Bilder: Hermès
Am letzten Montag zeigte Nadège Vanhee-Cybulski in Paris ihre zweite Winterkollektion für das Haus Hermès. Sie kreierte eine jüngere Kundin für das Haus, das sicherlich eine Ausnahmeerscheinung bei den französischen Luxusbrands spielt. Vielleicht kann sich Hermès auch deshalb einen eigenständigen Weg leisten, zumindest was seine Prêt-à-porter-Kollektionen betrifft.
Das Unternehmen, das seit 1837 überwiegend in Familienbesitz ist, schließt sich in keinerlei Weise dem Mainstream oder den Trends an, die derzeit in der Mode vorherrschen – weder der Pop-Eleganz von Gucci, noch den experimentellen Ausflügen von Vetements. Stattdessen zeigt Hermès eine Weiblichkeit, die auf Schlichtheit, exorbitante Materialien und einen Purismus setzt, der eher an die Tradition von Helmut Lang, Jil Sander oder Martin Margiela anknüpft.
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Billige Effekte oder pressewirksame Produkte sucht man vergeblich im Portfolio des Hauses. Dem immer schneller werdenden Fashionrhythmus erliegt man im Faubourg Saint-Honoré sowieso nicht – warum sollte man also verderbliche Mode produzieren, die jede Saison den neuesten Schrei darstellt? Hermès verwendet Materialien und Handwerkstechniken – auch bei seinem Prêt-à-porter – die nicht beliebig reproduzierbar und erst recht nicht innerhalb weniger Wochen herstellbar sind. Die Zielgruppe der Frauen, die sich bei Hermès anziehen und nicht nur Taschen und Accessoires des Hauses bevorzugen, stellen an Kleidung die gleichen Ansprüche wie an die Lederaccessoires aus den Ateliers. Sie setzen darauf, Saison für Saison ihren Stil zu ergänzen und zu vervollkommnen. Dass dieses, in Zeiten von Fast Fashion und immer kleiner werdenden Zyklen, bei jüngeren Kundinnen immer mehr zum Trend wird, ist nicht verwunderlich, denn Nachhaltigkeit und Entschleunigung ist etwas, wofür Hermès wie kein anderes Haus steht.
Genau diese Zielgruppe will Nadège Vanhee-Cybulski bedienen. Sie richtet ihre Designs nicht an Frauen, die schon früher Jil Sander und Co. getragen haben. Die Zielgruppe der 37-jährigen Französin sind die Frauen, die damals zu jung waren, um Designergarderobe zu tragen; Frauen, für die Purismus kein Flashback ist, sondern die logische Folge aus Überangebot und den „Blingbling“-Look der letzten Jahre. Schlichtheit als wahre Avantgarde, die nur „ist“ und nichts vorgibt.
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Nadège Vanhee-Cybulski setzt, ähnlich wie bei „The Row“, wo sie vorher gearbeitet hat, den Kontrapunkt zu „Mix and Match“ und „Style Crossover“-Layerlooks. „Simplicity de luxe“, aber auf höchstem Niveau. Oder, um es mit der Stammmutter der Mode, Coco Chanel, zu sagen: „Die Schlichtheit bemerkbar machen“ – eine Basis, die die Ateliers von Hermès in bester Manier bieten. Die Akribie für Materialien wie Leder und Stoffe und die Zeit, die das Unternehmen seinen Designer gibt (nach wie vor gibt es nur zwei Kollektionen pro Jahr), Schnitte, Techniken und Verfahren auszuprobieren und zu entwickeln, ermöglichen Nadège Vanhee-Cybulski, ihre Sicht von neuem Purismus zu entwickeln, der im Detail protzt, statt auf den ersten Blick …
Die Mode steht im Haus Hermès nicht an vorderster Stelle, sondern gehört lediglich zu den 14 Handwerkmetiers. Sie dient niemals als Statussymbol, sondern offenbart den Luxus der Materialien oftmals nur seiner Trägerin oder dem geübten Betrachter. Sicherlich ist das für manche Märkte nicht der leichteste Weg. Gleichzeitig ist es aber eine schlaue Zukunftsperspektive für ein Unternehmen, das auf Langfristigkeit setzt und kein „Fashionlabel“ ist.
