Milan Fashion Week

Gucci Spring-Summer 2016 – Alessandros „Carte de Tendre“

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Gucci Spring-Summer 2016; Milan Fashion Week; Bild: Courtesy of Gucci (PR)

Die Gucci-Kollektion für das nächste Frühjahr kann man jetzt schon als ein Highlight der Saison verbuchen. Alessandro Michele setzt kontinuierlich das um, was man als dauerhafte und intelligente Veränderung bei dem italienischen Traditionslabel ansehen kann.
Er macht nicht den Fehler, nach zwei Saisons krampfhaft Neues zu bringen. Oberflächliche Betrachter haben ihn vorschnell in die Schubladen ‚Eklektizismus‘ und ‚Vintage Mix‘ gesteckt. Doch was er bietet, ist so viel mehr, mit so einem Tiefgang und einer kulturellen Intelligenz, dass er wirklich eine positive Ausnahme in der sich immer mehr überschlagenden Modewelt ist.
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Gucci Spring-Summer 2016; Milan Fashion Week; Bild: Courtesy of Gucci (PR)

Alessandro setzt nicht nur konsequent auf die Codes des Hauses Gucci, sondern erschafft auch schon in so kurzer Zeit seine eigene DNA: Die Stoffblüten, die Schleifen, der Vintage Renaissance-Schmuck und die Drucke, die an Toile-de-Jouys angelehnt sind oder Kupferstichen der Renaissance entliehen wurden … Dass ein Mann von der Hochkultur erfüllt ist, sieht man schon, wenn seine Inspiration zu dieser Kollektion von einer Landkarte des 17. Jahrhunderts ausgeht.
Im November 1653 beschrieb Madeleine de Scudéry die Karte eines Landes, das voller Gefühle und Erinnerungen ist. Alessandro sieht die Beziehung, die man zu jedem seiner aufwendig und kostbar gemachten Kleidungsstücke haben soll, wie Lieblingsstücke, die einen begleiten sollen und die man Saison für Saison ergänzt. Seine Muster- und Materialmixe spielen mit Drucken, die vom Repertoire der 60er-Jahre Designerin Roberta de Camerino und von den Society-Mustern des Interieurarchitekten David Hicks inspiriert wurden. Gern überstickt Alessandro Stoffe mit Bienen oder Insekten und asiatischen Motiven.
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Gucci Spring-Summer 2016; Milan Fashion Week; Bilder: Courtesy of Gucci (PR)

Die Epochen und der Gegensatz von Transparenz und glänzenden Stoffen gefallen dem Designer. Alessandros Farbwelt ist eine völlig eigene, die mit den ikonografischen Gucci-Farbcodes, aber auch mit Edelsteinfarben spielt. Nicht umsonst ist der Italiener auch Kreativdirektor der traditionellen Porzellanmanufaktur Ginori und klassizistische Motive, wie auf Vasen, werden bei ihm kurzerhand auf Kleider umgesetzt. Überhaupt ist alles tief von europäischer und italienischer Kultur geprägt. So werden Röcke mit etruskischen Panneaux-Motiven bedruckt und dazu zarte Chiffon-Blusen mit Blümchen-Bouquets im Stil von Liberty of London kombiniert. Alessandro liebt Plisseeröcke und damenhafte Kleidungsstücke, die er durch seine Kombinationen neu in Szene setzt. Die Gesichter und Köpfe der Models wirken dazu wie ein Gegensatz – genau hierdurch werden die Looks so andersartig gemacht.
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Gucci Spring-Summer 2016; Milan Fashion Week; Bilder: Courtesy of Gucci (PR)

Die Gucci-Codes, wie der breite Gürtel oder das klassische GG-Toile, blinken überall durch, werden aber wie von einer Hecke mit Blumen überwachsen. Schlangen schlängeln über den Toile de Jouy – alles hat zwei Dimensionen. Das klassische Kofferband von Gucci wird als Farbcode bei Spitzenkleidern eingesetzt oder als Paspel und Borte auf Kostüme im Stil der Sixties gesetzt. Akzentuiert wurde die Kollektion zum Beispiel durch Löwenkopf-Gürtel mit Nieten, Kussmund- und Augenstrass-Applikationen oder Ameisen, die über einen Herrenanzug kriechen. Immer ein bisschen Traumsequenzen, die die Realität durchkreuzen …
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Gucci Spring-Summer 2016; Milan Fashion Week; Bilder: Courtesy of Gucci (PR)

Alessandro Michele scheint voller Fantasie, Sehnsüchte und Träumen zu sein und die Mode wahrhaft zu lieben. Und er scheint Yves Saint Laurents Philosophie zu verehren und gut studiert zu haben: Immer wieder zu überraschen, wie mit Goldhandschuhen zum dunkelblauen, mit Scheiben besticktem Kostüm, dazu puderfarbene Crêpe-Schleife und bordeauxfarbene Schuhe, war einer der Grundpfeiler, mit denen Saint Laurent gearbeitet hat. Auch Alessandros transparenten Abendkleider mit tiefer Taille sind Reminiszenzen an das Jahrhundertgenie.
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Gucci Spring-Summer 2016; Milan Fashion Week; Bilder: Courtesy of Gucci (PR)

