Spätestens seit dem Wochenende herrscht wieder Kinowetter. Was will man bei der Kälte auch draußen anstellen? Bisher hatten wir allerdings einen milden Herbst, darum sind euch diese Perlen bisher vielleicht entgangen.
Mommy
Kann man ein krankes Kind mit Geduld und Liebe retten? Diese Frage spürt Mommy nach. Regisseur Xavier Dolan (Ikilled my mother, Sag nicht, wer du bist!) legt in einem Alter, in dem andere gerade ihre dritte Ausbildung abbrechen schon seine fünfte Regiearbeit vor. Und wird seinem Ruf als filmisches Wunderkind dabei absolut gerecht.
Mommy räumte in Cannes den prestigeträchtigen Preis der Jury ab und geht für Kanada ins Rennen um den Auslandsoscar. Der Film erzählt von Diane (Anne Dorval) und ihrem Sohn Steve (Antoine-Olivier Pilon), der schnell ausrastet und ein Aggressivitätsproblem hat. Steve kann aber auch ein liebenswerter Junge sein und Diane möchte ihm trotz allem beistehen. Abseits von unerwarteten Wendungen à la Hollywood trägt dieser Grundkonflikt über zwei Stunden hinweg. Nie kommt Langeweile auf. Vielmehr geht man als Zuschauer durch ein Wechselbad der Gefühle. Mal traurig und depressiv, dann wieder lustig und hoffnungsvoll lässt einen dieser Film mit seiner perfekten Besetzung und dem tollen Soundtrack nicht mehr los. Auch das ungewöhnliche Bildformat im quadratischen 1:1 macht nicht nur ästhetisch Sinn, sondern passt zur Geschichte. Auf jeden Fall keine Popcornunterhaltung, aber einer der Filme, die man dieses Jahr gesehen haben sollte.
What We Do In The Shadows (deutscher Titel: 5 Zimmer Küche Sarg)
Es ist nicht weniger als eine Sensation! Einem neuseeländischen TV-Team ist es gelungen, eine Vampir-WG in Wellington in ihrem Alltag zu begleiten und uns völlig neue Einblicke in das Leben der Blutsauger zu geben. Überraschenderweise müssen sich die Unsterblichen mit den gleichen Problemen herumschlagen wie wir alle. Wer ist dran mit abspülen? Wie kommt man in die coolsten Clubs? Und ist man gleich ein Spießer, nur weil man möchte, dass die Mitbewohner zumindest Zeitung unterlegen, bevor sie ungefragt im eigenen Zimmer ihr Opfer aussaugen?
Es ist also nicht alles – pardon – Silber, was glänzt. Zwar können die sympathischen Untoten fliegen und sich in Tiergestalten verwandeln. Doch kotzen sie gleich literweise Blut, wenn sie versuchen, mal wieder eine Pommes zu essen. Und was nützt die Unsterblichkeit, wenn die Liebste schon lange verblichen ist und ihr einziges Andenken – ein Medaillon aus Silber – einen potentiell umbringen könnte? Ganz zu schweigen von diesem vermaledeiten Sonnenlicht.
Jemaine Clement und Taika Waititi zeichnen nicht nur für Buch und Regie verantwortlich, sondern spielen gleich noch zwei der Hauptrollen. Vor allem Clement dürfte einigen von euch noch aus der preisgekrönten HBO-Serie Flight of the Conchords bekannt sein. Wer auf die skurrile Alltagscomedy des Neuseeländers abfährt und sich wie ich nicht mehr einkriegt, wenn Vampire mit einer aufgeschnittenen Zitrone in der Hand vorm Spiegel PackMan nachspielen (sie haben ja schließlich kein Spiegelbild) und heimlich im Sarg onanieren, wenn Werwölfe empört auf das Tragen von Pelz reagieren und via Gruppengesprächen versuchen, ihre Aggressionen in den Griff zu bekommen, um „Fairwolves“ zu werden, dem sei der Streifen innig ans Herz gelegt! Wer über sowas nicht lachen kann, wird den Film vermutlich hassen. Absolut sicher ist jedoch, dass man sich auf keinen Fall die synchronisierte deutsche Version antun sollte!
