Bild: 1ST PAT-RN
Eigentlich dachte ich nicht, dass dieser Typ etwas mit Mode zu tun hat. Seinen zweireihigen Navy Blazer sah ich zuerst an einer Freundin in Frankfurt. Wow, was für ein Ding. Der Stoff ist leicht, fällt doch schwer und geschichtsbehangen. Die goldenen Knöpfe leuchten gerade richtig, nicht zu hell und nicht zu matt. Alles hier ist echt. Alles lebt. Eben im Sinne des längst so furchtbar überstrapazierten A-Wortes (‚Authentizität‘ – Anm.d.Red.). Hat wohl ein Onkel die Jacke getragen, als er mit Kennedy vor Nantucket kreuzte? Fast. Verantwortlich für das schöne Stück ist ein kleines Team im Veneto: Cristiano Berto, sein Bruder Alessio und Cristianos Lebensgefährtin Silvia Piccin. Ihr Label nennt sich 1ST PAT-RN, beschwört im Namen das Ursprüngliche und hat auch irgendwas mit einer Militärjacke zu tun, die Cristiano einmal in der Normandie fand. Obwohl vom Trend der Vintage und Heritage Wear getragen, ist irgendetwas anders an 1ST PAT-RN. Irgendwas ist unabhängiger und freier und subtiler. Irgendwas ist echter. Und ich will wissen, woher das kommt.
Bild: 1ST PAT-RN
Facebook hurra, Cristiano und ich haben gemeinsame Bekannte und schnell verabreden wir uns auf ein Gespräch. Anders als von mir vermutet, ist der ausgebildete technische Zeichner bei familiärer Vorbelastung schon früh in die Modebranche gerutscht. Seit 25 Jahren arbeitet er als Designer für verschiedene Unternehmen, konnte einige Fashionbrands im Markt etablieren. Auf der Pitti in Florenz beginnt 2012 mit der Vorstellung von 1ST PAT-RN ein Abenteuer nach eigenem Geschmack. Bruder Alessio hat sich in der Zwischenzeit einen Namen als Schnittkonstrukteur gemacht. Freundin Silvia zeichnet für Farbgebung verantwortlich und leiht den Damenmodellen ihre gestaltende Hand. Gemeinsam mit einem norditalienischen Betrieb, der noch ne richtig alte Orizio Strickmachine fährt, tauchen sie tief ein in die Rekonstruktion und Neuentwicklung von grifffesten Jerseystoffen. Baumwolle und Wolle peitschen sie durch die Knatterkiste, in unterschiedlichen Mischungen, enger oder weiter gestrickt, leichter oder schwerer, als Cavalry Twill oder als Tweed. Kein üblicher Jersey. Beileibe nicht.
Trotzdem bliebe da ein altes Problem: Wie konstruiert man zackig militärisch anmutende Jacken aus frei fliessenden Jerseystoffen? Das ist nen bisschen wie Pudding an die Wand nageln: eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Es sei denn, man heisst Alessio Berto, liebt Jazzmusik und Stoffe, versteht beides und arbeitet ein halbes Leben als Patternmaker für einige der besten Couturiers Europas. ‚Leave it to Alessio‘ ist ein geflügeltes Wort. Was keiner kann, er kann es. Nach alter Tradition werden Alessios Konstruktionen als Schnittmuster direkt auf die Bahnen gedruckt, und ab geht ’s zu den Schneiderinnen in der Nachbarschaft.
