Interview

“Ich würde gerne mal ein Album in Japan aufnehmen“ x Jan Who trifft Agnes Obel

(Agnes Obel; Bild: Alex Flagstad)

Die dänische Sängerin, Songwriterin und Musikerin veröffentlicht morgen ihr neues und viertes Album „Myopia“. Jan Who traf sie in Berlin und sprach mit ihr über Isolation während der Arbeit, Gerhard Richter, „Pan’s Labyrinth“ und ihre gemeinsame Liebe zu Japan.

Jan Who: Dein neues Album heißt „Myopia“, was soviel wie „Kurzsichtigkeit“ bedeutet. Eine Kurzsichtigkeit, die du dir auch während der Aufnahme auferlegt hast.
Agnes Obel: Richtig, ich nehme alle meine Alben so auf. Ich schließe mich sozusagen ein und kreiere diesen leeren Raum um mich herum für mich allein, frei von Zwängen, Anforderungen etc.. Der Unterschied bei „Myopia“ ist, dass ich dieses Mal auch beobachtet habe, warum ich so arbeite. Daher hat das Album auch den Namen bekommen.
(Handy klingelt)
Oh sorry, das ist mein Freund.

Ihr seid aber mittlerweile verheiratet, oder? Bei der Pressekonferenz hattest du dich noch selber korrigiert.
(lacht) Ja das ist so ungewohnt. Wir kennen uns schon seit Ewigkeiten und dann ist es mit einem Mal dein Mann. So Telefon ist jetzt lautlos, sorry.

Zu diesem Zustand der Isolation noch einmal. Ist das in Berlin überhaupt möglich? Und vor allem auch in Zeiten von Social Media?
Also davon mal abgesehen, dass ich währenddessen kein Internet habe, besitze ich dabei auch kein Smartphone. Ich habe lediglich dieses „Seniorentelefon“, was Alex (ihr Mann) mir gekauft hat. Dieses mit den riesigen Tasten. Dieses Mal war der ganze Prozess auch zusätzlich unfreiwillig sozial isolierter. Wir mussten aus unserer Berliner Wohnung raus und in das Gebäude ziehen, in dem das Studio selbst auch war. Dort wo wir vorher gewohnt haben, hatte ich natürlich mein soziales Leben um mich herum und ich musste nach meiner „Isolation“ einfach nur rausgehen und war unter Menschen. Das Studio allerdings ist in Oberschöneweide, was eine relativ industrielle Umgebung ist und auch etwas weiter aus Berlin raus. Und ich muss zugeben, da war es schon etwas einsamer. Das war für das Album gut, aber ich bin froh auch wieder zurückzuziehen. (lacht)

Du lebst jetzt schon eine Weile in Berlin. Beeinflusst die Stadt deine Musik?
(seufzt) Also ich bin nicht in irgendeiner musikalischen Szene hier in der Stadt vernetzt, deswegen ist das schwer zu sagen. Aber ich denke schon ein wenig, ja. Ich komme ja aus Kopenhagen und habe dort damals schon Musik gemacht, bevor ich nach Berlin gezogen bin. Als ich hier ankam, habe ich mich sehr frei gefühlt. Ich mache Musik seitdem ich ein Kind bin. Damals gab es die Musik, die ich in der Schule oder mit meiner Band gespielt hatte. Und dann gab es die Musik, die ich alleine komponiert habe. Bis ich nach Berlin kam, hatte ich immer den Eindruck, dass meine eigene Musik nicht interessant genug war. Ich denke Berlin hat mir einfach den Raum gegeben, meine eigene Musik in einem neuen Licht zu sehen. Die Stadt hat mir auch das Selbstbewusstsein verliehen, diese Art von Musik zu machen ohne dabei diese Tunnelsicht zu entwickeln und sich immer zu fragen: Würde man das im Radio spielen?

