Interview Music

„Ich will laut und groß sein“ X Jan Who trifft Yoann Lemoine aka Woodkid

Hier eine kurze Zusammenfassung was Yoann Lemoine bereits alles erreicht hat. Jüngst eine Grammy-Nominierung „Bestes Video“ für „Run Boy Run“ (leider nicht gewonnen). Zweimal Gold und einmal Bronze beim Cannes Lions Advertising Festival 2010 für seinen Film zur Aids-Aufklärungskampagne, einmal Silber 2009 für seinen Film für Tiji-TV, Musikvideos für Lana del Rey („Born to die“, „Blue Jeans“), Katy Perry („Teenage Dream“), The Shoes („Wastin’ time“), Drake&Rihanna („Take Care“) sowie ein Film für Diane Pernet für die italienische VOGUE. Außerdem fotografiert er auch noch und hat nun beschlossen sein Debutalbum unter dem Namen „Woodkid“ zu veröffentlichen (VÖ 15.3.2013). Trotz allem wirkt das vergleichsweise kleine 29-jährige Multitalent Lemoine an diesem Tag im Berliner „Chalet“ so als wäre das alles selbstverständlich.

Jan Who: Werbefilme, Fotografie, Musikvideos für Lana del Rey und andere Acts und nun Woodkid. Kannst du überhaupt sagen was dir am meisten Spaß macht?

Woodkid: Nein nicht wirklich und es würde mir auch sehr schwer fallen mich da festzulegen. Als Künstler möchte ich mich ausdrücken und ich habe verschiedene Wege dies zu tun. Ich mache wie gesagt Videos, Musik aber auch das Bühnenbild für meine Show und je nachdem was ich sagen möchte suche ich mir das passende Ausdrucksmittel. Ich kann also dementsprechend schlecht sagen was mir am besten gefällt. Das wäre wie einen Künstler zu fragen was seine Lieblingsfarbe ist. Momentan fokussiere ich mich auf die Musik aber ich tendiere dazu immer das machen zu wollen was mir mein Terminplan nicht sagt (lacht).

Wie kamst du zu dem Künstlernamen „Woodkid“ ?

Es geht bei Woodkid um dieses Kind das sich im Prozess des Erwachsenwerdens befindet. Die Songs auf meinem Album beschäftigen sich mit den unterschiedlichen Stadien die man durchmacht bis man erwachsen ist. Und dieses Kind aus Holz („Woodkid“) wird sozusagen zu Stein. Ich mag es diese bildliche Metapher zu benutzen um meine Geschichten zu erzählen. Das mache ich in meiner gesamten Arbeit und das ist auch in meinen Videos gut zu erkennen. Meine ganze Musik ist sehr visuell. Ich habe außerdem über die Analogie der Materialien nachgedacht. Holz ist ein sehr starkes aber gleichzeitig empfindliches und emotionales Material.

Und es ist formbar …

Genau. Ich habe für dieses Album mit meiner Cousine zusammen eine Geschichte geschrieben welche die Story eines Jungen erzählt. Es gibt da diesen Moment am Anfang als draußen vor seinem Fenster ein schwerer Sturm tobt und er sieht wie sich die Bäume fast bis zum Boden biegen. Da fragt er seine Mutter: „Mama was passiert mit den Bäumen? Werden die brechen?“. Und die Mutter antwortet: „Nein mein Sohn sie sind sehr biegsam. Erst wenn sie alt sind werden sie morsch und brechen.“ Und das ist im Prinzip die Metapher für das ganze Albumprojekt. Es geht um die Zukunft des Kindes, wie es in der Stadt aufwächst und letztendlich sozusagen an der Stadt zerbricht wie dieser alte Baum. Auch der Junge erhärtet bzw. wird zu tough.

Und das Kind was man im Video zu „Iron“ und der Fortsetzung „Run Boy Run“ sieht ist sozusagen „Woodkid“?

So könnte man das interpretieren, ja. Aber ich benutze eine Menge Symbole und Schlüssel was die Interpretation meiner Arbeit anbelangt, sodass jeder sich mit meiner Musik identifizieren kann und seine eigene Story dazu hat. Daher habe ich auch viele unterschiedliche Fans. Ich denke meine Arbeiten sind wie Puzzles aus denen ich bewusst Teile entferne. Die Lücken die dadurch entstehen kann dann jeder für sich mit einem passenden Teil ergänzen.

Wieviel Persönliches von Yoann Lemoine steckt in dem Projekt „Woodkid“?