Das Salz der Erde
Kein menschlicher Abgrund, in den Sebastião Salgado noch nicht geblickt hätte. Der ehemalige Verwaltungsangestellte reiste um die ganze Welt und fotografierte Flüchtlinge in Äthiopien, die Lebensbedingungen von Goldschürfern in seiner Heimat Brasilien oder die Bürgerkriege im zerfallenden Jugoslawien. Dabei interessierten ihn stets die Armen, Schwachen und Benachteiligten. Mit seinen Schwarz-Weiß-Aufnahmen dokumentierte er das alltägliche Elend und avancierte zu einem international bekannten Fotografen. Nach Ruanda war damit Schluss. Der Völkermord hatte alles Vorherige in den Schatten gestellt und ihm seelisch zu stark zugesetzt. Anhand seiner Bilder erzählen Regisseur Wim Wenders (Der Himmel über Berlin, Buena Vista Social Club) und Salgados Sohn Juliano seine Lebensgeschichte nach. Einfühlsam lassen sie ihn zu Wort kommen und von seinen Erfahrungen berichten, während Juliano manchmal aus der Perspektive des Kindes ergänzt, das seinen Vater oft monatelang nicht zu Gesicht bekam. Salgados Bilder sind genauso grausam wie ästhetisch, dabei aber stets auch irgendwie mitfühlend. Sie ziehen den Zuschauer mit ungewohnter Intensität in ihren Bann. Doch irgendwann geht es einem wie Salgado selbst, man hat genug von Leid und Elend. Gut, dass der Film versöhnlich ausklingt. Beeindruckende Naturmotive und ein Forstprojekt, mit dem Salgado die Ranch seiner Familie von der öden Wüste zurück in ein Stück Regenwald verwandelt, geben ein Bisschen Hoffnung zurück. Ein intensiver Film, den man nicht einfach mal schnell wegguckt. Dafür aber nachhaltig beeindruckend und absolut empfehlenswert.
Monsieur_Didier
3. Dezember 2014 at 10:14…sehr schön, zwei sehenswerte Filme die mir sehr gefallen, sind dabei…
„das Salz der Erde“ ist unglaublich berührend…
ich sah ihn im „International“ hier in Berlin und auch nur, weil eine Freundin mich mitschleppte…
freiwillig wäre ich NIE in den Film gegangen…
allein der Name Wim Wenders hätte mich verscheucht. Aber dann ging ich rein und war absolut fasziniert und verzaubert und berührt. Allein die ersten Bilder haben mich direkt in ihren Bann gezogen…
der Film hatte zwischendurch etwas verstörendes und sehr trauriges, wenn man Fotos sieht, die in Ruanda aufgenommen wurden…
kein Wunder, dass nach diesen Aufnahmen Schluss war…
die Bilder der wiederaufgebauten und aufgeforsteten Farm der eltern hatten etwas sehr berührendes und versöhnliches für mich, sie ließen mich ein wenig geheilt zurück…
bewundernswert war für mich die Unterstützung der Ehefrau, die irgendwie die treibende und unterstützende Kraft hinter dem ganzen zu sein schien…
und das der Sohn seinen Vater so wenig sah berührte mich ebenfalls sehr…
und auch hier war es einfach sehr schön und versöhnlich, dass sie sich über gemeinsame Tieraufnahmen annäherten und ihre verlorene Zeit irgendwie wieder aufholten, auch wenn so etwas natürlich nicht wirklich möglich ist…
diesen Film MUSS man sehen, das ist mein absolutes Filmhighlight der letzten Monate…!!!
„Mommy“ war ebenfalls ein Tipp der Freundin, wobei ich sagen muss, sie hat Filmproduktion studiert und arbeitet bei einem Filmvertrieb, ist also irgendwie im Thema „drin“.
Das Format von „Mommy“ finde ich schwierig und nicht wirklich angenehm, soll es aber wohl auch nicht sein…
der Film an sich ist unglaublich, sehr sehenswert und toll, aber sehr anstrengend…
mir wurde Xavier Dolan schon mehrfach ans Herz gelegt, aber mich stoßen Attribute wie „Regie-Wunderkind“ und „Sensation“ und „unbeding ansehen“ eher ab als dass sie mich neugierig machen…
aber hier ist es genau so…
tolle Hauptdarsteller, und zwar alle drei, eine berührende Geschicht und ein durchweg guter Film…
auch diesen Film sollte man sich anschauen…
aber wie für „Mommy“ als für „Das Salz der Erde“ gilt, dass sie einen so nachdenklich zurücklassen, dass man noch Tage danach noch darüber nachdenkt und dass sie mich noch lange beschäftigten…
was kann man schöneres und empfehlenswerteres über Filme sagen?
Siegmar
3. Dezember 2014 at 11:28Das Salz der Erde wirklich überragend und Wim Wenders ( wo ich auch schon meine Schwierigkeiten hatte ) hat ein Meisterwerk geschaffen.
@ Gastautor
großartig deine Filmtips, freut mich das diese Sparte bei „Horstson “ Einzug gehalten hat.
Stefan
3. Dezember 2014 at 17:52@Monsiuer_Didier
Mir ging es beim Schauen der Filme genau wie Dir!
Und das International ist eines meiner Lieblingskinos.
@Siegmar:
Vielen Dank für die Blumen 🙂
Freut mich, dass Dir die Tipps gefallen!