Silvia Piccin und Alessio Berto. Bild: Clutch Magazine Japan
Uniformen im weitesten Sinne, zivilen oder militärischen Ursprungs, sind Cristianos Designinspiration. Bäcker, Bootsmann, Bürgermeister. Jeden Berufsstand kann man sich in diesen Jacken vorstellen, solange man sich eine kleine italienische Provinzstadt oder eben Kennedys Yacht hinzu denkt. Und irgendwie scheint die Zeit angehalten. Nicht forciert durch fadenscheinige Vintage- oder Heritage-Bekundungen, sondern aus Substanz, aus Hingabe und Überzeugung. Genau hier liegt eben auch der ganze Gestus originärer Bescheidenheit und adelnder Zweckorientierung, der Workwear und Utility in zynisch schnelllebiger Welt so offensichtlich begehrenswert macht. Aber hier ist er echt, weil nicht in den Vordergrund gedrängt, bleibt subtil, und das macht 1ST PAT-RN so reizvoll. Die selbstauferlegte Pflicht, Jerseystoffe zu beherrschen, ihnen Kontur und Kante zu geben, als seien sie mit der Axt geschlagen, das ist die Bande, über die Cristiano Berto mit seinem kongenialen Team spielt. Willst du Gravitas, ziele indirekt. Alchemie funktioniert genau so.
Cristiano Berto und Alessio Berto. Bild: Clutch Magazine Japan
Wer sich Cristiano Berto als extrem netten, überaus herzlichen und zugewandten Menschen vorstellt, hat genau recht. Wie jeder gute Designer, vielleicht nicht wie jeder Modedesigner, aber doch wie jeder ordentliche Produktdesigner, hat er in seinen Entwürfen auch gleich das realisiert, was er selbst im Markt vermisst. Schlank sind seine Jacken, aber nicht eng. Auch das, zumindest für den Verfasser dieser Zeilen, ein kaum zu unterschätzendes Verdienst. Sein spätes Unternehmertum umreisst Cristiano mit aller Bodenhaftung des Veneto: „Im eigenen Laden bin ich nichts ausser den Zahlen unterworfen. Solange die stimmen, bin ich frei.“ Und weiter: „In vielen Modeunternehmen denkt man immer noch, man könne den Markt fluten mit irgendwelchem Zeug. Der Kunde wird es schon fressen. Das ist komplett vorbei. Das Publikum lernt spielerisch und schnell und ist mittlerweile informierter und erfahrener als viele, die in der Branche die Entscheidungen treffen.“ Erwartungen von Kunden, so Berto, könne man heute nur mit Intuition, Leidenschaft und Professionalität begegnen. Ein kleines, eingespieltes Unternehmen sei ihm dafür das ideale Vehikel.
Bild links: Ayana Matsuba, Editor Clutch Magazine. Bild: Clutch Magazine Japan; Bild rechts: Tiberio Pedrini. Bild: Tiberio Pedrini
Früh fand 1ST PAT-RN Anerkennung und Unterstützung in der Branche, namentlich in Japan, wo bekanntermassen alle verrückt sind nach Dingen mit Substanz und Seele, und durch international etablierte japanische Heroen wie Eiichiiro Homa. „Wir sind unglaublich dankbar, nach so kurzer Zeit in einigen der besten Läden der Welt zu sein. Das sind sensationelle Botschafter, die handfeste Passion mobilisieren. Wir spüren dies auch besonders an den herzlichen Beziehungen, die sich mit Endkunden und Multiplikatoren entwickeln. Die schreiben uns Mails, nehmen über soziale Medien Kontakt auf und setzen sich intensiv mit unseren Produkten auseinander. Es ist ein Kreis aus Engagement und Begeisterung. Besser ginge es kaum. Wir lernen beständig und können uns permanent verbessern.“ Fast denkt man, Cristiano hätte aus dem Handbuch für kundenorientierte Unternehmensführung abgeschrieben. Doch kann ein solcher Verdacht in Gänze und vollständig zerstreut werden. Schliesslich hat der, der hier schreibt, selbst die sozialen Medien gequält auf der Suche nach dem Mann, dessen Vittorio Blazer ihn schon ein halbes Jahr lang ziert. Calling Mr. Cristiano Berto! Und wie so oft, wenn einem etwas wirklich gefällt, wenn einen etwas berührt und man das Gefühl nicht los wird, dass dieses Ding auch etwas mit einem selbst zu tun hat, dann ist es eben tatsächlich so, dann stehen nicht selten auch Menschen dahinter, zu denen man einen ganz direkten, einen freundschaftlichen Draht hat. So habe ich mit 1ST PAT-RN nicht nur eine Marke entdeckt, sondern mit Cristiano und den Seinen auch meine Welt erweitert. Und wenn Konsum irgendeinen tieferen Sinn haben sollte, dann bitte doch diesen. Ein Hoch auf die Dinge, die verbinden! So einfach und so wunderbar kann es sein.
