© Alessandro Garofalo
Wir blicken zurück und starten nach vorn – so oder so ähnlich das Motto von Kim Jones, der am Samstag seine Dior-Men Herbst-Kollektion 2023 gezeigt hat: „Mein Interesse am Alten Ägypten gilt den Sternen und dem Himmel. Es ist die Faszination für die Antike Welt und die Parallelen zum Heute. Für das, was wir immer noch pflegen und auch jetzt noch aus der Vergangenheit lernen“, wie der Designer erklärt. Genau darin würde die Verbindung zu Christian Dior bestehen. „Durch seine Faszination für Symbole, wie der Stern, und Aberglauben, die in seinem Leben und Schaffen eine konstant wichtige Rolle spielen. Sowohl in der Kollektion als auch bei der Show geht es um die Idee, sich von den Sternen leiten zu lassen, und darum, in welch unterschiedliche Richtungen dies führen kann. Es dreht sich darum, wie die Vergangenheit die Zukunft oder eine damalige Vorstellung von der Zukunft formt.“ Das klingt, in Bezug auf vergangene Kollektionen des 49-jährigen Briten, vergleichsweise mystisch: Waren es sonst Kooperationen, mit denen Jones für Furore sorgte (Zusammenarbeiten mit Künstlern wie Raymond Pettibon und Kaws gelten als wegweisend für eine ganz neue Ausrichtung für Dior), ist es dieses Mal das gewaltige Erbe von Monsieur Dior, dass die stilistische Marschrichtung vorgab. So waren es dann auch genau 75 Looks, die Jones im 75. Jubiläumsjahr des Luxuslabels vor den Pyramiden von Kairo zeigte. Also war es ein Best-of Christian Dior? Nein, wenngleich eine Reminiszenz an die Entwürfe des Designers, die gemeinhin als legendär gelten.
© Alessandro Garofalo
Wie ein Herbstabend in Gizeh, wenn die Sonne hinter der großen Pyramide untergeht, wird die Kollektion beschrieben. Das bezieht sich überwiegend aber auf die Stimmung, die transportiert wird und glücklicherweise eben nicht Klischee-beladen auf die Kleidung. Wenn sich das Licht verändert und die Nacht einbricht, zeigen sich am Himmelsfirmament die Sterne. Apropos Stern: Ein Symbol für das Haus Dior, Monsieur Dior stolperte in der Rue du Faubourg Saint-Honoré über seinen ,Glücksstern’ – ein Symbol, das ihn davon überzeugte, dass es sein Schicksal war, sein eigenes Haute-Couture-Haus zu gründen. Ein Haus, dass häufig von seinem Glauben an die Astrologie geleitet wurde.
In der Kollektion zeigt sich dann folgerichtig die gesamte Palette von Farben, die einem in den Sinn kommen, wenn man an den Wechsel von Tag zur Nacht denkt, zumindest dann, wenn man zufällig in Gizeh ist. Viele Abstufungen von Beige und Grau, immer mit einem Hauch von Sonnenuntergang dazwischen, der durch klares Gelb oder Rot symbolisiert wird. Jones spannt den Bogen im Laufe der Präsentation dann vom nächstgelegenen Stern bis hin zu Galaxien, die, Lichtjahre entfernt, nur durch ein Teleskop betrachtet werden können. Dahinter stehen die Prinzipien und die Strenge der Dior-Archive: Alte Entwürfe geben der Gegenwart der Herrenmode Form, wobei der Fokus auf den Schnittmustern liegt. Die Kollektion greift die Erfahrungen der Vergangenheit auf: Feminine Schneiderei wird ins Maskuline umgewandelt, was die Entwürfe sehr heutig macht. Bei der Oberbekleidung werden Couture-Veredelungen wie aufwendige Stickereien mit technischen Zweckmäßigkeiten kombiniert, wodurch Luxus ein stückweit gebräuchlicher wird.
Wie bei einer Überlappung der Geschichte sind auch die Kleidungsstücke aus unterschiedlichen Texturen übereinander geschichtet. Outerwear und Accessoires bilden die letzte, schützende Lage, ähnlich einem Kokon, der den Träger vor einer ungewissen Zukunft schützt.
Der einzige Wermutstropfen ist die Aufzeichnung: War es beim Live Stream klassische Musik, die den Zuschauer elegant durch die 20 Minuten führt, schlägt einem aktuell Großraum-Techno entgegen. So unverständlich wie das Meisterwerk des Pyramiden-Baus …