Bild: Courtesy of Gucci
Bei der etwas ausgedünnten Mailänder Fashion Week, die aufgrund der Entscheidung einiger Labels, ihre Herrenkollektionen im September gemeinsam mit den Damen vorzustellen, Lücken aufwies, wurde eine Schau heiß erwartet: Gucci. Nachdem Alessandro Michele erst Anfang Juni in der Londoner Westminster Abbey seinen Mix aus englischer Jugendkultur und des goldenen Zeitalters von Elisabeth I. und einer Prise edwardianischem Dandytums gezeigt hatte, ging es nun im Gucci Hauptquartier in einem neongrünen, fast futuristisch anmutenden Dekor auf eine ganz andere Entdeckungsreise.
Bilder: Courtesy of Gucci
Keiner schafft es so wie Michele, ein völlig neues Kapitel aufzuschlagen und gleichzeitig den Bogen zu den vorhergehenden Kollektionen zu schlagen. Er erzählt Gucci wie einen Fortsetzungsroman, in dessen Kapitel immer wieder die Protagonisten der vorangegangenen Episoden aufblitzen. Gleichzeitig taucht aber immer Neues und Überraschendes im nächsten Abschnitt auf. Michele verbindet scheinbar in Highspeed Geschichte, Kultur und Literatur. Dabei ist er von tiefer Bildung geprägt, die er in Stoffe und Materialien umsetzt. Stimmen werden laut, dass er nicht nur von seinem äußerem Erscheinungsbild wie ein Philosoph aussieht, sondern in seinem tiefen Inneren einer ist.
Die Akzente, die Michele damit setzt und die natürlich einige Kritiker auf den Plan rufen, setzen in wirtschaftlich turbulenten Zeiten Meilensteine des Umdenkens – nicht nur für Gucci, sondern auch dafür, dass Mode wieder amüsieren und Spaß machen kann. Nicht nur die Grenzen zwischen den Geschlechtern werden von ihm verwischt; Männer dürfen sich Dank des Italieners wieder Opulenz und Kreativität leisten.
Dabei legt Alessandro sehr großen Wert darauf, dass sich sein Kunde bei den Basics seine eigene Scheibe des Looks abschneidet und die eigene Persönlichkeit definiert. Gesamtlooks gehören in die Schau oder in den Store. Sie sind keinesfalls, wie von vielen Asiaten missverstanden, als Komplettlooks gedacht …
Bilder: Courtesy of Gucci
Die Frühjahr/Sommer-Kollektion 2017 steht für Reisen und Entdeckungen. Aber Michele wäre nicht er selbst, wenn es eine Reise über Kontinente wäre. Es geht natürlich um eine Reise im Kopf und durch die Erfahrungen des Lebens: „Gucci ist tief in der europäischen Kultur verwurzelt. Wie in einer Zeitmaschine begeben wir uns auf die Entdeckung vom Ursprung hinaus in die Ferne und kehren an den Ort zurück, von dem wir aufgebrochen sind, um dort wieder zu uns zu finden“, so die Kurzform Micheles.
Das mag kompliziert klingen, ist es aber gar nicht: Mode ist eine Vision von Fantasie, die sich die meisten Firmen nicht mehr zugestehen. Dabei ist es genau das, was Luxusmode von Massenkleidung und Uniformen unterscheidet.
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Die Inspiration drückt der britische Schriftsteller T.S. Eliott wunderbar aus: „Wir werden nie vom Erforschen ablassen. Am Ende werden wir zum Ursprung zurückkehren und ihn zum ersten Mal richtig verstehen!“ Eine Reise ist wie eine Kollektion – sie beginnt immer Zuhause, führt durch die Welt und endet mit dem Wohlgefühl von Heimat. So ist auch das Leben – vielschichtig. Eine Reise ist voller Überraschungen und fester Elemente, wie Trennung, Abschied, Begrüßung, Bewegung. All das kann auch Kleidung und unsere Garderobe in den verschiedenen Materialien und Funktionen ausdrücken.
Bilder: Courtesy of Gucci
Schon der Auftaktlook entführt uns mit einem grünen, zweireihigem Mantel zu dem Dichter, der Michele als Ausgangspunkt dient. Novalis, eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, war ein deutscher Schriftsteller der Frühromantik und Philosoph (zufällig auch mein Lieblingsdichter). Der Mantel erinnert an die Zeit, als um 1800 junge Maler und Dichter nach Italien aufbrachen, um das Land zu entdecken, in dem die Sehnsucht und die Kultur zu Hause zu sein scheint. Darunter eine altrosa Shorts mit langen schwarzen Socken und modifizierte Doc Martens-Stiefel. Verletzbarkeit und Härte – ein Bogen, den Michele immer spannt.
