(Alessandro Michele; Courtesy of Gucci – Foto von Dan Lecca)
Dank der Präsentationen der Cruise-Kollektionen gehört der Juni für die Modejournalisten zu den Monaten mit den meisten Terminen … Fast jedes Modehaus führt diese Kollektionen in den Geschäften, die im Dezember die Sommersaison einleiten. Ursprünglich als kleine, „frische“ Zwischenkollektionen für Leute, die im Winter verreisen und luftigere Garderobe brauchten, konzipiert, sind dir Cruise-Kollektionen inzwischen zu einer der wichtigsten Saisons geworden.
Courtesy of Gucci – Foto von Ronan Gallagher
Die Cruise-Kollektionen setzen im ursprünglichen Sinne die Basics und Bestseller des Labels fort und geben Ausblick auf die Hauptkollektionen. Bei den großen Häusern, wie Prada, Gucci, Chanel, Dior oder Louis Vuitton, mag man nicht mehr auf sie verzichten. Karl Lagerfeld war 2001 der Erste, der eine solche „Croisière“, wie die Cruise-Kollektion auf Französisch genannt wird, zeigte, die sich von dem Ausdruck für „Kreuzfahrt“ ableitet.
Es hat sich bei den Labels im Laufe der Zeit zum regelrechten Trend entwickelt, die Cruise-Kollektionen an möglichst fernen oder exotischen Orten zu zeigen. Der Grund hierfür ist simpel: Es soll möglichst viel Aufmerksamkeit außerhalb des normalen Schauenkalenders generiert werden. So zeigte Chanel in den vergangenen Jahren zum Beispiel in Korea oder auf Kuba, Louis Vuitton in Los Angeles oder Rio de Janeiro, Dior in Kalifornien und Dolce & Gabbana in Kyoto.
Courtesy of Gucci – Foto von Ronan Gallagher
Was für alle Beteiligten nicht nur enorme logistische Herausforderungen bedeutet, sondern auch für Journalisten lange Flüge mit kurzen Verweildauern vor Ort beinhaltet, wissen die Modehäuser mit Luxus- und Verwöhnprogramm zu kompensieren. Liest man danach die Reviews der Cruise-Kollektionen, hat man z.T. das Gefühl, dass die gezeigten Outfits zu kurz kommen und man eher Reiseberichte oder Artikel im National Geographic zu lesen bekommt. Manchmal berechtigt, weil das Gezeigte kaum erwähnenswert ist; in einigen Fällen aber bedauerlich, weil doch die Mode im Vordergrund stehen sollte. Netter Nebeneffekt ist, dass einige Redakteure die Location für Shoppings nutzen – so sieht man dann einige Monate später das ein oder andere Teil oder komplette Looks in den Modestrecken von Vogue oder Harper’s Bazaar. In diesem Jahr war es allerdings etwas anders – Chanel zeigte in Paris und Gucci in Florenz.
Courtesy of Gucci – Foto von Ronan Gallagher
Dass Gucci 1921 in Florenz gegründet wurde, war nicht der alleinige Grund für Alessandro Michele in die Stadt zu kommen. Gucci sponsert die Restaurierung des legendären Boboli-Gartens, der an den Palazzo Pitti angrenzt. Heute weltberühmte Gemäldegalerie und Museum, residierten hier einst das Geschlecht der Medici. Das Adelsgeschlecht regierten nicht nur Florenz, sondern stellten auch Päpste und Kardinäle und beherrschten so einen Großteil der mittelalterlichen Welt. Die italienische Renaissance, Malerei, Skulpturen und Architektur wurden unter den Medicis geboren und gehören zu den Haupteinflüssen und Inspirationen für Alessandro Micheles eklektischer Zukunftsvisionen von Gucci.
Der Palazzo Pitti, normalerweise am Montag für Besucher geschlossen, bildete die Location für die Cruise Collection 2018, die, wie mittlerweile bei Gucci üblich, als Männer- und Frauenschau konzipiert war. Flamboyant, als Kontrast zu den opulenten Fresken, üppigen Vertäfelungen, Supraporten und Schnitzereien der Galerien hatte Alessandro Michele alles mit gelbem Teppichboden auslegen lassen und mit gestreiften Falthockern bestuhlt.
In diesem Beitrag gehe ich zunächst auf Männerlooks ein. Für die Frauenkollektion gibt es dann eine eigene Betrachtung.
