(Thomas Kuball)
Tag X der Quarantäne hier bei uns in Frankreich. Und damit meine ich nicht den 10. Tag. Ich habe nach dem 2. oder 3. Tag aufgehört zu zählen, da mir bewusst war und ist, die Zeit der Isolation wird andauern.
Die Franzosen sind Deutschland einen Schritt voraus und laut meiner Ansicht ist das richtig so. Ein Land, eine Regelliste, an die sich alle Bürger zu halten haben, um sich selbst und andere zu schützen. Und keine „Empfehlungen“ wie in Deutschland.
Auf die Schließung der Restaurants, Cafés, Geschäfte folgte auf dem Fuße die Ausgangssperre. Ab Mitternacht von Dienstag auf Mittwoch vor zwei Wochen. Wie pünktlich und genau das begann, haben wir unmittelbar erlebt. Peter war noch für einen „eventuell letzten bezahlten“ Job nach Zürich geflogen und auf dem Heimweg vom Flughafen Marseille Marignane. An genau dem Abend fuhren wir um 23:55 in unseren französischen Heimatort Saint-Rémy-de-Provence (keine 10.000 Einwohner) ein und wurden schon von der Gendarmerie abgehalten, befragt woher, wohin, und ermahnt schnell nach Hause zu fahren, es würde die Ausgangssperre unmittelbar bevorstehen! Ich war wahrlich deeply impressed, dennoch keinesfalls verwundert, in dem Wissen, dass die Gendarmerie hier eher streng ist, eine absolute Autorität darstellt (nicht zuletzt, weil sie dem Militär gleichgestellt ist), mit der ist nicht zu scherzen oder gar zu diskutieren ist.
Somit sind wir mit dem Bewusstsein der Kontrolle, im wahrsten Sinne des Sprichwortes „Es ist fünf vor zwölf!“, in die Quarantäne gezogen.
Thomas Kuball
Ab sofort hieß es Treffen mit dritten, außer mit denen in einem Haushalt gemeinsam lebenden Personen, sind untersagt und beim unvermeidlichen Kontakt mit andern (z.B . im Supermarkt etc.) mindestens 1,5 Meter Abstand halten.
Dazu hat man eine „Attestation“, einen Ausgangsschein, mit sich zu führen, sobald man sein Zuhause verlässt, ob auf dem Weg zum Bäcker, Gemüseladen, Supermarkt, Apotheke, zur Arbeit, Post, zum Arzt, zu öffentlichen Behörden oder auch wenn man sich körperlich betätigen möchte, sprich Sport macht oder auch nur spazieren geht. Bitte entsprechend das Formular ausdrucken oder notfalls auch handschriftlich aufsetzen, ankreuzen wohin man auf dem Weg ist und den Ausweis nicht vergessen! Abmahnungen liegen zwischen 35 und 135€.
Mein Gott, ich brauche auf dem Rad keine 5 Minuten bis zum Bäcker und wenn ich alleine meine Jogging- oder Fahrradrunden durch die weitläufigen und menschenleeren Alpilles drehe, dann sieht man doch was ich mache – hole Croissants, Baguette oder mache eben Sport. Dazu möchte ich ja auch die Umwelt schonen und nicht für solche Kinkerlitzchen jedes Mal einen neuen Zettel ausdrucken und -füllen.
Thomas Kuball
Weit gefehlt der Gedanke. Ein paar Tage später geriet ich doch tatsächlich auf einer meiner geliebten kleinen Tour de France im Nachbarort in eine Polizeikontrolle: Wohin des Wegs? Ich drehe ein Radrunde, das ist doch erlaubt. Nein, Fahrradfahrer als Sport ist verboten. Allez! Sofort und ohne Umweg oder Schlenker ab nach Hause! Oder wie heißt es bei Monopoly: Gehen Sie ins Gefängnis, ziehen Sie nicht über Los, ziehen Sie nicht DM 2.000 ein!
Puh, auch wenn ich mir eigentlich keiner großen Schuld bewusst, ok, ok, kein Ausweis, kein Ausgangsschein dabei, also großes Glück gehabt, bin ich auf dem Reifen umgekehrt und zurück über den Berg gen Hafen Heimat.