Ich grabe natürlich viel in meiner eigenen Vergangenheit aber ich bin in der Umsetzung sehr metaphorisch und unpräzise genug, sodass die Zuhörer sich daraus eine eigene Geschichte machen können. Das ist wichtig für mich da meine Musik sonst zu egozentrisch und ichbezogen wäre. Der Junge um den es geht, macht natürlich Sachen durch, die ich jetzt nicht zwangsläufig selbst erlebt habe.

Wenn du dein Debutalbum „The Golden Age“ beschreiben müsstest, was würdest du den Lesern sagen? Ich habe es mir auszugsweise schon anhören können und finde du klingst stimmlich ein wenig wie Antony Hegarty. Ist das musikalisch bzw. stimmlich eine Inspiration für dich?

Oh danke für den Vergleich. Antony ist ein stimmliches Genie und technisch wesentlich besser als ich. Ich würde sagen ich habe gerade mal 1/10 seines Talents.

Aber Stimme und orchestrale Untermalung habt ihr schon ein Stück weit gemein.

Ja stimmlich gesehen haben wir Beide diese Vibration in unserer Stimme, die allerdings auch viele andere Sänger haben. Und das Orchestrale … ja das stimmt es ist ein sehr orchestrales Album. Die Songs sind aufgebaut wie klassische Popsongs, aber das ganze Drumherum ist sehr orchestral, visuell und sehr emotional. Meine Stimme kollidiert oft mit diesem massiven Sound der die Erwachsenenwelt darstellt, wohingegen meine eher verletzlich klingende Stimme das Kind verkörpert. Das Album ist sehr kraftvoll und manchmal auch düster aber alles in allem sehr emotional.

Wo du gerade düster sagst. Du hast mal gesagt dass du viel Inspiration aus Religiosität und Krieg ziehst. Woher kommt das?

Das hat etwas mit meinem familiären Background zu tun. Ich komme aus einer polnisch – jüdischen Familie die natürlich mit dem Zweiten Weltkrieg in Berührung kam plus der jüdisch geschichtliche Hintergrund im Allgemeinen. Ich bin außerdem in einer sehr katholischen Umgebung aufgewachsen, war auf einer privaten Schule auf der viel gebetet wurde und wo ich von katholischen Mitschülern umgeben war. Als ich später meine Sexualität entdeckt und mehr über andere Religionen und die Sicht anderer Menschen auf diese erfahren habe, dachte ich gar nicht mehr religiös sein zu müssen und hatte diese typische jugendliche Reaktion: Das ist alles scheiße. Als ich dann Menschen verlor die mir sehr wichtig waren habe ich erkannt, dass es wichtig ist an etwas zu glauben was größer ist als du selbst um ein besserer Mensch zu sein. Davon abgesehen ist es so, dass ich den Sound religiöser und militärischer Musik liebe…

… wie den Marsch-Rhythmus in deinen Songs …

Ich liebe Marschkapellen denn die Hörner sind sehr militärisch. Orgeln und Chorgesänge benutze ich auch oft. Das ist wichtig für mich.

Du verpackst diese Elemente in deinen Videos so als wären es verfilmte Fashion-Editorials. Du hast zum Beispiel Agyness Dean dazu verpflichtet. Benutzt du die Mode um diese doch sehr ernstens Themen abzuschwächen?

Ja ich benutze Aspekte der Mode, der zeitgenössischen Kunst, der Fotografie aber auch aus Filmen um die Musik einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Dadurch habe ich bei meinen Shows ein sehr durchwachsenes Publikum. Von Gay Fashion Addicts und kleinen Mädchen bis hin zu älteren Leuten die gern Klassik hören. Ich würde nicht sagen ich liebe Mode aber ich liebe Kleidung und die Art wie Kleidung gemacht wird. Ich bin ja auch Regisseur meiner Musikvideos bei denen ich auch viel Styling mache.

Die Ergebnisse sind sehr aufwendig wenn man an Lana del Rey‘s „Born to die“ oder auch Woodkid‘s „Run Boy Run“ denkt. Wie wichtig bzw. unwichtig denkst du sind Musikvideos mittlerweile geworden?

Ich glaube das ist sehr projektabhängig. Ich habe für The Shoes ja auch ein Video gemacht das eher billig produziert wurde. Insofern denke ich, dass es auf jeden Fall keine Geldfrage ist. Ich mag es an Projekten zu arbeiten hinter denen Geld steckt weil man letztendlich natürlich mehr Möglichkeiten hat das umzusetzen was man sich vorstellt. Es ist manchmal wichtig mit viel Geld zu arbeiten, gerade wenn man Künstler hat die eine hohe Erwartung an das Ergebnis haben. Es gibt dank des Internets so viele Musikvideos, dass man laut und groß sein muss um gehört zu werden. Und was immer ich mache mit meiner Musik: Ich will auch laut und groß sein.

