Handwerk

Es gibt immer weniger Menschen, die Napoleon noch kannten – Madame Pouzieux

Jeden Tag berichten wir hier bei Horstson über Trends, Mode, die zukünftigen Kollektionen. Alles dreht sich um die Welt der Mode – von ganz billig bis ganz teuer, doch wir werfen auch einen Blick auf die Menschen und die Hintergründe. Diese Geschichten sind es, die das ausmachen, was den ein oder anderen von uns so faszinierte, sich mit dem Thema Mode zu beschäftigen oder wie im meinem Fall: Süchtig danach zu werden.

Der geniale französische Dokumentarfilmer Loïc Prigent drehte im Jahre 2004 eine der besten Modedokus die es gibt: „Signe Chanel“, oder wie es bei uns heißt, „Im Haus Chanel“. Über den Zeitraum einer Haute-Couture-Saison wird die gesamte Entstehung einer Kollektion, von der Entwurfszeichnung bis zur großen Modenschau, gezeigt. Man schaut auf amüsante und ungeschminkte Weise hinter die Kulissen und lernt alles kennen, was zur Entstehung einer Kollektion beiträgt. Loïcs Doku ist eine der besten, die je gemacht wurden. Andere Modeschöpfer wie Marc Jacobs, Versace oder Sonia Rykiel waren von ihr so begeistert, dass er über sie auch Dokus drehen musste.
Das absolute Phänomen, dass in dieser Sendung ans Licht kam, war für mich aber die Bortenmacherin des Hauses Chanel: Madame Pouzieux. Zulieferin bei Chanel seit 1954.

Chanel ist da bedeutendste Modeunternehmen der Welt und man denkt unweigerlich, dass alles höchst professionell und routiniert gemacht und gemanagt wird, aber auch in diesem Unternehmen gibt es Dinge, die man kaum glauben kann und so ein Fall ist Madame Pouzieux.

Einer der Grundelemente des viel gepriesenen Stils des französischen Modehauses sind die Kostümjacken mit den Woll-, Seidentressen oder Borten, die die Säume der Jacken einfassen, den Abschluss der Ärmel bilden und die Taschenpaspel bilden. Diese sind meistens aus gewebter Wolle oder geflochtenen Seidengalons, farblich abgestimmt auf das Outfit oder geben das Echo der Bluse oder der Farbelemente des Tweeds wieder. In der Haute Couture Kollektion sind sie mit der Hand gemacht …

Madame Pouzieux ist eine französische Bäuerin und Pferdezüchterin die etwa anderthalb Stunden mit dem Auto entfernt von Paris auf dem platten Land der französischen Provinz lebt.
Sie ist 81 Jahre alt und bewirtschaftet ihren Hof allein. Ihre Pferde und ihre Katzen sind ihr ein und alles. Aber es gibt noch etwas was ihr Leben seit 1954 begleitet – das ist die Arbeit für Coco Chanel.
1946 haben sie und ihr Bruder aus Sperrholz und einer Art aus altem Küchenhocker kombiniert mit ein paar Eisenteilen einen Brettwebstuhl erfunden, mit dem man auf abenteuerliche Weise Borten machen kann.

Das ganze Procedere funktioniert so: Chanel schickt einen Fahrer mit einigen Metern der Bouclé, Wolltweed oder Epinglestoffe der Modelle für die nächste Kollektion zu Madame Pouzieux.
In ihrer Küche reppelt Madame Pouzieux die Stoffe auf und teilt die Fäden nach Farben auf. Dann hängt sie die Fäden lang über ein hochgestelltes Bügelbrett und rechnet das Verhältnis der Farben in dem Stoff zueinander aus.
Danach überlegt sie sich, wie die Galons aussehen sollen und berechnet wiederum das Verhältnis der Farben als Kontrast.
Die aus dem Stoff gewonnenen Fäden nimmt sie in langen „Dolden“ zusammen und bringt sie auf einen langen Dachboden über ihrem Pferdestall, auf der eine altertümlich anmutende Maschine steht, die wie bei einem Taumacher wirkt.
Auf dieser sogenannten Reeperbahn fädelt sie durch ein kompliziertes Lochkartensystem wie bei einem Webstuhl die Fäden und verzwirnt sie durch ratterndes Drehen der Maschine. Die Fäden werden praktisch zu einem festen Faden verdreht, ähnlich dem Stopftwist.

Dann geht sie zu dem von ihr erfundenen Webstuhl. Vorbereitet hat sie diesen schon mit der Grundfarbe des Stoffes und mit den Kettfäden bespannt. Eine ganz schmale Web-Breite in der Breite des Galons den sie machen will, hat sie für die eigentliche Arbeit zur Verfügung. Durch eine Art Webtechnik, die aber auch gleichzeitig flechten kann, gewinnt sie nun Zentimeter um Zentimeter den kostbaren Galon, der dann später das Kostüm ziert. Manchmal werden noch zusätzlich Pailletten hineingewebt oder aufgenäht.