Diesen sicheren Hafen schon in Sichtweite, keine 200 Meter vor unserem Haus, eine weitere Kontrolle. Leider waren die beiden Gendarmen mir nicht so wohl gesonnen wie der im Nachbarort: Name, Anschrift, Geburtsdatum, Geburtsort, Familienstand. Und keinen Ausweis dabei?!
Da nütze auch mein „Votre collègue m’a dit déjà…“. Und diskutieren mit französischen Flics? Wir wir wissen, das lässt man besser, wer dabei den Kürzeren zieht ist vorprogrammiert. Mahnbescheid wird zugeschickt und sollte ich nochmals „erwischt“ werden – 1.500€ Strafe. Seither geh ich kaum noch bis zum Mülleimer ohne Ausgangsschein
Thomas Kuball
Schränkt das mein Leben nun ein, dass ich die Regeln mehr beachte und mich an sie halte? Nein, wenn ich ehrlich bin nicht! Klar macht es nichts einfacher oder leichter. Aber ich halte mich einfach an diese Auflagen und fühle mich null beschnitten in meinen Rechten, in meiner Freiheit. Wahre Freiheit beginnt im Kopf, sagt Peter immer, wie recht er doch damit hat! Und bis ich den Käfig wieder öffnen darf leben wir hier auf unserer Scholle mit kleiner Terrasse zurückgezogen und so abgeschieden von allem und vor allem von allen.
Na klar fehlen auch mir die offenen Cafés, Restaurants, Geschäfte, die das Leben ausmachen und es schmerzt mein Herz, wenn ich die ansonsten so beleben Straßen und Plätze nun menschenleer erlebe und natürlich sehne ich mich danach mich mit Freunden irgendwo dort draußen oder auch privat Zuhause zu treffen.
Aber es ist gerade ein neues Zeitalter angebrochen, das sollte uns allen bewusst sein. „Wir befinden uns im Krieg“, hat unsere Präsident Macron gesagt, wie recht er hat. Und in Kriegszeiten gelten andere Regeln. Notfalls auch welche, die einem gewisse Freiheiten und Rechte nehmen, aber die zum Überleben vielleicht notwendig sind.
Thomas Kuball
Natürlich bin ich nicht naiv oder dumm. Mit ist schon klar, auf was für eine wirtschaftliches Katastrophe die Welt gerade zusteuert, wie unvorstellbar anstrengend es sein muss als sozial benachteiligte Familie vielleicht zu fünft auf 65 qm in der Périphérique von Paris oder Lyon zu leben. Und sicherlich wird es auf Sicht auch eine große Anzahl an Jobs kosten. Auch ich wache nachts auf und denke darüber nach wie und wann alles wohl „normaler“ weitergehen wird.
Vielleicht bin ich doch naiv und dumm. Ich wüsche mir nichts mehr, als dass die Menschheit aus dieser Apokalypse erwacht, mit einem neuen Bewusstsein, einer anderen Einstellung, einem besseren Miteinander und das natürlich so schnell und so gesund wie nur irgend möglich.
Bis dahin lautet die Devise bei Peter und mir: positiv und optimistisch bleiben. Wir sitzen alle im gleichen Boot. Manch einer gegen den Strom. Wir mit dem Strom, ohne uns dabei lemmighaft zu verhalten, es gibt derzeit gewissen Regeln und Auflagen, an die wir uns bitte alle halten und die wir befolgen müssen.
Passt auf euch auf, bleibt gesund und so gut und viel es nur geht Zuhause. Im Sinne der Menschheit.
Ps: Bin übrigens bei der letzten Fahrt zum Bäcker gleich zweimal kontrolliert worden. Aber kein Problem, hatte ja alles dabei.
Julian
30. März 2020 at 22:01Mein Lieber,
Was für ein ehrlicher und guter Beitrag in einer Zeit, wo man gar nicht mehr so richtig einschätzen kann, wo oben und unten ist. Passt gut auf euch auf und bleibt gesund. Das Bild mit dem Boot habe ich aktuell auch immer im Kopf, besser kann man die aktuelle Situation nicht benennen.
Freue mich über eine Fortsetzung deiner Gedanken! Grüße an Peter, Julian
JayKay
31. März 2020 at 15:07Danke für die Impressionen!