Gibt es ein Song auf dem Album, der dir leichter zu schreiben fiel als der Rest?
Ich glaube der letzte Song auf dem Album, „Won’t you call me”, ist mir am leichtesten gefallen. Ich konnte mich mit dem Gefühl, welches mit dem Song verbunden ist, sehr gut identifizieren. Es geht in dem Song darum, wie lang sich Zeit anfühlt, wenn man verliebt ist.

Und man auf diesen einen Anruf oder diese WhatsApp Nachricht wartet…
Ja genau. Und ich hatte das Gefühl, dass man, um das zu transportieren, nicht unbedingt so viele Elemente im Song braucht, sondern nur meinen Gesang und das Piano. In meinen Augen brauchte der Song nicht soviel Produktionsaufwand oder extra Effekte wie die anderen Songs.

Gibt es andersrum auch einen Song, wo du denkst: Da hätte ich noch etwas mehr dran machen können bzw. wenn die Zeit da gewesen wäre, hätte ich den nochmal angefasst?
Ja es gab andere Songs, die noch mehr einzelne Fragmente hatten, die ich final nicht eingebaut habe. Ich wollte es limitieren, weil es auch schnell zu lang wirken kann mit zu vielen Einzelteilen.


Agnes Obel: „Myopia“; Bild: Alex Flagstad

Ich war in einer Gerhard Richter Ausstellung und er sagte über eines seiner Werke, dass es mehrere fast gleiche Versionen vor diesem finalen Bild gab, aber nur er als Künstler eben weiß, wann es letztendlich perfekt und final ist. Funktioniert das bei dir und deiner Musik ähnlich?
(überlegt lange) Hm … Ich glaube die Frage kann ich nicht so wirklich beantworten. Ich weiß was er meint, wenn er sagt, dass man das Gefühl hat, wenn sich etwas künstlerisch richtig anfühlt. Es gibt eben viel Irrelevantes, an das man Zeit verschwenden kann. Und sicher weiß ich auch irgendwann instinktiv wenn ein Stück fertig ist, auch wenn ich es vorher schon tausend Mal ähnlich gemacht habe. Für mich fühlt es sich dann immer so an als wäre ich ein wenig verliebt. Als wenn man etwas macht und merkt, das wird etwas ganz Besonderes. Und dann ist es auf einmal fünf Uhr morgens, man packt seine Sachen zusammen und hat Angst, auf dem Heimweg irgendwie von einem Auto überfahren zu werden, weil man dann dieses ganz besondere Stück nicht fertig machen kann (lacht). Ich denke man kann aber kein guter Künstler sein, wenn man nicht auch zweifelt. Das darf dann natürlich auch nicht Überhand nehmen, sonst hemmt man sich wieder selber.

Was für eine Verbindung gibt es zwischen „Citizen of Glass“ und „Myopia“? Ist es in gewissem Maße eine Fortsetzung oder sind beide Alben für sich alleinstehend?
Oh ich würde sagen, dass sie sehr miteinander verbunden sind. Beide Alben handeln von der Wahrnehmung und auch davon diese anzuzweifeln. Ich würde sagen „Citizen of Glass“ bezieht sich dabei eher auf die Wahrnehmung der „äußeren Welt“, also Technologie und wie wir uns verhalten. „Myopia“ befasst sich eher mit der subjektiven, innerlichen Wahrnehmung. Wie man seinen eigenen Geist wahrnimmt, dieser sich verändert und wie man an seiner eigenen Wahrnehmung manchmal zweifelt. „Myopia“ ist also eher geschlossen und „Citizen of Glass“ eher offen und nach außen gerichtet.

