Bild: (Tina Gorjanc)
Seit einigen Tagen geistern diverse Schlagzeilen rund um ein Thema durch die (Mode-)Presse: „Fashion student turning Alexander McQueen’s skin into leather“, „Fashion That Gets Under the Skin“ oder „A human skin handbag is not fashion“. Ich klicke mich durch die Artikel, sichte Sinn von Unsinn und bleibe bei dem oben genannten Statement vom Guardian hängen: Eine Handtasche aus Menschenhaut sei keine Mode. Meine anfängliche Neugierde weicht einem angewiderten Gefühl, subito schnellt die Ethikschublade in meinem Kopf auf. Worum geht’s überhaupt?
Tina Gorjanc; Bild: Vic Philips, Single Malt Teapot
Die Fakten im Überblick: Tina Gorjanc, eine Absolventin des renommierten Central St. Martins College London, möchte Menschenhaut im Labor züchten und diese anschließend zur Fertigung von Accessoires und Bekleidung nutzen – no fucking joke. Mit diesem Vorhaben polarisiert die junge Dame schon einmal stark, not kidding. Ich stelle mich beim Lesen des Artikels vor, wie die verantwortlichen Dozenten und Professorinnen zwischen flamboyant-eklektischen Abschlussentwürfen aus Wolle, Lack und Leder wohl auf die ersten Laborexperimente gestoßen sind. „Uaahh, Provokation“, als ob das nicht schon genug Aufschrei und Medienecho erzeugen würde, setzt Gorjanc noch gekonnt einen drauf.
Bild: Tina Gorjanc
Nicht irgendeine Haut soll herangezüchtet werden, Alexander McQueen’s Haut muss es sein – so, jetzt sind die Schlagzeilen vorprogrammiert! Bevor sich an dieser Stelle jedoch der potentielle Plot für einen Horrorfilm komplett verselbstständigt, kommt ein kurzer Erklärungsversuch meinerseits. Vielmehr eine Bestandsaufnahme: Gorjanc verfolgt mit ihrem Projekt „The Pure Human“ ganz bestimmte Ziele. Hierfür wird die DNA von McQueen gemopst, schließlich wimmelt es in alten, ausgestellten Entwürfen (siehe z.B. seine CSM-Abschlussarbeit „Jack the Ripper Stalks His Victims“) nur so von eigenen Haaren.
Der britische Designer beging 2010 Selbstmord und ich bin mir nicht sicher, wie er auf den Medienhype in seinem Namen reagieren würde – Hypothesen stelle ich an dieser Stelle bewusst nicht auf (jeder der sich ein wenig mit seinem Schaffenswerk auseinandergesetzt hat, weiß, wie viele seiner behandelten Themen, Experimente und Sachverhalte den Grenzbereich des herkömmlichen Geschmacks ausmachen). Zurück zu den Zielen der jungen Absolventin von 2016, mit jungen 26 Jahren möchte sie mit ihrer Kollektion der Gesellschaft den Spiegel vorhalten.
Dabei tippt sie nicht seicht mit dem Finger oder nutzt plakative Slogans auf Pulli und Hose, nein: Sie möchte mit ihrem Vorhaben – menschliche Haut für Bekleidung und Accessoires (!!!) – auf den Umgang mit genetischen Daten aufmerksam machen. Natürlich wurde sie hierfür schon mehrfach interviewt, ein Auszug aus dem britischen Telegraph verdeutlicht ihre ursprüngliche Intention:
„The project is about how our biological information isn’t protected, there are huge gaps in legislation because the technologies are evolving so quickly, […] because of those loop holes we are able to extract genetic information from a human source- and it can be someone else’s – and then produce something out of it like a product and then patent it. When you do that you patent material, that is including someone else’s genetic information, which is an interesting concept.“
Ich für meinen Teil finde diesen Weg der Argumentation gerade bei diesem heiklen Thema äußerst dünn gewählt. Rein metaphorisch stellen wir uns einfach mal einen zugefrorenen See vor, dessen Eis zu brechen droht: Würde jetzt, dank riesigen Mediengetöse und einhergehenden spotlight auf Tina Gorjanc irgendjemand ein Knacken vernehmen? Ich bezweifle es! Dennoch scheint die engagierte Dame gut vorbereitet, erste Tests mitsamt McQueen-DNA wurden absolviert.
Bilder: Tina Gorjanc
Rein chemisch gesehen bin ich eine Niete und muss passen (Dank sei hierfür an meine Lehrerin, die mir jegliches Interesse an der Materie durch stumpfes Runterbeten vom Periodensystem verwirkt hat), trotzdem ist es durch Absterben von Zellen möglich Leder herzustellen. 4- in der Abschlussprüfung, noch Fragen? Die Provokation ist also nicht nur rein verbal losgelöst worden, sondern wirklich, wirklich in der Mache. Hierfür hat Gorjanc im Frühjahr diesen Jahres ein Patent eingereicht, seriously? Ihre Dozenten und Professoren mussten jedoch (vorerst) noch mit Schweinehaut auskommen, die Abschlussarbeit stammt noch nicht aus dem Gorjanc`schen Menschenhautlabor.
