Männermode

Kim Jones für Dior – Männerkollektion Winter 2020/2021

(Dior Männerkollektion Winter 2020/2021; Bild: Brett Lloyd für Dior)

Dass Kim Jones einen exzellenten Job für Dior Homme macht, steht schon seit seiner Debütkollektion 2018 außer Frage. Der Engländer liebt die Codes des Hauses. Besonders die Zeit des Gründers Christian Dior liefert für ihn augenscheinlich die größte Inspirationsquelle in den Dior-Archiven. Fasziniert, nicht nur von der Perfektion der Zeit und dem Handwerk, das er gekonnt in die Menswear des Hauses neu einführte, und dem Spannung des Bogens von der ursprünglich nur den Frauen vorbehaltenen Haute Couture zu der modernen Männerkleidung – eine Symbiose, die Jones nach und nach perfektioniert. Feminine Elemente, jetzt in fast jeder Männerkollektion zu sehen, weiß er, im Gegensatz zu anderen Designern, mit viel Feingefühl und einer roughen Art umzusetzen. Jones‘ Inspirationen werden durch zahlreiche Künstlerkooperationen immer wieder um neue Facetten erweitert. Dabei gelingt es ihn, seine britischen Wurzeln durchscheinen zu lassen – ja, es ist für ihn der Kern seines eigenen Stils. Das alles koordiniert Jones zu der faszinierenden Melange, die Diors Männerkollektionen heute ausmacht und unverwechselbar erscheinen lässt.

Show Space für Dior Männerkollektion Winter 2020/2021; Bild: Adrien Dirand

Die echte Dior-DNA avanciert punktuell zu dem, was Dior Menswear selbst bei simplen Basics zu begehrten Objekten der neuen und jungen High-Fashion-Konsumenten werden lässt. Die Codes des Hauses, wie das Oblique-Muster, die Saddle-Bag oder auch „Gris Montaigne“, die hauseigene Farbe, wurden längst feste Bestandteile einer Marke, die, trotz siebzigjähriger Geschichte, die Millennials – vor allem in Asien – komplett fasziniert. Außerdem hat Kim Jones es auch geschafft, eine große, weibliche Trägerschaft zu gewinnen. Ob bei Streetwear oder Formal Fashion – der Designer beherrscht das Detail und vor allem die exakte Schnittführung fabulös.

Für die Winter-Saison 2020 schlägt Kim Jones ein neues Kapitel bei Dior auf und liefert eine sehr starke Kollektion ab, die nicht nur zeigt, dass er im Haus angekommen ist, sondern auch bei der Inspiration auf seine eigenen prägenden Elemente zurückgreift. Das Motto: „Vergangenheit, Gegenwart, Couture“. Jones orientiert sich für seine Entwürfe stark am Stil des legendären britischen Stylisten, Avantgardisten und Designers Judy Blame. Eine Persönlichkeit, die meine Generation und auch den 1973 geborenen Jones stark beeinflusst hat.

Der Millenniums-Generation kurz erklärt: Judy Blame war der Erste, der die Mode von Helmut Lang, Alexander McQueen oder dem jungen John Galliano fotografiert hat. Er war derjenige, der den Stil von Boy George oder die Bühnenoutfits der frühen Björk entwickelte. Blame schuf Kreativpools, an denen sich heute noch die Dover Street Markets orientieren, und denen Designern wie Philip Treacy oder Kim Jones den Weg geebnet hat. Das wichtigste aber war seine Arbeit für die Magazine „i-D“ und „The Face“. Mit seinen Stylings hat Judy Blame die Mode für mehrere Generationen geprägt und die Sicht auf Designs in einen völlig neuen Kontext gestellt. 2018 starb Judy Blame mit 58 Jahren. Jones sieht diese Dior-Kollektion als seine Hommage an Blame.
„Ein Diamant ist nicht besser als eine Sicherheitsnadel“ – ein Zitat von Judy Blame, das gleichzeitig seine tiefe Verwurzelung im britischen Punk symbolisiert und zusammen mit dem Dior-Logo zum Erkennungszeichen dieser Kollektion avanciert.