Bilder: Kai Sasaki X 1ST PAT-RN
p.s. Erstklassig auch die Illustrationen, die der Tokioter Kai Sasaki regelmässig beisteuert. Als Freund von 1ST PAT-RN findet man sich tatsächlich in angenehmster Gesellschaft.
Patrick
6. Oktober 2015 at 11:05Die Pitti ist genau der Ort, an den ich denken musste, als ich die Jacken gesehen habe. Justin O’Shea hat doch schon so viele ähnliche! Ich bin froh, dass „der, der hier schreibt“ mit Japan einen weiteren Markt beschrieben hat. Hat aber Spaß gemacht, hier wieder reinzulesen 🙂
Civid
6. Oktober 2015 at 16:58Sehr tolle Jacken und ein schöner Artikel.
Julian
6. Oktober 2015 at 20:21Hallo lieber Gastautor,
ich weiß gar nicht wie du heißt aber trotzdem auf diesem Wege: Herzlichen Glückwunsch zu deiner ersten Veröffentlichung bei uns! Bin gespannt auf den nächsten Beitrag. ; )
Bis dahin und beste Grüße,
Julian
Monsieur_Didier
6. Oktober 2015 at 20:28…der Artikel ist wirklich toll und sehr tiefgründig geschrieben…
großes Kompliment…
bitte mehr davon, eine wirkliche Bereicherung…!
gastautor_vk
6. Oktober 2015 at 21:54herzlichen dank, ihr lieben. aus den kommentarspalten dieser seite koennte man mich unter dem pseudonym ‚vk‘ kennen.
horstson hat mir ja immer viel spass gemacht. es gibt einen spirit hier, der gut ist. dann stolperte ich ueber 1st pat-rn und dachte, dazu sollst du jetzt wirklich mal was schreiben. die bertos sind toll. ungeheuer nett und in ihrem thema. wirklich umgehauen haben mich aber auch die leute, die ich in der peripherie angebohrt habe. das team von clutch magazine japan z.b. oder tiberio pedrini. tiberio ist ein photogener renaissance-man aus bologna, ein junger patron of the arts and design, der sich auch gerne mit esprit in szene setzt in den dingen, die er liebt. diese und andere waren bei 1st pat-rn so voll von begeisterung und in eigener showmanship und coolness so ueberaus zurueckgenommen, dass es bemerkenswert ist. kein „klar ist das geiles zeug, ich trag es ja selbst haha“ sondern „wunderbar, dass ich diese sachen kaufen durfte, ich hab schon zwei im schrank.“ mich haut sowas um. das ist marke, wie sie sein muss.
Siegmar
7. Oktober 2015 at 09:34danke an den Gastautor, die Kommentare von „vk“ fand ich immer sehr bereichernd und der Artikel ist klasse geschrieben und die Marke ( dich ich nicht kannte ) ist sicherlich eine Bereicherung. Den Blazer find ich super und würde den sofort tragen, genau in der abgebildeten Kombination mit den Military-Hosen od. Chinos.Die Illustrationen sind einrahmungswürdig schön.
Horst
7. Oktober 2015 at 10:11Auch von mir vielen Dank für den Beitrag – und ich freue mich auch auf den nachfolgenden! 🙂
Das Label kannte ich, wie Siegmar, auch nicht; mag die Jacke von Ayana Matsuba aber sehr sehr.
PeterKempe
8. Oktober 2015 at 22:54Ich möchte sofort so eine zauberhafte Jacke ! Wie toll ! Und super gut geschrieben ! tausend Dank für den schönen Beitrag !