Bei der Frühjahrskollektion von Nadège Vanhée-Cybulski für das Haus Hermès, die wir ja live aus dem Manège Des Célestins übertragen haben, wünsche ich mir das erste Mal, dass die Technik weiter fortgeschritten wäre und unsere Leser die Möglichkeit hätten, die einzelnen Teile anzufassen. Die Kollektion verlangt danach, entdeckt zu werden, indem man die Stoffe näher ansieht und ertastet. Was auf den ersten Blick puristisch und fast schlicht wirkt, entfaltet – typisch für das Haus – seinen Zauber über die Materialien, über die raffinierte Schnittführung und der Verarbeitung, die man erst auf den zweiten und dritten Blick erfasst. Mode ist nicht nur eine Frage der Optik, sondern eine Sinneserfahrung – eine Grundmaxime des Hauses …
Bilder: Jean-François José
Vanhée-Cybulski hat die Zeitlosigkeit und das Understatement, das seit je her von der Marke ausgeht, bereits in der zweiten Saison verinnerlicht und ergänzt es um moderne Akzente, die, genau wie bei den Herren, eine Garderobe aufbaut, als eine saisonale Modekollektion sein will. Dabei spielt Vanhée-Cybulski, die in der Tradition der Belgier und puristischer Designer wie Jil Sander oder „The Row“ steht, ihre Trümpfe voll über die Schnitte und den Materialien aus. Nichts engt die Trägerin ein oder lässt sie prätentiös erscheinen. Alles wirkt selbstverständlich und unterstreicht Persönlichkeit und Alltag der Trägerin. Dabei denkt sie nicht nur an die typische Hermès-Kundin, sondern spricht urbane Frauen in aller Welt an, die Kleidung über viele Jahre neu kombinieren möchten und ihren eigenen Stil, der sich über Klarheit und Material definiert, haben.
Bilder: Jean-François José
Der schwarze Hosenanzug ist weit weg von dem Businessanzug der Neunziger und wird mit einem Badeanzug in Off-White und nachtblauem Jersey kombiniert. Doubleface-Kaschmir, die durchgängig als Erkennungszeichen durch die Kollektion gehenden H-Falten, „Banana Trousers“ und schlichte Suede-Pumps machen einen neuen Look daraus. Die Tiefe der Qualität und Looks, die nicht nach außen gerichtet sind, spiegeln genau die Eigenschaften wieder, die Hermès auszeichnet. Der Träger spürt den Komfort und die Eigenschaften stärker als der Betrachter und gibt einem die Sicherheit, perfekt angezogen zu sein.
Bilder: Jean-François José
Die weißen Gingham-Karo Jumpsuits, Kombinationen und Kleider spielen mit Courrèges Optiken in Seidentwill und setzen einfache Leinendrucke, wie sie auf skandinavischen Handtüchern zu finden sind, auf luxuriöse Materialien um. Vanhée-Cybulski spielt immer mit dem Gegensatz von Einfachheit und der nicht sichtbaren Opulenz. Die Virtuosität der Ateliers mit feinsten Lederqualitäten wie mit Stoff umzugehen oder auch die Carré-Drucke wie beispielsweise den Klassiker „Ex-Libris“ kombiniert sie neu und bringt feinsten Materialmix auf den Punkt. Die Carré-Motive wirken nicht laut, sondern ordnen sich der femininen Mode, die mit Elementen wie Plissees, offenen und geschlossenen Falten und Trapezschnitten bei den Oberteilen spielt, unter.
Die klassischen Materialien und Linien der Garderobe der Achtziger, wie Hosen im Karottenschnitt, lange Röcke, gegürtete Hemdblusen-Kleider, bekommen eine neue Modernität. Assoziationen an Lauren Hutton oder an die ersten Kollektionen von Jil Sander kommen einem in den Sinn. Seiden-Georgette in Smalt Blue oder andalusischem warmen Gelb setzten Farbakzente, ohne knallig zu wirken. Natürlich verwendet Vanhée-Cybulski auch die ikonischen Materialien für die das Haus steht, wie butterweiches Kalbsleder, das keiner so verarbeiten kann, wie die Lederexperten von Hermès. Klassische Haselnuss, Natur und Barenia-Töne lassen die Materialien noch authentischer rüberkommen und gehören jetzt schon zu meinen Favoriten.
Bilder: Jean-François José
Trainer, Mules mit marokkanischem Flair und Slingback-Mules begleiten die Frau bequem durch den Alltag. Der Clou der Saison, der Schmuck, der aus naturbelassenem Jasper-Scheiben aus Dalmatien oder schwarzem Agatstein besteht und in Plexiglasscheiben eingegossen Arme und Hals ziert. Wie ein natürliches Statement, das Schmuck nicht protzig sein muss, sondern eigenwillig wie ein Kunstobjekt der Natur die nachhaltige Linie unterstreicht.
Die Signaturfarbe des Hauses, Orange, darf natürlich nicht in der Sommerkollektion fehlen. Scheinbar „einfache“ Kleider zeigen ihre Raffinesse mit gestickten Falten aus marokkanischer Seide oder feinsten Leder, die von weitem wie schlichte Baumwolle wirken.
Bilder: Jean-François José
Dass Hermès keine Kollektion vorstellt, die „Bling Bling“ suggeriert oder vordergründige Effekte zeigt, liegt auf der Hand. Dass sich aber ein Haus wagt, seinen eigenen Stil zu entwickeln, der ausschließlich auf den zweiten oder dritten Blick und sich an dem Qualitätsempfinden der Trägerin orientiert, hat einen gewaltigen Anspruch, der für mich nicht nur einen eigenen Weg bedeutet, sondern auch weit ab von Fashionzirkus und Fast-Fashion liegt, dem leider auch so manches hochpreisige Designhaus verfallen ist.
Mit Outfits von Hermès kann man sicherlich nicht auf Instagram punkten, weil sich die Teile eher in der Realität als virtuell behaupten. Aber genau das ist ja der Unterschied, der Hermès immer noch weit über eine Luxusmarke stellt. Hermès ist eben kein Label, sondern das Ergebnis von mittlerweile sieben Generationen von Handwerkern und Menschen, die vernarrt und verliebt in Materialien sind. Das scheint Nadège Vanhée-Cybulski bereits in der zweiten Saison komplett verinnerlicht zu haben. Die Schlichtheit über die Sinnlichkeit der Materialien zu betonen und auf den schnellen Effekt zu verzichten – eine sehr zukünftige Sicht von Mode, die viel Souveränität ausstrahlt und einen Stil mit Potential eines Klassikers symbolisiert …
Siegmar
15. Oktober 2015 at 11:23sehr schön und auch klasse das Hermes da seinen eigenen Weg geht.