Show Space für Dior Männerkollektion Winter 2020/2021; Bild: Adrien Dirand

Für mich eine der stärksten Kollektionen der Saison. Jones wirft spielerisch die große Couture-Tradition sowie die Wurzeln des Hauses eine Hülle wie eine Layering Looks über. Besonders deutlich wird das an den weiblichen Stylingelementen wie den langen Handschuhen in Samt – welche Dior seinen Abendcapes und großen Ballroben in jeder Kollektion dazugab – sowie mit dem für die Couture signifikanten Dreiviertel-Arm. Darunter finden sich dann aber klassische Looks, die mit den Elementen Blames wie Arts & Crafts und Charles Rennie Macintosh Paisleys, Mützen, die Erinnerungen an Boy George wecken und die Stephen Jones individualisierte, Kaskaden von Key Chains, Safety-Pins-Ketten und im Grunge Stil löchrig eingerissenen groben Kaschmirpullis spielt.

Die Fortsetzung von Christian Diors geliebten Toile-de-Jouy erscheint in groben großen Jaquard Pullovern mit Rokoko-Motiven des Malers Jean-Honoré Fragonard, der unweit von Diors Südfrankreich-Villa „La Colle Noire“ geboren wurde, in Grasse, wo alle Dior Parfums kreiert wurden. Die großen Seiden-Faille-Capes erschienen schon in der ersten Haute-Couture-Kollektion 1947 von Christian Dior und sollten schon damals nur einem einzigen Zweck dienen: Das spektakuläre Erscheinen der Dame und den großen Auftritt symbolisieren, bevor sie an der Garderobe abgegeben wurden. In Zeiten von Selfies und permanenter Selbstdarstellung aktueller denn je.

Jones wählte die Lieblingsfarbe Diors für die dramatisch, aus luxuriös dicker raschelnden Seide bestehenden Capes und Mäntel. Das Louis-XVI.-Grau „Gris Trianon“, das durch Christian Dior zum „Gris Montaigne“ wurde, benannt nach dem Stammhaus Diors. Jones verwandelt sie zu Keypieces der Männerschau, um seine maskulinen Looks in Kontrast zu stellen.
Das gibt mir den Anlass, einmal grundlegend zu erklären, dass heute Modenschauen häufig von Influencern und Instagramnutzern falsch gesehen wird: Nicht alle Looks einer Schau sollen 1:1 übernommen werden. Die Schau ist dazu da, Tendenzen zu überzeichnen. Jeder, der sich nur ein wenig professionell mit Mode beschäftigt, weiß, dass die Looks dazu da sind, sich seine, zu seinem eigenen Stil passenden Einzelstücke auszuwählen und die Stylingelemente der Show nicht komplett zu übernehmen. Geschmack beweist sich nicht durch komplettes Adaptieren. Das führt, wie man jeden Tag sieht, dazu, dass entweder die Träger lächerlich wirken und die Begehrlichkeit schnell abebbt.
Zurück zur Schau: Wer sich die Couture-Handschuhe und -Capes wegdenkt, wird reichlich mit absolut tragbaren Traumteilen von Kim Jones in dieser Kollektion belohnt.

Die zweifarbigen mit Couture-Pastellen gewürzten Bomber, die wunderbaren Jacquard Pullover, die tollen Flanellhosen und die wahnsinnig schön gemachten Accessoires, Schuhe und Taschen, werden sicherlich wie warme Semmeln in den Boutiquen verkauft. Die Anzüge – klassisch und scharf geschnitten und mit den Judy-Blame-Borten besetzt – die Overshirts in Satin mit Hommage an den berühmten Dior-Zeitungsdruck der Zeit von Galliano bei Dior. Jedes Teil mit ungeheurer Liebe und intelligenter Detailversessenheit gemacht. Als Highlight ein Woll-Cape, das mit einer kostbaren Stickerei aus Strass versehen ist und seine Wurzel in einer berühmten Abendrobe Christian Diors hat.

Eine Transformations-Kollektion der Menswear, die gekonnt Maßstäbe setzt und begeistert. Kim Jones für Dior Winter 2020/2021 – eine Sternstunde des Geschmacks und eines Designers, der das Haus Dior und seinen eigenen Stil perfekt beherrscht. Bravo, Kim Jones!

  • Kai Margrander
    24. Januar 2020 at 12:35

    Das bestickte Woll-Cape ist von einem Couture Kleid von Marc Bohan inspiriert.
    Wie einige andere wichtige Stücke in der Kollektion auch.
    Schade das Ihr ihn unter den Tisch habt fallen lassen. Aber das passiert in der Modegeschichtsschreibung mit Marc Bohan leider oft…
    xkai

  • Stephanberlin
    24. Januar 2020 at 18:44

    Das ist richtig gut!