Bild: Chanel
Nachdem in den letzten Jahren die Höhen der Absätze scheinbar keine Grenzen kannten und Christian Louboutin, Manolo Blahnik oder auch Jimmy Choo mit Plateaus und Modellen, die an Mordwaffen erinnern, Furore machten, ist jetzt Entwarnung für die Frauen angesagt, die zwar elegant und weiblich erscheinen, aber trotzdem bequem ihren Alltag meistern möchten. Trotzdem müssen die Frauen nicht auf Sneaker und Co. zurückgreifen …
„Er“ ist nämlich wieder da – der Schuh, der seit über einem halben Jahrhundert in keinem Schrank einer Frau fehlen darf. Der Schuh, der aussieht, als hätte man einen Löffelbiskuit in seinen Kaffee eingetunkt, mit dem Absatz, der in Frankreich auf den schönen Namen „Trotteur“ hört.
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Dass sich Klassiker wandeln oder auch eine Zeit lang in anderer Gestalt auftreten, kann man am Beispiel des Two-Tone Slingpumps von Chanel besonders schön erklären. Seitdem im März die Models in Chanels „Brasserie Gabrielle“-Kollektion aus den Drehtüren traten und im Stil einer „Bourgeoisie“-Parisienne gekleidet über den Mosaikboden paradierten, war klar, dass Karl Lagerfeld mal wieder einen Wurf gelandet hat, der jetzt in den Geschäften heiß erwartet wird.
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Keine Schuhe stehen so für Chanel, für die Eleganz der Großstadt und dafür, eine Stilikone zu sein, wie die Two-Tone Slingpumps. Was auf den ersten Blick bürgerlich wirkt, wird der „Must-have“-Schuh der Saison. Bereits jetzt gibt es kaum ein Modemagazin, das ihn nicht shootet. Instagram & Co. sind gepflastert von ihm und er steht auf den Wunschlisten von Frauen aller Altersgruppen – und das, obwohl Mademoiselle Chanel ihn eigentlich kurz nach ihrem Comeback 1954 für sich selbst geschaffen hat.
Noch heute werden die Two-Tone Slingpumps für die Haute Couture bei Massaro in der Rue de La Paix gefertigt und für das Prêt-à-porter in der Chanel-eigenen Schuhmanufaktur in der Nähe von Venedig produziert. Genau dort entstanden auch die Aufnahmen, die die vielen Arbeitsschritte des aus feinstem Kalbleder bestehenden Accessoire zeigen. Die Version für Winter 2015 entspricht übrigens genau dem Schuh, nur in wenig veränderter Form, wie in der berühmten Nachlassversteigerung 1978 bei Christie’s. Lilou Grumbach, Chanels engste Mitarbeiterin und Freundin, verkaufte damals die Garderobe der Designerin. Heute würde er sicherlich das hundertfache des damals erzielten Preises von umgerechnet 250 Euro bringen – immerhin ist die Geschichte des Schuhes auch ein wichtiges Kapitel der Mode des 20. Jahrhunderts.
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1957, nachdem sie bereits das Kleine Schwarze, das gepaspelte Tweedkostüm und die gesteppte Handtasche zu den Must-haves der Damengarderobe erhoben hatte, entschied Mademoiselle Chanel, den Look der Frauen um ein neues Detail zu bereichern: den zweifarbigen Schuh. „Er ist“, sagte sie, „der Gipfel der Eleganz.“ Mit ihrer Vision hat sie wie immer direkt ins Schwarze getroffen. Diesmal hat sie die Form des beige-schwarzen Slingpumps genommen, ihn vom Absatz bis zur Spitze studiert und so gestaltet, dass er zu jedem Look und zu jedem Anlass passt, am Morgen wie am Abend. Und auch mit diesem Accessoire hat Gabrielle Chanel einen vollkommen neuen Stil kreiert: Bis dahin waren Schuhe einfarbig und auf die Farbe des Outfits abgestimmt. Mit diesem Schuh befreite Gabrielle Chanel die Frauen von den strengen Regeln antiquierter Eleganz. „Der neue Aschenputtel-Schuh“, so nannte ihn die Presse, war schnell auf der ganzen Welt bekannt und begeisterte die Schauspielerinnen dieser Ära wie zum Beispiel Catherine Deneuve, Romy Schneider, Marlene Dietrich, Capucine, Delphine Seyrig, Jane Fonda und Jeanne Moreau. Heute trägt ihn zum Beispiel Tilda Swinton gern.
