(© Adrien Dirand)
Die Dior-Haute-Couture-Show am 3. Juli 2017 fand an einem Ort mitten in Paris statt, der eng mit der Geschichte Frankreichs verbunden ist: Vor dem Invalidendom, in dem sich das monumentale Grab von Napoleon I. befindet. Ein Platz, den jeder Franzose kennt, den täglich viele Touristen aus aller Welt besuchen und der eines der Wahrzeichen der französischen Hauptstadt ist. Christian Dior besuchte den Dom häufig als Kind, wenn er mit seinem Vater aus Granville kam und dieser geschäftlich in Paris war und sonntags mit den Kindern lange Spaziergänge und Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten machte.
Das Haus Dior feiert nicht nur siebzigsten Geburtstag; Maria Grazia Chiuri liebt die Geschichte des Hauses und vor allem das Stilempfinden und die Geschichten um Christian Dior selbst. Augenscheinlich ist in ihren bisher vorgestellten Kollektionen – besonders in der Haute Couture – dass sie sich an den heutigen Bedürfnissen der emanzipierten und im Leben stehenden Frauen orientiert und eng an die Heritage und den Elementen, die Christian Dior als Grundlage legte, hält.
Bild: Courtesy of Dior
Dior war das erste Modehaus, das nach dem Zweiten Weltkrieg global agierte und schon früh Filialen und Lizenzen in Südamerika, Nordamerika und Japan vergab. Monsieur Dior liebte die Weltläufigkeit und wollte die Damen mit seinem Pariser Chic auf der ganzen Welt gewinnen. Und so kommt es dazu, dass die Winterkollektion in einer Art überdimensionierten Spielzeugzoo unter freiem Himmel präsentiert wurde.
Pietro Ruffo, ein Künstler, mit dem Maria Grazia Chiuri eine kreative Verbindung teilt, entwarf als Dekor das Himmelsgewölbe und die Erde in einer poetischen Form- mit großen Tieren, die an steckbares Holzspielzeug unserer Kindheit erinnern.
Bild: © Ethan James Green
Ein Zitat von Karl Gutzkow gab Maria Grazia Chiuri die erste Inspiration für die jetzige Couture-Kollektion im Hause Dior: „Ich kaufte die Karte von Paris auf ein Taschentuch gedruckt.“ Auf der einen Seite eine Gravur von Albert Decaris aus dem Jahr 1953, die in den Dior-Archiven gefunden wurde: eine Karte der fünf Kontinente, die von der Maison und ihrer weltweiten Verbreitung erzählt.
Auf der anderen Seite die Aussage aus Christian „Dior et moi“, der Autobiografie des Designers: „Eine vollständige Kollektion muss sich an alle Frauentypen in allen Ländern richten.“ Maria Grazia Chiuri ließ sich für die Haute-Couture-Schau von diesen zwei Ausgangspunkten leiten.
Bilder: Courtesy of Dior
Der Atlas symbolisiert für Maria Grazia Chiuri ein gewisses Fernweh, das Bedürfnis zu reisen, um die Welt und sich selbst zu entdecken, Emotionen zu spüren, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Er erinnert an ihre Reise von Rom nach Paris oder ihre Erkundung des Dior-Erbes. Turbulent wie die ersten Entdeckerinnen, die fähig waren, geografische und mentale Grenzen zu überschreiten, ist auch sie von diesen Heldinnen und ihrer Art, die Elemente der maskulinen Garderobe zu nutzen und mit ethnischen Stücken zu vermischen, fasziniert.
Bilder: Courtesy of Dior
Die Stoffe der Herrenkleidung entnommen, etwas was Dior für seine Kostüme 1948 erstmals tat, zeigen sich dank der Sensibilität der Modeschöpferin und der neuesten Technologien in hell und dunkel schillernde Oberflächen verwandelt an Jacken, Mänteln, Blusen und Overalls, die an kleine Pilotenjacken erinnern und in plissierte Culotte-Hosen übergehen. Wohingegen der männlichen Filzhüte von Stephen Jones, in diesem Jahr seit zwanzig Jahren Designer der Dior-Hüte, von dem der Entdeckerinnen wie Freya Stark inspiriert ist. Diese Hüte wurden schon von John Galliano als Klassiker hinzugefügt. Fast jeder Look einer bequemer werdende und etwas mehr oversized wirkenden Silhouette zitiert Materialien oder Couture-Kleider aus den Archiven. Die vielen Schattierungen von Grautönen sind eine Hommage an das berühmte „Gris Montaigne“, das etwas glänzende warme Grau von Christian Dior, in denen er auch die Paneele seines Hauses und der Boutique streichen ließ.
Tagesensembles mit Bar-Tailleur-Silhouette werden diesmal sogar zu langen Mänteln, tollen Jacken oder bequemen Cabanjacken verwandelt. Chiffon, Gazar und feine Seidenstoffen wird gegen rougher erscheinende Woll- und Mohairstoffe gesetzt. Opulent, aber trotzdem sophisticated wirkender Tüll wie Wollstoff verarbeitet. Weiblichkeit und Purismus konnte Maria Grazia Chiuri schon bei Valentino gut verbinden und so immer auch Tragbarkeit ins Luxusgenre umsetzen.
Bilder: Courtesy of Dior
Die Kollektion ist 100 Prozent Dior. Trotzdem bringt sich Maria Grazia Chiuri mit ihren Vorlieben ein. Die Wurzeln mit heutigen Ansprüchen und Bedürfnissen füllen, ist ihr Ding. Dazu die Hochachtung und die Möglichkeiten ausnutzen, die nur die Haute-Couture-Ateliers und deren Zulieferer beherrschen.
Der Verlauf dieser Rückkehr zu den Wurzeln wird für Maria Grazia Chiuri zu einer Topografie der Emotionen: Farben, Blumen und Tarotmotive als Stickereien werden selbst zu Atlanten auf Capes und Abendkleidern aus Tüll und Seide in Rosa gepuderten Grautönen oder in den nächtlichen Farben des Samts. Dieses Märchenspiel versetzt uns in eine Fantasiekartografie, die unsere Sichtweise erfindet und auf den Kopf stellt. Es erinnert uns an die Bilder auf alten Wandatlanten und Weltkarten: Sie erzählen uns von der Kraft der literarischen Wanderschaft der Frauen, die von kulturellen und modischen Erkundungen geprägt sind.
Bilder: Courtesy of Dior
Eine Kollektion, die nicht nur den Haute-Couture-Kundinnen gefällt, die in aller Welt genau den Traum Christian Diors von der femininen Frau tragen möchten, sondern gleichzeitig auch das klare Bekenntnis Diors zur Haute Couture und dem Handwerk ist.
Es ist kein Zufall, dass seit 2015 und den Attentaten, die Modehäuser bewusst symbolträchtige Locations und Thematiken in der Stadt mit ihren Kollektionen verbinden und die Werbetrommel für die Stadt der Liebe und der Lichter kräftig rühren. Denn gerade große Modehäuser wie Louis Vuitton, Chanel oder auch Dior haben den Besucherschock deutlich zu spüren bekommen und das positive Image von Paris und die Reisenden aus aller Welt braucht die Luxusindustrie wie wir die Luft zum Atmen. Die Haute Couture und Paris funktionieren nur gemeinsam, weil in jedem Kleid ein wenig von dem zu sein scheint, was man dort an Chic und Eleganz mit in die Wiege gelegt bekommt.
Bilder: Courtesy of Dior
Fünf Kontinente von Maria Grazia Chiuri für Dior – Haute Couture, die Monsieur Dior bestimmt gefallen hätte.