Auf Pappen aufgewickelt holt der Chanel-Fahrer die Borten dann ab und bringt sie ins Atelier in der Rue Cambon, damit die Direktricen das Modell abschließend veredeln können. Chanel hat schon viele Praktikanten zu Madame Pouzieux geschickt, doch niemand hat es bis jetzt kapiert, wie die Borten gewebt werden.

Wenn die Kollektonspremiere vor der Tür steht, arbeitet Madame Pouzieux die Nächte durch und schläft oft nur zwei Stunden. Am Tag bewirtschaftet sie den Hof. Sie selbst kannte natürlich noch Mademoiselle Chanel persönlich und quittiert das Erstaunen jüngerer Menschen mit den Worten „Es gibt immer weniger Menschen die Napoleon noch kannten“ und auf ihren wenigen Schlaf angesprochen sagt sie „Man muss sich seine Grenzen selber stecken – dann geht alles“. Sie ist mega diszipliniert und ihr Handwerk ist ein unvorstellbar wichtiges Gut für Chanel. Für mich ist sie ein so originelles, unersetzbares Rad im großen Betrieb der Mode, das wie ein Märchen aus anderer Zeit wirkt und doch der Teil eines der professionellsten Modeunternehmen der Welt ist.

Wegen ihr hat es sich schon gelohnt sich für Mode und deren Entstehung zu interessieren. Lang lebe Madame Pouzieux!

  • siegmarberlin
    29. Juli 2011 at 12:32

    ach Peter, was für ein schöner Artikel und ich habe die Dokumentation auf Arte gesehen und war von der alten Dame zu beeindruckt, ich kann mich erinnern, wie sagte sie müsste sich jetzt erstmal um den Hof kümmern und dann für Chanel arbeiten. Ich wünsche mir im Fernsehen mehr solcher Dokumentationen, aber bitte nicht auf den Privaten, die alles nieder machen.

  • Epi
    29. Juli 2011 at 12:35

    Das wirklich Bedauerliche dabei ist ja, dass sie ihrer Arbeit für Chanel womöglich nicht mehr allzu lange wird nachgehen können – und da niemand außer ihr sie auf diese Weise beherrscht, muss man sich fragen, was danach kommen soll…

  • Dana Li
    29. Juli 2011 at 13:12

    Oh, Peter, über sie haben wir doch neulich gesprochen, als ich bei Euch war! Und ich habe neulich noch einmal Signe Chanel gesehen… ihre Arbeit ist fantastisch! Ich hoffe, es geht ihr gut!

  • Daisydora
    29. Juli 2011 at 14:20

    Ich liebe diese Dokumentation, habe sie schon zwei Mal auf Arte gesehen und war so beeindruckt von Madame Pouzieux … fand das so süß, als sie dann nach Paris zur Schau angereist kam …. eine sehr schöne Geschichte, danke Peter 🙂

  • Chris
    29. Juli 2011 at 14:27

    scheint eine nette omi zu sein 🙂

  • blomquist
    29. Juli 2011 at 14:47

    Die Dokumentation habe ich geliebt.
    Ich glaube ich muss mir mal die DVD besorgen.

  • jürgen
    29. Juli 2011 at 18:02

    eine der schönsten geschichten in einer ansonsten wunderbaren doku … und wie gut, dass die ernte einfach noch ein bischen wichtiger ist als chanel 🙂

  • reiners
    29. Juli 2011 at 22:04

    Nach Ansicht einiger Filme über Chanel: Wenn man sieht was da so abgeht und wer das dan trägt wird einem übel.Ob die Chanel auch so gedacht hat die Frauenmode zu verändern stelle ich mal in Frage.

  • Jérôme
    29. Juli 2011 at 22:13

    Oder aber auch: Es lebe Arte! Denn dank der Dokus werden diese wunderbaren und wertvollen Hintergründe der Öffentlichkeit präsentiert.

    Merci, Peter, dass Du Madame Pouzieux’s faszinierende Arbeit hervorgehoben hast!!

    @blomquist und Leser: Gibt es die „Arte-Mode“-Filme auf DVD? Ich hatte mich mal erkundigt und nichts gefunden.

  • peter kempe
    30. Juli 2011 at 10:17

    @jerome
    die dvd im hause chanel gibts in der arte boutique!!!kann man online bestellen
    @reiners
    du hast recht natürlich liegen die modelle und die trägerinnen bei den meisten modemarken weit auseinander weil es ja auch für die klientel die sichs leisten kann nicht unbedingt gedacht ist.sicherlich wünschen sich dior,chanel,cavalli und dolce und gabbana manchmal andere kunden in ihren klamotten zu sehen meistens haben die jungs und mädchen die traumhaft darin aussehen würden leider nicht das geld eigentlich gemein…

  • Jérôme
    30. Juli 2011 at 14:27

    danke, peter!! =)