(‚Juergen Teller’s Renegade Eye‘ published online April 2015 (Shot during Kayne West T magazine shoot); Bild: Juergen Teller)
Die Bundeskunsthalle in Berlin widmet jetzt einem der international bekanntesten deutschen Fotografen mit „Enjoy Your Life!“ eine große Werkschau, die zumindest vom Facettenreichtum beispielhaft für die rasante Entwicklung und ästhetischen Wandel steht und dessen Werk ein tolles Zeitdokument ist. Juergen Teller, meist in Sporthose, Turnschuhen und T-Shirt unterwegs, lebt und arbeitet in London. Teller ist dafür verantwortlich, dass heute fränkische Schrankwände und kleinbürgerliche Wohnstuben durchaus mit Luxus-Prêt-à-porter in Verbindung gebracht werden und auch in den angesagtesten Galerien von Los Angeles bis Peking ihren Auftritt haben können.
Vivienne Westwood No.3, London 2009; Bild: Juergen Teller
Eigentlich begann das 21. Jahrhundert, zumindest in der Fotografie, schon für meine Generation in den Neunziger Jahren. Durch Magazine wie i-D, The Face oder Arena bekamen wir langsam aber stetig eine neue Ästhetik beigebracht, die sich näher am wirklichen Leben orientierte und auch durchaus banale und kleinbürgerliche Aspekte mit Mode und Lifestyle verband. Promiporträts mit „Trainspotting“-Atmosphäre, Helmut-Lang- oder Marc-Jacobs-Kleider vor der Schrankwand im bürgerlichen Wohnzimmer – ein neuer spannungsreicher Chic durchdrang die sonst eher steril inszenierte Modefotografie. Obwohl natürlich aussehend, wurde dieses zwar auch fein arrangiert und der „Ugly Chic“ nicht dem Zufall überlassen, aber was Fotografen wie Peter Lindbergh begonnen hatten, reichte der nächsten Generation nicht aus und so brauchten i-D und Co. revolutionärere und radikale Sichtweisen, um sich auszudrücken.
Insbesondere in London formte sich eine Reihe von Fotografen, die aus der deutschen Provinz kamen die bis heute federführend für diesen Stil stehen: Wolfgang Tillmans aus Remscheid und vor allen Juergen Teller. Juergen Teller, geboren 1964 und aufgewachsen in Bubenreuth bei Erlangen, studierte an der Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie in München, bevor er 1986 nach London zog. Als einer der wichtigsten Fotografen seiner Generation, steuert er seit Beginn seiner Karriere in den späten 1980er Jahren.
Latimer Road frog shoot; Bild: Juergen Teller
Juergen Teller wurde 1991 bekannt, als er die Band Nirvana auf ihrer Nevermind Releasetour begleitete und seine sensiblen Fotos des schüchternen Frontmannes Kurt Cobain veröffentlicht wurden. Kurt Cobain, der eine Ikone des Grunge-Stils wurde, den Marc Jacobs aufgriff und bei Perry Ellis erstmals in einer Kollektion kultivierte, was zu seinem Rausschmiss führte und der Gründung seines eigenen Labels wurden zu einem wichtigen Meilenstein in Tellers Werdegang. Porträts und Modekampagnen – für beides steht Teller mit seiner Stilistik.
Vielbeachtete Werbekampagnen für namhafte Label wie zum Beispiel Céline, Louis Vuitton, Marc Jacobs und Vivienne Westwood schoss er über Jahre. Sie bilden einen erfolgreichen Kurs entlang der Schnittstelle von künstlerischer und kommerzieller Fotografie. 1998 bis 2009 prägte er mit den Kampagnen für Marc Jacobs in enger Zusammenarbeit mit ihm die wichtigste Entwicklungszeit des Designers und seines Labels, der sich wiederum durch den Mut des Fotografen stark sich an Tellers Sichtweise in seinen Kreationen orientierte.