Das Kleid nimmt eine zentrale Rolle in der Kollektion ein und so wird die Weltkarte zum kompletten Kleid oder sorbetfarbene Chiffonkleider mit Jugendstilmotiven und Papageien bestickt. Möbelstoffe werden zu Hosenanzügen und Tapeten und Wandbespannungen scheinen sich zu Kleidern zu verwandeln. Das Dekor der Show spielt schon im Teppich des Runways, den Polstern der Couture Stühle und den Paravents mit den Stoffen der Kollektion. Perserteppiche, die auch die Ornamentik für Taschendetails liefern, kommen auch bei Alessandro Michele immer wieder vor.
Es geht ihm immer wieder darum, den Betrachter dazu zu bringen, mehrmals hinschauen zu müssen. Und es geht Alessandro darum, dass man immer wieder etwas entdeckt und überrascht wird. Er nennt sein Konzept „Derive“ – das Verspielte entdecken und durchqueren urbaner Welten. Tatsächlich wird jedes Teil der Kollektion als kleiner Atlas der Emotionen angeboten – eine Schatzkiste ästhetischer Referenzen, eine sentimentale Kartografie, in der Muster, kostbare Materialien und außergewöhnliche Handwerkskunst verwoben sind.
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Gucci Spring-Summer 2016; Milan Fashion Week; Bilder: Courtesy of Gucci (PR)

Nicht nur, dass sich mit dieser Kollektion der Weg von Gucci weiter in eine völlig eigenständige Richtung fortsetzt; sie begeistert auch durch ihre Brillanz der Farben. Bei den Accessoires ist jedes Teil opulent verspielt und wirkt wie ein kleiner Schatz, den es begehrlich zu hüten gilt. Alessandro Michele ist wie ein Zauberer, der nicht nur Gucci, sondern dem Metier der Mode genau das wiedergibt, was es sein soll: Das Mittel, um mit offenen Augen zu träumen und sich das anzuziehen, was einem die Inspiration verleiht, um in die Rolle zu schlüpfen, die einen wie von Zauberhand durch den Alltag trägt.
Dass nicht nur die Firma Gucci hinter Alessandro steht, sondern auch Kerings CEO, François-Henri Pinault, wurde in Mailand mit einem großen Dinner zu Alessandros Ehren gezeigt. Ein weiterer Beweis, dass der Konzern mit der Totalrevolution konform geht und ihm vertraut.
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Bild: Courtesy of Gucci (PR)

Es sei mir noch ein persönliches Wort zu diesem Schritt und der Kollektion gestattet: Alessandro Micheles Schnitt und jedes einzelne Modell ist nicht nur von der Liebe zum Handwerk und seinem Metier geprägt. Jedes Detail wird von einer Tiefe und einem kulturellen Hintergrund beeinflusst, der gebildet und nachvollziehbar nicht nur kunsthistorisches und kostümgeschichtliches Wissen beinhaltet, sondern auch eine sichere Hand beweist, genau dieses in unsere Zeit zu transkribieren. Ohne die Originale zu verletzten und mit bewundernswertem Geschmack schafft es Alessandro, Neues zu schaffen, das einem gewohnt erscheint. Er verpackt es neu, ohne futuristischen Visionen oder verkrampftem Erneuerungsdrang zu verfallen. Er ist nicht Stylist, wie die meisten seiner Kollegen, sondern erschafft eine Welt, die nicht nur sehr er ist, sondern genau widerspiegelt, was Gucci ausmacht.

Alessandros persönlicher Auftritt ist unprätentiös. Meist sieht man ihn in T-Shirt und Jeans, die er mit Accessoires und Tüchern kombiniert. Genau hierdurch wirkt er so sympathisch und überzeugend wie seine Kollektionen. Alessandros Mut, Statements mit Individualität zu setzen, ist vielem weit voraus, was in New York, Mailand oder Paris gezeigt wird. Ich hoffe inständig, auch im Interesse der Mode, dass Alessandro genau den Weg weitergeht und wir noch viel bei ihm entdecken dürfen und überrascht werden. Denn er sieht die Welt mit Augen, die die Schönheit und Fantasie sehen …

  • Siegmar
    7. Oktober 2015 at 12:55

    wie immer sehr schöner Artikel und mittlerweile finde ich die Kollektion sehr gelungen. 🙂

  • blomquist
    7. Oktober 2015 at 16:59

    absolut großartig!

  • Jeroen
    7. Oktober 2015 at 17:21

    Also wenn Peter das so umfassend, kenntnisreich und kompetent erklärt, bin ich gewillt, der Sache Kredit zu geben und genauer hinzuschauen. Es sieht auf den Fotos einfach alles sehr kostümig aus, und da frage ich mich: Ist das die Mode zu unserer Zeit, oder einfach nur ein eklektischer Traum eines Phantasten?

  • Markus
    7. Oktober 2015 at 19:21

    wunderbar geschrieben, wunderbare kollektion, 100te wunderbare zitate – eine kollektion zum träumen –

  • Die Woche auf Horstson – KW 41/2015 | Horstson
    11. Oktober 2015 at 12:00

    […] uns sein Objekt der Begierde. 3) Gucci hat die wohl beste Kollektion für Spring-Summer 2016 abgeliefert. Trotzdem werfen wir einen lohnenden Blick auf Fendi. 4) Für Horstson hat unser Gastautor […]