Die Idee ist derweil nicht wirklich neu, eine Verbindung von Kunst und Wissenschaft hat 2014 bereits Diemut Strebe geschaffen. Die italienische Künstlern erschuf (darf man das an dieser Stelle ggf. so nennen??) mithilfe genetischen Materials von Nachfahren eine Rekonstruktion von Vincent van Goghs Ohr. Sie polarisierte schon damals mit ihrer Umsetzung, Gorjanc setzt noch einen drauf und trägt das Hauttäschchen mit sich herum. Jetzt stehe ich bzw. wir vor einem großen Fragezeichen, das in unseren Köpfen rumgeistert: Meins hopst irgendwo zwischen E-T-H-I-K und M-O-R-A-L herum, kann sich in Anbetracht der Informationen nicht wirklich beruhigen.
Es stehen Fragen aus, viele Fragen: Was hätte Alexander McQueen dazu gesagt, wäre die am wenigsten relevanteste an dieser Stelle. Was macht dieser Schritt mit der Branche, branchenübergreifend mit den Menschen? Bleibt von den Schlagzeilen etwas in unseren Gedanken bestehen, setzen wir uns mit dem Thema auseinander oder experimentiert fortan eine emsige CSM-Modedesignerin an Haut und Haaren, um sie anschließend in ihrer Boutique zu verkaufen? Überspitzt und an dieser Stelle unwahrscheinlich, dennoch: Was machen wir denn, wenn die Nachfrage da ist und das Produkt Menschenleder rasanten Absatz erfährt?
Gibt’s dann bald Massenabfertigung aus Fernost und ähnlich wie bei Gunther von Hagens Leichen weiß nachher niemand mehr, ob es sich um „Freiwillige“ oder doch vielleicht exekutierte Verurteilte handelt? Beim Schreiben klingt ein sarkastischer Unterton mit, ich persönlich bin absolut nicht d’accord mit ihrem Vorhaben. Eine Auseinandersetzung mit diesem Thema kommt nicht aus heiterem Himmel, denn spätestens seitdem ich 2011 Almódovars Meisterstück „Die Haut in der ich wohne“ gesehen hatte, gab es immer wieder Momente meinerseits à la „Was machen wir bloß, wenn die Menschheit auch noch auf die Umsetzung solcher und ähnlicher Ideen kommt?“.
Bild: Tina Gorjanc
Pedro Almódovar bezieht sich in seinem Drehbuch auf den Roman Mygale von Thierry Jonquet, den ich, neben dem Film, ebenfalls empfehlen kann. Er spricht zwar in dem Film „nur“ das Thema Geschlechtsumwandlung an, aber es gibt genau eine Frage des Protagonisten, der wunderbar als ausschlaggebender Impuls für Tina Gorjanc’s Vorhaben gelten könnte: „We intervene in anything. Why not humanity?“ Diese Frage muss jeder für sich selber beantworten, ich für meine Teil sehe im Fall Abschlussarbeit (!!!) Tina Gorjanc rot und berufe mich abschließend noch einmal auf den Artikel aus dem Guardian.
Der Autor Jonathan Jones lässt dabei auch fragwürdige Arbeiten von Damien Hirst unerwähnt und bringt es gezielt auf den Punkt: „Her proposal to grow McQueen’s skin and make it into leather sounds like, you know, a joke. A joke about fashion and the macabre.“ Das vorläufige Schlusswort zu diesem Thema lieferte im übrigen mein beruflich modeferner Freund: „Wer um Himmels Willen will sich eine Handtasche aus Menschenleder umhängen und was will diejenige Person damit vermitteln?“ Gute, sehr gute Frage…
René
21. Juli 2016 at 15:23Gruselig!
Monsieur Didier
21. Juli 2016 at 22:06…gruselig und Geschmacklos…!!!
Die Woche auf Horstson – KW 29/2016 | Horstson
24. Juli 2016 at 12:51[…] Labor züchten und diese anschließend zur Fertigung von Accessoires und Bekleidung nutzen und bedient sich dafür auch der DNA von Alexander McQueen. 3) Wir haben sie gefunden und sie haben sogar ein neues Design: die billigsten Taschen von Louis […]
Siegmar
25. Juli 2016 at 09:08extrem gruselig, ich wolle nichts aus Menschenhaut auch nicht aus gezüchteter Haut.
andi
25. Juli 2016 at 23:44Im Ledermuseum in Offenbach gibt es Taschen, Geldbeutel, Lampenschirme usw.,
die einst aus Menschenhaut gefertigt wurden. Eine schreckliche Geschichte ist
das alles. Die Dame sollte sich in Offenbach diese grausamen „Dinge“, die man aus
Haut gemacht hat einmal zeigen lassen und dann ihren wirklich mehr als naiven
Plan noch einmal gründlich überdenken.
andi
25. Juli 2016 at 23:50Ps. Diemut Strebe wird in einem seriösen, professionellen Kunstumfeld nicht diskutiert,
ist also irrelevant. Der Begriff „Kunst“ ist daher nicht angebracht. Es ist eher im Feld der
„Gaukeleien“ anzusiedeln.
Von wegen Fetisch: Verpackt im Ganzkörperkondom | Horstson
29. Juli 2016 at 14:13[…] Kuriositäten für Aufmerksamkeit gesorgt (den Artikel zum Menschenleder gibt’s hier zum Nachlesen), diese Woche geht es wesentlich gesitteter zu. Wobei? Anlass zur Berichterstattung […]
Kunst, Kultur und Herzensangelegenheiten | Horstson
18. August 2016 at 15:49[…] denke: „Warum hast du solchen Projekten eine Plattform geboten?“. So geschehen bei dem Beitrag über eine Absolventin des renommierten Central St. Martins College London, welche […]