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Dieser Schuh hat noch einen weiteren unübertroffenen Vorteil: die Farben. Das Beige verlängert das Bein während die schwarze Spitze den Fuß verkürzt. Da alle Kreationen Gabrielle Chanels auch eine praktische Seite erfüllten, hat sie sich dieses graphische Detail zu nutze gemacht: Schwarz ist weniger empfindlich als Beige und die Spitze des Schuhs bewahrt so eine makellose Optik. Und der Fersenriemen sorgte für große Bewegungsfreiheit. Der 5 cm hohe, rechteckige Absatz wurde so gestaltet, dass er sich hinsichtlich Bequemlichkeit perfekt den Bedürfnissen des neuen Lifestyles der Frauen anpasste. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich Mademoiselle Chanel von der Herrengarderobe inspirieren ließ: Der zweifarbige Schuh wurde bereits im 18. Jahrhundert von Männern getragen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sie schon oft Sport- oder Freizeitschuhe in Form von Derby- oder Oxford-Schuhen gestaltet, ganz ähnlich, wie das Paar, das sie auf dem berühmten Foto, auf dem der befreundete Tänzer Serge Lifar sie auf seinen Schultern trägt, anhat.
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Gabrielle Chanel brachte ihre Kreation schnell auf den Punkt. Mithilfe des Schuhmachers Massaro wurde der Riemen elastisch. Diese zeitlose Basis bildete die Grundlage für viele verschiedene subtile Farbinterpretationen: beigefarbenes Leder mit einer marineblauen, braunen oder sogar goldenen Spitze. „Mit vier Paar Schuhen kann ich um die ganze Welt reisen.“ Diese Logik nahm unaufhaltsam ihren Lauf. Je nach Jahreszeit war die Schuhspitze aus schwarzem Satin, silberfarbenem Leder, wurde runder, spitzer oder mit einer kleinen Schleife verziert. Der Absatz wurde in den 1960ern quadratischer und später wieder schlanker. Eine Zeitlang wurde der Slingback sogar vom geschlossenen Schuh verdrängt; Nach urbaner Eleganz kam ein sportlich-lässiger Look, von dem die hohen, schwarz geschnürten Tennisschuhe aus Ziegenleder von 1966 zeugen.
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Heute erfüllt Karl Lagerfeld den Schuh dank seiner Kreativität und seinem Sinn für praktische Belange immer wieder mit neuem Leben. Von 1986 an defilierten Ballerinas auf den Straßen. Für die Prêt-à-Porter-Kollektion Frühling-Sommer 1994 kreierte er einen in Schwarz-Weiß mit einem Fesselriemen. Neue Farben wurden erdacht: Pfauenblau, Schwarz und Lavendel, Fuchsia und Schwarz, Flaschengrün und Schwarz.
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Über die Farben hinaus mixt Karl Lagerfeld die Materialien und kombiniert kühn PVC mit Satin für die Prêt-à-Porter-Kollektion Frühling-Sommer 2013, Spitze mit Leder bei den Stulpenstiefeln der Haute Couture-Kollektion Frühling Sommer 2013 und Tweed mit Lackleder bei den Stiefeletten der Haute Couture-Kollektion Herbst-Winter 2009/10. Abwandlungen wie Bergkristall Absätze, Reiterstiefel aus Loden oder zu guter Letzt der Espadrilles – die Vielfalt der Varianten ist für Lagerfeld wie ein Spiel, bei dem man nur den Code einhalten muss.
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Kein Wunder also, dass wir weltweit in diesem Winter wieder voller Begeisterung viele Frauen nach dem Wahlspruch von Coco Chanel 1957 auf den Straßen sehen werden:
„Wir verlassen das Haus am Morgen im beige-schwarzen, wir essen im beige-schwarzen zu Mittag, wir gehen im beige-schwarzen zur Cocktail-Party. Wir sind von früh bis spät perfekt gekleidet!„
Siegmar
14. September 2015 at 13:40wunderbarer Artikel, wie immer toll geschrieben, eleganter Schuh und ein tolles Foto von Tilda Swinton.
Monsieur_Didier
14. September 2015 at 15:51…“…der Schuh, der aussieht, als hätte man einen Löffelbiskuit in seinen Kaffee eingetunkt…“ poetischer kann man es nicht formulieren…
schöner und informativer Artikel…!
Serven
14. September 2015 at 21:51Ein sehr schöner Artikel und sehr informativ!
Der Schuh allerdings ist weniger schön. Eher ein Model für Damen des Alters 70+ mit schweren Beinen. Es gab schon elegantere Modelle von Beige/Schwarz.
Auch das Logo auf den Absatz zu kleben ist schäbig.
Haben die das nötig?
stephanberlin
14. September 2015 at 22:37Ich finde das Spiel mit der Bourgeoisie ganz toll und sehe bei den Schuhen Romy Schneider vor mir.
Die üblichen Hookker-Schuhe kann man wirklich mehr sehen!