsseldorf im Flagshipstore bei Auslieferung der letzten, ganz tollen Kollektion von Raf Simons nur so wenige Stücke an den Stangen hingen, dass man dachte, das ist schon alles weg … Auf dem Weg von Raf Simons gab es Kollektionen mit großen Würfen, aber auch sehr Vieles, bei dem er gelungene Stücke durchdekliniert und weiter entwickelt hat. Bleibt aber Geschmackssache, da beide Kreateure ihr Handwerk beherrschen. 🙂

    @loewenherzblut

    Deine Sichtseise teile ich. Mag ja sein, dass weniger Trafalgars in einer Jil Sander Kollektion von Jil Sander sind, wenn du aber mehr als zwanzig Männer-Hotpants in einer Winterkollektion hast, die im Shop überhaupt keine Rolle spielen, dann ist das auch kein Erfolgskurs für so ein Label. 🙂

    @ludger und @Blomquist

    Genau, die Herren! 🙂

  • FrauFritz
    27. Februar 2013 at 09:43

    Ich habe Jil Sander mit Jil Sander immer geliebt. Dann kam Raf Simons und ich war begeistert!
    Bei der aktuellen Kollektion unter Frau Sander springt der Funke leider nicht über, ansonsten sehe ich das wie Monsieur_Didier: Sie ist zurückgerudert….

  • Siegmar
    27. Februar 2013 at 11:15

    das ist Jil Sander vom Besten !

  • Monsieur_Didier
    27. Februar 2013 at 13:41

    @ Daisydora: …ich danke Dir sehr für Deine ausführliche Antwort und bin sehr erfreut, weil Deine Antworten, egal welche Meinung Du in Deiner Antwort auch vertrittst, immer wertschätzend und respektvoll sind. Ich bewundere Deinen Humor, mit dem Du auch denen antwortest, die manchmal in einem Ton schreiben, den ich zugegebenermaßen manchmal seltsam finde. Ich fürchte, ich hätte arge Schwierigkeiten damit, so zu antworten…

    und, die Ironie, die bei Dir manchmal durchblitzt, finde ich klasse…
    meine Hochachtung für Deine Artikel hast Du ja sowieso schon 🙂

  • Daisydora
    27. Februar 2013 at 14:29

    @siegmar

    Genau – und ich bin auch bei dir schon sehr gespannt darauf, wie dir die Männerkollektion gefällt …. 🙂

    @Monsieur_Didier

    Das ist ja wohl selbstverständlich, aber danke für dein stets wohlwollendes, nettes und sympathisches Feedback. Ich bin als Schreiber ja schon ein kleiner Klug………, aber eben auch neugierig genug, mich für andere Blickwinkel und Sichtweisen zu interessieren und begeistern zu können …. und auf Horstson ist das ja so einfach, weil ihr so tolle Leser seid ….:-) 🙂 Also geht der Dank zurück an Dich und all die anderen Horstsonians!