(Louis Vuitton Herbst-Winter 2021-22; Bild: Courtesy © Louis Vuitton)
Am Anfang steht immer die Idee. Bei Virgil Abloh war es die Frage, was man werden möchte, wenn man erwachsen ist. Als Kinder werden unsere Träume und Sehnsüchte von Archetypen verkörpert: der Künstler, der Verkäufer, der Architekt. Diese Charaktere sind bei Kindern untrennbar mit ihren Uniformen verbunden: Sozusagen den Dresscodes, die wir bis heute im inneren Auge mit Berufen, Lebensstilen und Wissen verbinden. Von Kopf bis Fuß ist unser Verstand darauf trainiert, eine Garderobe zu skizzieren, die uns hilft, den Charakter einer Person zu dechiffrieren.
Virgil Abloh hat sich für die Herbst-Winter-Kollektion 2021 von Louis Vuitton das Ziel gesetzt, die unbewussten Vorurteile, die durch die Normen der Gesellschaft in unsere kollektive Psyche eingeflößt werden, zu untersuchen. Er setzt hierfür die Mode als Werkzeug ein, um diese Vorurteile zu verändern: Behalte die Codes, aber verändere die Werte.
Inspiration lieferte James Baldwins Essay „Stranger in the Village“, in dem es um die Parallelen zwischen den Erfahrungen des Autors als Afroamerikaner in einem Schweizer Dorf und seinem Leben in Amerika geht. Nun ist es sicher schwer, zwischen den Orten zu switchen – immerhin soll es immer noch eine Modenschau sein – daher wurde als verbindendes Glied ein luxuriöser Flughafen gewählt, der als Setting im „Tennis Club de Paris“ aufgebaut wurde. Gleichzeitig konnte dadurch die Brücke zur DNA von Louis Vuitton geschlagen werden: Immerhin wollte der Firmengründer Kofferhersteller werden. Die Prêt-à-porter-Linie kam eh erst 1997 hinzu, als Marc Jacobs im Grunde den Anfang machte, an der Bekleidungs-Heritage von Louis Vuitton zu stricken.
Soviel zur Theorie. Als Darstellungsform für die Präsentation wählte Virgil Abloh „Peculiar Contrast, Perfect Light“, so der Name des 15-minütigen Films, der in Schnittfolge und Bildsprache an ein Musikvideo erinnert. Der Rahmen der Performance dreht sich hierbei um den figurativen Begriff des Kunstdiebstahls: die von der Gesellschaft gesponnenen Mythen um Herkunft und Besitz von Kunst, visuelle Referenzen und diejenigen, die sie schaffen, wie ich der Pressemitteilung entnehmen konnte. Unterstützung holte man sich durch den Konzeptkünstler Lawrence Weiner, der eine Reihe von Aphorismen als Muster konstruierte, die mit diesen Prämissen verbunden waren: „You can tell a Book by its Cover“, „The same Place at the same Time“, „Somewhere, some how“. Es handelte sich also um einen Dreiteiler, der mittels der Kleidungsstücke und Accessoires mit dem Thema der Illusion spielen möchte und der durch die Perfomances von Saul Williams, Yasiin Bey und Kai-Isaiah Jamal zusammengehalten wird. Ja, kleingestapelt wird bei Virgil Abloh nie, wobei es ja um die Kleidung geht, wenngleich der Käufer ja ein stückweit das durch die Präsentation vermittelte Image mitkaufen möchte.
Betrachtet man also die Entwürfe, fällt auf, dass sich Abloh scheinbar von seinem Image als König der Streetwear trennen möchte. Was bei der letzten Kollektion schon angefangen hat, die, nun ja, Referenz an den Designer Walter Van Beirendonck beinhaltete, wird nun weitergeführt. Höhepunkt dürfte die Chicago-Sykline sein, die ein wenig an ‚Gothic Habit‘ von Lynn Christiansen erinnert.
Gänzlich in die Avantgarde kippt Abloh allerdings nicht, zum Glück, denn dann wären Highlights wie die viel zu langen Mänteln und die „Tourist vs. Purist“-Idee komplett unter den Tisch gefallen.
Daran, was Virgil Abloh an Styling- und Kombinationsideen aufgeboten hat, kann man sich nicht so schnell sattsehen, obwohl es nur eine zentrale Idee ist, die man gefühlt zwanzig Mal anders durch dekliniert hat. Im Fokus steht der überschlanke, aber nicht magere Pimp mit elegant langgezogener Silhouette, der das Haus nicht ohne Filzhut verlässt und ab und zu auch zum Pelz (auf den hätte man verzichten müssen) oder elegantem Rock (auf den hätte man nicht verzichten dürfen) greift.
Man sollte die Outfits erst mal gut auf sich wirken lassen und nicht gleich daran denken, wie wohl die Kollegen im Büro darauf reagieren werden, wenn man sich so gekleidet in der Kantine begegnet. Kurzum: Mir gefällt das Meiste, ohne exakt zu wissen, warum. Was spannend ist, ist die Frage nach dem Käufer: Folgen die treuen Kunden Ablohs Vuitton-Vision oder lassen sie sich von der Inszenierung abschrecken? Auch braucht man viel Stilgespür, um den Look nicht ins Prollige kippen zu lassen. Schaue ich mir die tagtäglichen Schlangen vor der Louis-Vuitton-Boutique in Hamburg an, bekomme ich leider etwas Zweifel.
Vk
27. Januar 2021 at 15:55Ja, ganz toll. Wunderbare Vitalität. Auch das “in transit” Thema ist so stark und überzeugend. Nie war ich ein Fan von abloh, aber hier hat er mich sofort. Wunderbare Vitalität. Herrliche Poesie.
paule
27. Januar 2021 at 20:15THOM BROWN für LV.
Horst
28. Januar 2021 at 10:15@Paule Meinste? Nee, allenfalls diese merkwürdigen Silhouetten zum Anziehen. Ansonsten doch recht bodenständig.
Und bei Thom Brown sieht es meist auch nur so dramatisch auf dem Laufsteg aus, die Kollektion, die dann verkauft wird, ist wesentlich kommerzieller 😉
paule
29. Januar 2021 at 18:58@ horst
also, es gibt gut fünf outfits, die direkt so von der thom brown show kommen könnten. bei anderen sind es einige details. als ich es gesehen habe, dachte ich sofort an thom brown (und teileweise an balenciaga).