Was dann folgt, ist ein Feuerwerk an Ideen und Metamorphosen. Materialien und Kleidungsstücke werden gegeneinander gesetzt. So gibt es Regenmäntel zu fließenden Seiden und Brokaten und Jersey Hoodies. Domestos Jeans (die ein wenig an Trainspotting erinnern) in Kombination mit weißen Socken. Kiltschuhe blitzen aus der Cruise Collection herüber und werden mit Basketballshorts und Pullundern gemixt. Regenhüte verwandeln sich in schlierender Seide und Bloomer-Shorts-Pyjamas wirken wie Reminiszenzen an Oscar Wilde aus der Kindertagesstätte.
Bilder: Courtesy of Gucci
Kimonos, Fräcke mit blumigen Stickereien und Donald-Duck-Applikationen spiegeln die Philosophie von Michele perfekt wider: es sind Schichten, die wie von einem Archäologen ausgegraben werden und Formalismus und Kindheitserinnerungen zusammenbringen. Auffallend ist, das der Designer die Fashiongeschichte zitiert, wie der Streifenpulli mit eingestricktem, übergelegten Tuch: Schiaparelli lässt grüßen! Oder auch die Kimonos, die Guccis grandiosen ehemaligen Designer Tom Ford zitieren.
Die Farbpalette „Sorbet“ und pudrige Töne werden von Michele gegen starke Farben der Siebziger Jahre gesetzt. Sein Designlexikon ist prall mit Fabeltieren, Tigern, Schlangen, Oblaten Motiven, Koi Karpfen und mythischen Motiven gefüllt. Die Königskobra, die er so liebt, ziert diesmal Samt Escarpins und taucht auf Denimjacken und dem Gucci-Klassiker schlechthin, dem Seidenblouson, auf. Auch ein Teil aus der Collegekultur, die einst der Texaner Tom Ford mit in die Gucci Historie brachte.
Viele Souvenirs bringt Michele mit von den Reisen – vom übergroßen Sherlock Holmes Mantel aus London über den Trench mit Motiven aus dem Sommerpalast in Peking bis zum Überwurf von orthodoxen Juden in Israel. Jedes Teil findet sein Echo und Gegensatz aus einer anderen Kultur. Augenfällig: etwas mehr Ruhe bei den Stoffen und Schlichtheit zu Opulenz gesetzt.
Bilder: Courtesy of Gucci
Man sollte auf jeden Fall – wie immer – die Schau und die Looks öfters betrachten und genau hinschauen. Es gibt wahnsinnig viele Details zu entdecken. Slipper mit Koi Karpfen, Hunderte kleine Motive in Intarsien und versteckte Überraschungen, die erst auf den dritten Blick auffallen.
Inspiration ist überall – das lernen wir von Alessandro Michele in jeder Kollektion, auch wenn es manchmal in der Hektik des Alltags vergessen wird. Hinzu kommt eine gehörige Portion an Humor und dem Sinn für Perfektion.
In Nolvalis‘ unvollendeten Roman „Heinrich von Ofterdingen“ werden die Wanderer gefragt, wo ihre Reise hingeht – „Immer nach Hause“, lautet ihre Antwort. Genau dort ist Alessandro Michele endgültig angekommen, um Gucci mit den Eindrücken aus der ganzen Welt und der scheinbar unendlichen Tiefe seines Herzens zu verzaubern. Fashion as it’s best als Spielplatz der Fantasie …
Siegmar
24. Juni 2016 at 10:12so ist Peter, Fashion as it’s best . Den Gesamtlook würde ich wahrscheinlich nicht tragen, mit Sicherheit aber ganz viele Teile davon.
Stephanberlin
24. Juni 2016 at 11:55Ja, irgendwie ist alles etwas too much but at least it is something to write home about…so daß mir das Impulse
für meinen eigenen Look gibt. Den Einfluss wird man spüren!
René
25. Juni 2016 at 12:23Schön und gut, aber es sieht dann doch aus wie ein Sammelsurium an Trends die wahllos zusammengewürfelt wurden.
Monsieur_Didier
25. Juni 2016 at 19:06…vereinzelt gefallen mir ein paar Teile, ansonsten denke ich einfach:
„…der Zirkus ist in der Stadt…“
Die Woche auf Horstson – KW 25/2016 | Horstson
26. Juni 2016 at 19:02[…] Gucci präsentierte ein Wimmelbild der Mode. Die Gesamtlooks gehören natürlich in die Schau oder in den Store. Sie sind keinesfalls, […]
Horst
27. Juni 2016 at 09:44Genau so sehe ich das auch!