Gucci Cruise 2018; Courtesy of Gucci – Fotos von Dan Lecca
Die Cruise-Kollektion knüpft nahtlos an Alessandro Micheles stringent eingehaltenes Konzept der gnadenlosen Opulenz und des Crossovers sämtlicher Kostümgeschichte. Sie verfügt über Hunderte Zitate und Referenzen an den Schöpfungen von Yves Saint Laurent, Ossie Clarke und Roberta di Camerino. Michele mischt diese Einflüsse mit englischer Jugendkultur der Sechziger bis Achtziger Jahre, Theaterkostümen und Anspielungen an Visconti. Alessandro Michele schafft es, die Gucci-Codes in seinen, wie er selbst es immer nennt, „Überblendungen“ von Momenten und Fantasien in den Vordergrund zu stellen und sie immer wieder mit völlig andersartigen Stilistiken zu verbinden. Alessandro Michele ist sogar so humorvoll, frei und verspielt, dass er es sich erlaubt, Kopie und Original mit „Guccy“-Aufschriften auf Pullis, wie von den Kopien auf asiatischen Nachtmärkten oder den Fälschungen in türkischen Badeorten, zu persiflieren.
Das beweist die wahre Größe von ihm und natürlich auch seiner Konzernchefs, die immer noch die Carte blanche für ihn gezückt halten.
Alessandro Micheles Männermodels defilieren durch die Palatina des Palazzo Pitti mit goldenen römischen Siegerkränzen aus der Antike wie junge schräge Helden, mahnend an das, was die Medicis mit der Renaissance wiederbeleben wollten.
Michele kombiniert amerikanische Rugbyshirts zu Satinshorts wie im Studio 54 und wirft darüber noch eine gemusterte Dressing Gown mit besticktem Kragen. Das kann nur Alessandro Michele. Und das darf auch nur er, sei allen Kopisten und Trittbrettfahrern gesagt. Was bei Gucci gekonnt und voller intelligenter Hintergrundsphilosophie funktioniert, wirkt bei allen anderen lächerlich, sieht nach Karneval aus und ist halt nur eine Kopie.
Gucci Cruise 2018; Courtesy of Gucci – Fotos von Dan Lecca
Wer aktuell eine Veränderung oder Kehrtwende von Gucci erwartet und auf das „Neue“ hofft, der schaut nicht nuanciert hin. Alessandro Michele dreht ganz langsam und nur in Details das Rad weiter, ohne seiner Linie untreu zu werden. Vieles wird variiert, aber die Kollektion entwickelt sich in ihrer Gesamtheit weiter.
Viel American Sportswear der Sechziger und Siebziger und Hip-Hop-Items „guccisiert“ Alessandro Michele perfekt. Rugbyshirts, kanadische Holzfällerjacken oder karierte Daunenparka; Tanktops, Basketballkleidung und Tracksuits; römische Bronzemasken als Broschen und Pins. In den Details wird Michele etwas schlichter und sparsamer. Nicht jeder Schuh ist mit Nieten, Perlen, Bienen und Stickern übersät; das Einzelteil wird ruhiger und er gönnt dem Auge hier und da ein Verweilen.
Gucci Cruise 2018; Courtesy of Gucci – Fotos von Dan Lecca
Großartig seine „Vintage 90th“-Sneaker, die aussehen, als hätten sie schon ein gutes Eigenleben hinter sich. Bemerkenswert ist Alessandro Micheles Spiel mit den Proportionen. „Zu groß, zu klein“ spielt bei manchen Looks keine Rolle: Oversized wird gegen eng gesetzt. Denim wird von Alessandro Michele in der Cruise-Kollektion eher weit und hoch geschnitten; Passformen scheinen aufgehoben zu sein.
Geschlechter übergreifende Kollektionen sind bei Gucci – seit Alessandro Micheles erster Show 2015 – vom Thema zur Normalität geworden. Schleifen, Spitze, störrische Brokate wie in den Fünfziger und Sechziger Jahren sind fester Bestandteil, wie auch seine morbiden und leuchtenden Colourblockings und schrägen Farbkombinationen in Art-déco-Manier.
Gucci Cruise 2018; Courtesy of Gucci – Fotos von Dan Lecca
Alessandro Micheles Gucci ist ein Stil geworden, der immer wieder variiert, sich erweitert oder andere zitiert. Gucci will wie eine Wunderkammer sein; voll und üppig gespickt mit asiatischer Exotika, den Herbarien der Gelehrten und Schmetterlings- und Reptiliensammlungen von Universitäten des Barock. Die Kollektionen spielen im 21. Jahrhundert, in einer Zeit, in der man die freie Wahl seiner Garderobe und seines Stils hat und in der Alessandro Michele eine Richtung vorgibt, die weltweit fasziniert.