Hermès als Nischenlabel kommt manchem sicherlich merkwürdig vor. Es ist aber genau die Rolle, die im globalisierten Markt die schlaueste Position für ein familiengeführtes Unternehmen ist, deren Qualitätsanspruch ihrer Existenzsicherung dient und genau das Unterscheidungsmerkmal ist, das ihr Alleinstellungsmerkmal ausmacht. Deswegen hat auch der Designerwechsel im letzten Jahr wenig Wogen geschlagen und das Haus nicht aus der Bahn geworfen, sondern eine neue Verfestigung bewirkt.
Nadège Vanhee-Cybulskis Kollektionen verkaufen sich gut, trotz gespaltener Auffassung und Erwartungshaltung der Presse. Sicherlich war es schon immer schwierig, Presse und den Endverbraucher unter einen Hut zu bringen, was aber auch nicht der Ansatz von Hermès ist. Die „Verkaufsrenner“ des Hauses bedürfen keinerlei Pushings. Die Seide und die Ledermetiers sind fast Synonyme ihrer Art und werden, zum Zorn der Konkurrenz, auch immer unschlagbar bleiben. Klassiker mit Jahrhundertstatus – nicht durch Marketing, sondern „by the way“ durch Beständigkeit und jahrzehntelanger Etablierung entstanden.
Bilder: Hermès
Der nächste Winter setzt bei Hermès dort an, wo normalerweise die Zeitlosigkeit bei der Mode aufhört. Die Kollektion ist eine Garderobe, ein „Vestiaire“, wie der Franzose sagt, aus der wir uns täglich für verschiedene Anlässe und Situationen bedienen. Kleidungsstücke, die den herkömmlichen Begriff von „Rock“, „Hose“, „Bluse“ oder „Kleid“ aufheben und Lieblingsstücken werden.
Farblich klassisch, neutral, fragil und sich den Tempi des Tages und der Stimmungen anpassen. Die Silhouette bei Nadège Vanhee-Cybulski umspielt die Körperformen, ist weit und mit abgerundeten Schultern versehen. Fließender Jersey, Strick, butterweiches Leder, Kaschmir oder Seide weichen die grafischen Silhouetten auf. Aufwendige Steppungen, Materialeinsätze oder Teilungsnähte ergeben dekorative Elemente und benutzen die Silhouette wie eine Leinwand. Kleidungsstücke umhüllen die Frau mit überlangen Ärmeln und Krägen, die hoch abschließen, wie ein schützender Kokon. Taille und Schultern bilden den Ausgangspunkt für eine den Körper nachzeichnende Silhouette, die nach unten mit ausgestellten Formen oder Effekten spielt. Weite Kulihosen und Culottes, dazu gerade klassische Stiefel mit Keilabsätzen oder gerippte Söckchen in klassischen, halbhohen, farblich korrespondierenden Pumps.
Turtleneck, Steh- und Rollkragen bei Strick oder auch als Kragenlösung bei schräg geschnittenen Kleidern oder Chasuble-Jacken; schräg geschnittene Röcke und Kleider bekommen durch die geschickte Nahtführung und dem Spiel mit der Verarbeitung von Materialien in Positiv/negativ-Wirkung Volumen. Matte Nieten bilden Muster, die an Stoffdrucke erinnern. Farblich grafisch, flächige Intarsien in sorbetfarbenem Cashmere setzen „Art“-Assoziationen frei.
Kleine Blousons mit Carré-Einsätzen und leicht ausgestellte Cabanjacken als Reminiszenz an die Codes des Hauses und an die Klassik. Durchschlagend neu und von unglaublicher handwerklicher Detailarbeit sind die in gold-beige gehaltenen Ensembles, die das Defilee eröffneten. Mit ihren klassischen Grundschnitten und der Stepptechnik würde man sie eher in den Bereich der Haute Couture als in einer Konfektionskollektion ansiedeln. Schlichte Meisterwerke, die uns daran erinnern, dass es sich um den Anspruch eines Hauses handelt, das sich qualitativ von mehr als 99 % der Luxuskollegen unterscheidet.
Bilder: Hermès
Nadège Vanhee-Cybulski geht keinen einfachen Weg und keinen, der spektakulär sein will. Sie bietet Menschen eine stilistische Alternative, die für sich das Label Hermès entdecken. Es sind außergewöhnliche Ergänzungen für die Basics, die sie wie selbstverständlich bevorzugen. Nichts für Fashion Victims, sondern für Persönlichkeiten, die klare Linien und unkompliziertes „dress up“ leben.
Klarheit im Stil von Nadège Vanhee-Cybulski passt sehr gut zu Hermès und seiner luxuriösen unaufgeregten Schlichtheit …
Siegmar
15. März 2016 at 11:41sehr, sehr schön