Foto: Balenciaga/Instagram, Screenshot; Collage: Horstson
Was bisher geschah: Anfang November 2022 veröffentlichte Balenciaga via Instagram eine Kampagne, bei der Kinder zu sehen waren. Auf einen ersten, sehr flüchtigen Blick unspektakulär, beim genaueren Hinsehen fiel auf, dass die Teddybären gefesselt waren und an BDSM-Praktiken erinnern. Die umstrittenen Kampagnenfotos wurden inzwischen entfernt.
Der Fotograf der Kampagne, Gabriele Galimberti, sieht sich heftigen Reaktionen ausgesetzt, sagt allerdings, dass er nicht berechtigt war, weder die Produkte noch die Modelle noch die Kombination derselben auszuwählen, wie er auf Twitter mitteilt: „Als Fotograf wurde ich einzig und allein gebeten, die gegebene Szene auszuleuchten und die Aufnahmen gemäß meiner Handschrift zu machen. Wie üblich liegt die Regie der Kampagne und des Shootings nicht in der Hand des Fotografen.“
Eine andere Kampagne, aufgenommen von einem anderen Fotografen, die allerdings nur kurz zuvor vom Luxuslabel veröffentlicht wurde, zeigte ein Model in einem Büro. Auch hier wirkt das Bild eher unauffällig – im Hintergrund liegt allerdings das Buch „Fire from the Sun“ des belgischen Malers Michaël Borremans, in dem unter anderen Kinder in für den Betrachter z.T. verstörenden Situationen zu sehen sind.
Wieder ein anderes Motiv zeigt – beim genaueren Hinsehen – den Text eines Urteils des Obersten Gerichtshofs in Bezug auf Kinderpornografie: „Die zweite, separate Kampagne für das Frühjahr 2023, die eine geschäftliche Büroumgebung nachbilden sollte, enthielt im Hintergrund ein Foto von einer Seite aus dem Urteil des Obersten Gerichtshofs ‚United States v. Williams‘ 2008, das die Förderung von Kinderpornografie als illegal und nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt bestätigt“, wie Balenciaga jetzt auf Instagram kommentiert. „Alle Gegenstände, die in diesem Shooting enthalten waren, wurden von Dritten zur Verfügung gestellt, die schriftlich bestätigten, dass diese Requisiten gefälschte Bürodokumente waren.“ Zudem sei die Aufnahme dieser nicht genehmigten Dokumente auf „rücksichtslose Fahrlässigkeit“ zurückzuführen – rechtliche Schritte seien eingeleitet.
Darüber hinaus überarbeitet das Unternehmen die Organisation und kollektive Arbeitsweise genau, wie in einem Statement bekannt gegeben wurde. So sollen die Strukturen rund um unsere kreativen Prozesse und Validierungsschritte gestärkt werden, um sicherzustellen, dass derlei Fehler nicht nochmals geschehen. Zudem sei geplant, sich gegen Kindesmissbrauch zu engagieren. Man wolle aus den Fehlern lernen.
25-Millionen-Dollar-Klage?
Die zum Luxuskonzern Kering gehörende Marke kündigte indes lt. Medienberichten an, die Produktionsfirma North Six und den Bühnenbildner Nicholas Des Jardins und seine gleichnamige Firma auf 25 Millionen Dollar zu verklagen.
Ob das reicht, den Imageschaden aufzufangen? Fraglich: Mittlerweile hat zum Beispiel auch Business of Fashion (BoF) eine Auszeichnung für den Kreativdirektor des Modehauses, Demna Gvasalia, aus Protest zurückgenommen, wie die „Daily Mail“ berichtet.
Der Designer hat sich bisher noch zu den Vorwürfen bzw. zu den missglückten Kampagnen geäußert.