Du nutzt sehr viel moderne Technik auf deinem Album und auch auf der Bühne. Wie denkst du wird sich diese technisch weiterentwickeln bzw. was wird es hier an neuen Impulsen geben? Ich hatte den Eindruck, dass zum Beispiel „Myopia“ mit noch mehr Technik aufgenommen wurde als „Citizen of Glass“.
Ja, da hast du ein Stück weit recht, aber ich glaube das kommt einem auch vielleicht deshalb so vor, da wir auf „Myopia“ viel mit Effekten über den Stimmen gearbeitet haben. Ich denke aber beide Alben sind sich sehr ähnlich. Ich tue mich ein wenig schwer damit zu sagen, wo die technische Entwicklung hingehen wird, weil ich natürlich meiner eigenen Inspiration nachgehe, unabhängig von der Technik. Also wer weiß, vielleicht mache ich als nächstes ein Flötenalbum.

Oh, hi Björk!
(lacht) Ach ja richtig, das hat sie gerade gemacht. Ich muss sagen, ich habe sie das letzte Mal in der Zitadelle (Berlin Spandau) erlebt und es war eines der besten Konzerte, die ich jemals gesehen habe.

Sprechen wir mal über deine Live-Performances. Du hast immer so wahnsinnig talentierte Leute auf der Bühne. Wo bekommst du die immer her?
Das ist lustig, weil das ein wenig random ist. Tatsächlich kommt da viel über Empfehlungen und Anne Baker habe ich über eine Ausschreibung auf Facebook gefunden. Der Rücklauf hat mich wirklich umgehauen und ich fand alle wahnsinnig gut. Sie konnte aber zusätzlich auch sehr gut loopen und singen, daher hatten wir uns für sie entschieden.

Dein Mann macht die meisten deiner Musikvideos. Wie wichtig sind Musikvideos für dich und deine Musik?
Ich denke sie sind sehr wichtig und ich liebe Musikvideos. Ich mag aber keine Videos, die nur als Promo-Tool dienen. Am Anfang meiner Solokarriere musste ich mal ein Musikvideo drehen, wo man mich als Singer/Songwriter reingecastet hat. Ich hatte drum gebeten, das nicht zu machen, weil ich es wirklich ganz schrecklich fand. Und ich habe dann am Ende gesagt, dass es entweder bitte gar keine Musikvideos geben soll oder sie müssen von jemandem gemacht werden, der meine Musik und die Art und Weise, wie ich arbeite, versteht. Und das ist Alex. Wir sprechen auch nicht mal wirklich darüber im Voraus. Er versteht die Musik und mich einfach und weiß, wie man sie dann visuell umsetzt. Es ist sozusagen seine Interpretation meiner Songs und ich bin wirklich glücklich, dass er das für mich macht.

Du warst wie ich vor kurzem in Japan. Eine wahnsinnig faszinierende und andere Welt wie ich finde. Was hast du an Inspirationen mitgenommen – musikalisch wie auch generell?
Wenn man in so ein Land kommt, wo alles so neu und anders ist, fühlt sich das alles so verjüngend an und man fühlt sich wie neu geboren. Die ganze Art und Weise der Menschen dort hat mich wirklich beeindruckt und ich war wirklich sehr inspiriert. Ich würde mir einfach eine kleine Wohnung für zwei Monate mieten und dann wirklich gern ein Album in Japan aufnehmen, einfach um zu sehen, wie das klingen würde. Ich habe auch schon zu Alex gesagt: „Ich will unbedingt nach Japan ziehen!“.

Letzte Frage: Für welchen Film hättest du gern den Soundtrack komponiert
„Pan‘s Labyrinth“ hätte ich super gern gemacht. Diese Perspektive des Kindes zusammen mit der von ihm geschaffenen Fantasiewelt fand ich toll! Ansonsten gern alles von David Lynch. Ich mag sein ganzes Universum. Ich finde seine Soundtracks nur sowieso schon so super, dass ich gar nicht wüsste, was ich anders machen würde.

„Myopia“ von Agnes Obel erscheint am 21.02.2020

Agnes Obel – „Camera’s Rolling“

 

Agnes Obel – „Island of Doom“

Agnes Obel – „Broken Sleep“