Tellers Stilmittel ist das Porträt: Es gelingt ihm, mit einem sehr eigenen Gespür für Personen, Situationen, Milieus und Klischees unmittelbare, manchmal scheinbar einfache Bildkompositionen zu schaffen. Sie vermitteln eine gewisse Beiläufigkeit, die sich aber bei näherer Betrachtung als ausgewogene Bildkomposition und bewusste künstlerische Konzeption erweist. Gezielte Brüche von Sehgewohnheiten und Erwartungen sind einigen Arbeiten implizit und idealisierende, schönende oder verklärende Bildstrategien liegen ihm fern. Seine Bilder scheinen an die Substanz des Motivs zu reichen und die Visualisierung einer nicht perfekten Schönheit steht im Vordergrund.
Kim Kardashian; Bild: Juergen Teller
Die Abgebildeten werden gewissermaßen „entmystifiziert“, indem Teller private, intime Momente scheinbar am Rande des öffentlichen Geschehens festhält. Teller macht Dinge zu ‚Stars‘, die selten so gekonnt und metaphorisch dargestellt werden: Das opulente Buch „Eating at Hotel Il Pellicano“. „Juergen Teller, Antonio Guida, Will Self“ zeigt Aufnahmen, für die Teller 2013 die Kreationen des Sternekochs Antonio Guidas in dem toskanischen Hotel in Szene setzt. Dieses künstlerische Prinzip überträgt er auch auf die nicht kommerziellen Arbeiten: „Was mich letztlich einzig und allein interessiert, ist die Interaktion zwischen zwei Menschen. Einer von denen bin ich, der Fotograf. Und wenn mich diese Begegnungen berühren, dann ist es gut.“
Tellers Neugierde und ‚Spielfreude‘ und vor allem seine Haltung, mit großer Selbstverständlichkeit Dinge und Motive zusammenzubringen, die scheinbar nicht zusammengehören, zeichnen viele Arbeiten aus. So gibt es eben Aufnahmen von Modellen im heimatlichen Haus oder von „Tante Gisela“ und Catherine Deneuve, die in Paris gemeinsam vor der Tür eine Zigarette rauchen.
„Enjoy Your Life!“ ist eine Ausstellung, die unbedingt sehenswert ist und sicherlich auch die Sehgewohnheiten einer neuen Generation herausfordern wird, sich immer weiter zu entwickeln. Der Facettenreichtum von ihm und der Spaß an der Arbeit ist das, was den Besucher inspiriert und die Ausstellung erleben lässt: „Es ist einfach die Art, wie Du die Dinge siehst, und wie gewisse Dinge Dich neugierig machen und Dich einfach mitreißen!“ – und das tut diese Ausstellung ohne Zweifel! Grandios, wie ich finde …
Enjoy Your Life!
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Enjoy Your Life! Läuft noch bis zum 3. Juli 2017.
PeterKempe
2. Mai 2017 at 16:44Auch wenn Horsts Lieblingsbild Frau Kardashian ist … es gibt bei Juergen Teller auch so viele tolle leise Facetten !
vk
3. Mai 2017 at 12:05tatsaechlich konnte ich juergen teller und wolfgang tillmans nie verstehen. verstehen vielleicht schon, aber emotional beruehrt es mich nicht. es laesst mich kalt.
sicherlich hat jede zeit das recht auf neue sicht. und es ist auch nett, dass es neben avedon, newton und lindbergh auch noch anderes gibt, und auch das darf und muss gehypt werden. nur beruehren tut es mich nicht.
irgendwie kriecht da son armuts-chic in die welt, der mir aehnlich quer sitzt, wie dir, peter, der balenciaga-ikea-beutel.
verstehen kann ich s wohl. aber: it ain’t my revolution. das war auch schon nirvana nicht. wirklich nicht.
dennoch: teller und charlotte rampling ist eine tolle serie. und die westwood irgndwie auch.
Horst
3. Mai 2017 at 19:40Hallo mein Lieber, ich hab gerade gesehen, dass einige Kommentare von Dir im Spam gelandet sind – das tut mir leid, ich schalte aber alles frei, sobald ich den Ordner kontrolliere 🙂
Lag an dem bösen F-Wort 😉
Siegmar
3. Mai 2017 at 23:54gruselig das Foto der Kardashian, toll das Foto der Rampling