Kim Kardashian überdenkt Beziehung zu Balenciaga
Zwischenzeitlich hat sich Kim Kardashian per Twitter-Thread zu Wort gemeldet: Die Unternehmerin hätte sich in den letzten Tagen ruhig verhalten, „nicht, weil ich nicht angewidert und empört über die jüngsten Kampagnen von Balenciaga war, sondern weil ich die Gelegenheit haben wollte, mit ihrem Team zu sprechen, um selbst zu verstehen, wie das passieren konnte.“ Als Mutter von vier Kindern wurde sie von den verstörenden Bildern erschüttert: „Der Sicherheit von Kindern muss höchste Beachtung geschenkt werden, und alle Versuche, Kindesmissbrauch jeglicher Art zu normalisieren, sollten in unserer Gesellschaft keinen Platz haben – Punkt.“ Sie schätze Balenciaga Entscheidung, die Kampagnen zu entfernen und sich zu entschuldigen. Sie glaubt, dass das Unternehmen den Ernst des Problems versteht. Dennoch überprüft sie derzeit ihre Beziehung zur Marke neu, aber unterstütze auch die Bereitschaft, „Verantwortung für etwas zu übernehmen, das nie hätte passieren dürfen – und die Maßnahmen, die sie voraussichtlich ergreifen werden, um Kinder zu schützen.“
Ein inszenierter Skandal?
Bleibt die Frage, wie das alles so geballt überhaupt passieren konnte oder ob es ein (aus dem Ruder gelaufener) inszenierter Skandal ist, wie die „Berliner Zeitung“ fragt. Die Frage liegt auf der Hand, aber ich glaube das nicht. Die Entschuldigung ist glaubhaft, und, man mag es kaum glauben, Fehler passieren. Was in der Gesellschaft hingegen manchmal fehlt, ist die Fehlerkultur, wie sie Kim Kardashian zum Beispiel gelebt hat: Abwarten und mit den Beteiligten sprechen.
Dem Betrachter erschließt allerdings nicht, warum beim Offensichtlichsten – dem BDSM-inspirierten Teddy – kein Verantwortlicher sein Veto eingelegt hat. Und überhaupt: Warum müssen Kinder in der Werbekampagnen eingesetzt werden, in der es um Balenciaga-Devotionalien wie um Champagnergläser, Bettwäsche und Kaffeebecher geht?
paule
29. November 2022 at 19:59@HORST
bitte hilf mir, ich verstehe nicht ganz, was Du meinst mit „Was in der Gesellschaft hingegen manchmal fehlt, ist die Fehlerkultur, wie sie Kim Kardashian zum Beispiel gelebt hat: Abwarten und mit den Beteiligten sprechen.“ In diesem Fall bin ich ja nicht Kim. Ich kann da also nicht einfach anrufen und die sprechen dann mit mir. Wen hätte ich ansprechen sollen? Demna? Salma Hayek? Also ganz so einfach ist das oftmals vielleicht nicht mit der richtigen Fehlerkultur, die Kim (vor)lebt. Kim ist ausserdem ja auch Juristin, die kennt sich bei diesen Dingen auch besser aus, als andere.
Und eine Sache stört mich etwas. Die Entschuldigung. Nun, nachdem Leugnen nicht so gut geklappt hat wird eine Entschuldigung nachgeschoben. Aber wer entschuldigt sich eigentlich? „We“ sind alle und keine(r). Wie glaubwürdig ist das? Da schreiben findige Köpfe was zusammen. Transparenz aber sieht anders aus.
Zum Schluss gebe ich Dir natürlich recht. Was haben Kinder da zu suchen? Das ist uncool. ich hätte Dolly Parton für die Kampagne genommen. Das wäre lustiger, einfallsreicher und weniger verfänglich gewesen.
Nun, auch die Madonna wird jetzt erstmal nicht mehr in der Adidas/Balenciaga-Klamotte durch Instagram hüpfen.
Ex-Gucci-Michelle fehlt jetzt. Er hätte hier einspringen können und schnell mit ein paar Filmchen, einer raschen Co-op und einem Harry Styles in Glitzer-Anzug ablenken können. Er ging zur falschen Zeit.
Thomas
29. November 2022 at 22:21Das die Verantwortlichen gar nichts mitbekommen haben? Ich weiß ja nicht.
Wahrscheinlich herrscht bei Kerings der selbe Druck wie in anderen Unternehmen. Keine Zeit, mehr Aufgaben, immer höherer Gewinn.