Alessandro Michele denkt nicht in Saisons. Wer seinen Stil nicht mag, kann auf puristische Labels, wie Raf Simons oder Calvin Klein, zurückgreifen. Aber eines sei gesagt – Gucci funktioniert, geschickt und gekonnt kombiniert, auch für Nicht-Anhänger des Labels. Nimmt man die Einzelteile und bringt Basics oder eigene Lieblingsstücke dazu, ist man genau dort, wo Alessandro Michele das Modevolk hinhaben möchte. Ein T-Shirt, Jeans und eine bestickte Cap sind genauso Gucci, wie ein opulentes, mit Volants und Mustermix übersätes Kleid, das auf dem Red Carpet getragen wird.
Gucci Cruise 2018; Courtesy of Gucci – Fotos von Dan Lecca
Mode ist ein Vorschlag – was man daraus macht, ist dem eigenen Stil überlassen. Mal ist man glücklich, mal zurückhaltend und mal ist das Leben ein einziges Fest. Genau so funktioniert die Philosophie von Alessandro Michele – man muss nur seine Codes lesen können. Michele macht Mode, keine Kleidung: die brauchen die Menschen, die Luxusbrands konsumieren, schon lange nicht mehr. Alessandro Michele gibt seinen Anhängern die Bühne, jeden Tag ihre Grenzen neu auszuloten.
Gucci Cruise 2018; Courtesy of Gucci – Fotos von Dan Lecca
Wir leben in ähnlichen Zeitströmungen wie vor sechshundert Jahren, als die Medicis im Palazzo Pitti residierten. Damals stand die Welt vor dem Aufbruch in die Neuzeit. Heute verändert sich und verunsichert sich die Welt in rasender Schnelle. Die Werte der Vergangenheit erscheinen uns sichererer und bekommen neue Wichtigkeit – auch das spiegeln Alessandro Micheles eklektische Überblendungen wider. Garderobe ist immer ein Spiegelbild seiner Entstehung und der Zeit, in der wir mit ihr unser Sein ausdrücken …
Gucci Cruise 2018
Siegmar
6. Juni 2017 at 11:11Ein ganz toller Artikel lieber Peter, über einen Modeschöpfer (hier passt das Wort wieder) und eine faszinierende „Location“ Florenz der Inbegriff für Erneuerung auch in der Mode, sehr gelungen!
PeterKempe
6. Juni 2017 at 11:14Danke lieber Siegmar ! Und das vergessen wir im Zeitalter des nur Abbildens immer sehr, solche Kollektionen muss man einordnen und erklären. Das vergessen heute viele und war eigentlich mal die Aufgabe des Mode Journalismus !
vk
6. Juni 2017 at 17:59ja. der gucci-man legt sich schwer in die kurve.
alleine 100+ dieser wirren collagen auf den laufsteg zu schicken, die dann, mit ganz wenigen ausnahmen, alle noch im selben atem stehen, das ist schon richtig schwer und hohe kunst.
alles andere ist kinderkram dagegen; laesst sich leicht in ein postkartenbuechlein packen. vormalige helden wie dries, hedi oder margeila wirken doch arg eingeschlossen, beengt und irgendwie gestrig.
beim verrueckten guccimichel ist jedes bild eine explosion und trozdem fuegt sich alles in einen artenkosmos, der von saison zu saison variiert.
gleichzeitig beschleicht einen auch fast ein didaktisches moment. nicht nur, dass dinge, ich will es peter glauben auch dort wo ich nicht jeden bezug erkennen kann, knietief in gelehrtem spiel und kukturverweisen waten. auf eine total absurde art is gucci auch fast so etwas wie ein moderner knigge, der dir genau sagt, was du von staatsempfang bis streetparty heute anzuziehen hast. naemlich immer nur wilden gucciquatsch. das zeug, so sehen wir es mit blinzelnden augen, funktioniert ueberall und jederzeit, wenn du nur die richtige energie aufbringst. und mit der richtigen energie muss es auch nicht gucci sein.
hier passiert was, hier explodiert was, das uns fundamental beruehrt.
die welt ist zur star wars cantina geworden und wir sind alle emigranten, exilanten, kings and queens was weis ich. zwischen den zeiten, zwischen allen grenzen, was weiss ich…
besonders uebrigens liebe ich die leicht labbrigen kniestruempfe dieser saison. das ist sex. das ist human touch.