Und das bist du.

Ja weil ich gehört werden will. Was nicht heißt dass man nicht gleichzeitig auch aufrichtig oder manchmal auch subtil sein kann. Man muss einfach epische Bilder schaffen um sich in den Köpfen der Leute festzusetzen und einen Eindruck zu hinterlassen. Dann erinnert man sich auch an dich.

Dein nächstes Video wird von Kris van Asche gestylt werden und du bist auch mit ihm befreundet. Wie kam es dazu?

Er hatte meine Show im Grand Rex in Paris besucht und wir haben ein paar gemeinsame Freunde. Ich wusste dass er meine Musik mag und ich mochte seine Sachen. Außerdem mögen wir beide Dinge die gut gemacht sind, denn wir sind beide Handwerker und lieben schöne Sachen. Und wir mögen es beide nicht Witze über Kunst zu machen weil wir diese sehr ernst nehmen. Kris erzählt mit seinen Kollektionen auch Geschichten so wie ich mit meiner Musik. Seine aktuelle Kollektion ist sehr „Gattaca“. Die Anzüge und die Mäntel haben etwas Besonderes. Er ist sehr inspirierend, weiß ganz genau was er tut und kontrolliert es. Vor allem hat er durch seine Mode viel zu erzählen. Das mag ich.

Woodkid auf Tour:

07.03.2013 – Berlin – Babylon

5.04.2013 – 20:30 Uhr, München, Muffathalle

13.04.2013 – 20:00 Uhr, Heidelberg, Kongresshaus / Stadthalle

16.04.2013 – 20:00 Uhr, Köln, Live Music Hall

  • Siegmar
    20. Februar 2013 at 12:46

    gutes Interview, vielseitiger Künstler, das Video und der Song sind klasse.
    Jan Who, gib es das Video schon bei “ Itunes“ hab ich nicht gefunden?

  • arndt
    20. Februar 2013 at 14:19

    Wie kommt Ihr denn auf die Idee das Woodkid am 07. März im Babylon in Berlin auftritt ???
    Weder auf Woodkids Seite noch auf der Seite vom Babylon in Berlin findet man diesen Termin (…)

  • Volker
    20. Februar 2013 at 16:42

    Gutes Interview!

  • Jan Who
    20. Februar 2013 at 19:53

    @arndt:
    Es wird einige Karten geben. Die Info habe ich bekommen. Noch sind diese aber nicht erhältlich. Wir sind halt noch schneller als schnell 😉

    @Volker: Danke dir 🙂
    @Siegmar: Ich glaube noch nicht nein. Kommt aber mit Sicherheit bald 😉

  • Horst
    20. Februar 2013 at 20:18

    Ich muss ja zugeben dass ich Woodkid erst durch Dich kennengelernt habe … Alles Super – Interview und Musik! Merci

  • PeterKempe
    20. Februar 2013 at 21:47

    Super ! Der absolute Hammer ! danke Jan!

  • blomquist
    21. Februar 2013 at 08:23

    Großartig!

  • Horstson » Blog Archiv » Die Woche auf Horstson
    24. Februar 2013 at 12:40

    […] Das tolle Interview das er mit dem Künstler führte müsst Ihr ubedingt lesen. Bitte hier entlang. 3) Über den Gestank, der sich rund um die Abercrombie-Läden verteilt, wusste Jan […]

  • Daisydora
    24. Februar 2013 at 16:07

    Tolles Interview, Mr. Music Master 🙂 und ein interessanter Universalkünstler … sehr schön … Musik und Video!!!!

  • Jan Who
    24. Februar 2013 at 17:23

    An dieser Stelle noch einmal DANKE an alle 🙂

  • Horstson » Blog Archiv » Gewinnspiel: HORSTSON verlost die Limited Deluxe Edition von Woodkids „The Golden Age“
    15. März 2013 at 09:45

    […] ist soweit. Ab heute ist Woodkids Debut „The Golden Age“ erhältlich. Und wie wir bereits im Interview mit Yoann Lemoine erfahren haben, gibt es zum Album auch die Geschichte eines Jungen, welche er zusammen mit seiner […]

  • Jochen
    15. März 2013 at 16:10

    Sehr gutes Interview. Ein wirklich facettenreicher Künstler, den man definitiv im Auge behalten sollte, was mittlerweile eigentlich unumgänglich sein sollte. Man kann den Jungen eigentlich nur sympathisch finden und ihm, im Gegensatz zu vielen anderen, einfach nur den Erfolg gönnen.

    Woodkid: Kopfkino mit großem Sound