Herzlich willkommen zur zweiten Runde des Bloggerkarussells. Heute sitzt Jana von „Boris Mom’s Style“ drinnen und fordert auf:
Es ist nicht Prado, nicht MoMa, nicht Louvre – es ist das Museum für Kommunikation in Berlin.
Ach und wo doch das Thema Demokratisierung in aller Munde ist: Das ist ein demokratisches Museum. Kein langes Anstehen, keine überteuerten Eintrittspreise, kein hochgestochenes Philosophieren über die veränderliche Wirkung des Sonnenlichtes auf Objekte zu verschiedenen Tageszeiten (pssst: Monet). Und das Wichtigste: Alle dürfen mitmachen! Das ist demokratisch.
Es ist ein nützliches Museum: Man darf und soll hier alles anfassen. Aber vor allem ist es ein Museum, dessen Themengebiet uns alle betrifft – die Kommunikation.
Im Lichthof des Museum fahren drei lustige Roboter umher und pöbeln die Besucher hilfsbereit an. Nur montags haben sie frei und schmieden bei geschlossenen Museumstüren Pläne, die Weltherrschaft an die Maschinen zu reißen.
Im Museum stehen so dicke Dinger wie die Postkutscheninstallation, das Rohrpostmodell zum Ausprobieren oder steampunkig anmutende Geräte (die man wunderbar zeichnen kann).
Man kann sich in Cocoon-Sesseln beschallen lassen (oben links) oder auf riesigen Bildschirmwänden die TV-Geschichte der letzten 50 Jahre Revue passieren lassen. Das Beste sind aber die Wechselausstellungen. Zurzeit laufen im Kommunikationsmuseum gleich zwei Wechselausstellungen: Fashion Talks und Fashion Food. Zur letzteren möchte gar nicht viel sagen. Außer einer gewissen ästhetischen Komponente bleibt mir der Sinn von Nahrungsmitteln als Kleidung verschlossen. Macht Euch selbst einen Eindruck bitte schön:
Ich würde sagen: Was von der Lasagne übrig blieb. Fetischkleidung aus Teig und Fleisch.
Haut Cuisine oder Antipasti-Variationen.
Im Ernst, worüber ich hier eigentlich erzählen wollte, ist die zweite Ausstellung, nämlich Fashion Talks, die mich verdammt zum Nachdenken gebracht hat. Wenn Ihr glaubt, eine Fashionausstellung habe in einem Kommunikationsmuseum so viel verloren wie Marmelade auf einem Erdnussbutterbrott (eine grässliche Kombi, wirklich), dann irrt Ihr Euch. Wir kommunizieren mit unserer Kleidung, noch bevor wir überhaupt den Mund aufmachen. Jeans oder Anzug, Stilettos oder Turnschuhe, Echtschmuck oder Bijouterie? Wie kombiniert? Label vs. No Name. Schlag oder Röhre? Wir sehen an der Kleidung der Menschen in der U-Bahn, ob sie berufstätig sind und erahnen die Branche. Wir können an ein paar Initialen auf der Brusttasche oder Tasche erkennen, wie gut jemand verdient. Wir sehen an den Stiefeln und der Jacke die politische Gesinnung und wechseln vorsichtshalber den Wagen. Das alles kann subjektiv richtig und objektiv völlig falsch sein. Aber die Message ist gesendet, einen ersten Eindruck gibt es kein zweites Mal.
Fashion Talks deckt sehr anschaulich und interaktiv Themen wie Uniformen, Modemarketing, Jugend- und Subkulturen, Innovationen und Trends ab. Es gibt z.B. Anträge auf die Eintragung einer neuen Szene beim Amt für Jugendkulturen. Ich war kurz versucht, den gemeinen Blogger (blogus vulgaris) als Unterkategorie des gemeinen Kreativen als eine kulturell-modische Erscheinung anzumelden. Ich schätze dieser Stil erfüllt alle Voraussetzungen, um in das Verzeichnis der Subkulturen aufgenommen zu werden. Individualität und Differenzierung ist bei genauer Überlegung paradox. Man setzt sich mit seinem Stil von der großen Masse ab, um in der kleinen Masse der Leute mit demselben Stil unterzugehen.
Auf diese Micky Maus Sneakers von Adidas (oben) würde ich eine Belohnung aussetzen, so toll sind sie. Hat jemand sachdienliche Hinweise zum Kauf? Die Jeans ist kein Prototyp der ersten Red Bull Modekollektion, sondern ebenfalls Teil der Ausstellung. Mit dem Gandhi-Shirt im Warhol Design wäre ich dann auch komplett angezogen, aber ich habe mir geschworen, keine fremden Männer an meinen Körper zu lassen:
Fashion Talks analysiert anhand von Jeans, Camouflage und Tartan ihren historischen Ursprung und demonstrieren, wie Unterschiede im Design oder Farbe zu neuen Codes werden und Bände sprechen.
Mode und Zeitgeschehen sind aufs Engste miteinander verknüpft. In der Ausstellung gibt es eine riesige Tafel, die anhand von Illustrationen in sogenannten „Style Stones“ die wichtigsten modischen und sozialen Veränderungen zeigt. Aber haben wir nicht alles erreicht? Korsetts sind nur noch eine Zierde. BHs zu verbrennen, setzt kein Zeichen. Wir müssen weder einen Clan, noch eine soziale Zugehörigkeit markieren. Wir sind nicht nur sozial, sondern auch modisch zwischen den Geschlechtern, mopsen einander die Kleidungsstücke und kreieren scheinbar Trends wie den Boyfriend-Look. Uns ist langweilig, weil wir alles haben. Wir kriegen die Krise, weil wir alle gleich sind und in Wirklichkeit doch anders sein möchten, als alle anderen. Individueller. Besonderer.
Wir ziehen ein Holzfäller-Hemd an und glauben, dadurch superlässig rüberzukommen. Wir vergessen, dass Tartans fast 300 Jahre alt sind, eher politisch, als modisch sind und jährlich in Kollektionen verarbeitet werden. Wir ziehen Tarnjacken an, um als Zivilisten den Alltag zu bestreiten und höchstens in einen Kampf zu ziehen: Die Arbeit. Wir zahlen für Jeans halbe Monatsgehälter und kehren so den Spieß um, indem wir für die Workwear arbeiten und nicht anders rum.
Mich irritieren Streetstyle-Blogs. Was tun diese Menschen? Leben sie auf der Straße? Scheint bei ihnen immer die Sonne und es gibt keinen Hundekot? Was sollen sonst die nackten Beinen in 15 cm Stilettos zum Winterparka? Ich habe mal die Aussage gehört, The Sartorialist sei mittlerweile so authentisch wie eine Voguestrecke. Das ist was Wahres dran. Warum gibt es so oft dieselben Menschen auf den Streetstyle-Fotos? Treffen die Fotografen rein zufällig immer dieselben hyperstylischen Leute oder bitten sie sie gezielt vor die Linse? So viele Szenen, so viele weichgespülte und kommerzialisierte Stile. Streetstyle ist eine Lüge und wir sind Modeopfer.
Es stellt sich mir immer öfter die Rikola-Frage „Wer hat’s erfunden?“. Wir eignen uns fremde Attribute an, ohne um deren ursprüngliche Bedeutung zu wissen. Wir imitieren Imitatoren und kennen nicht einmal ihre Namen. Wir tragen Band-Shirts und kennen kein einziges Lied dieser Band. Wir vermischen wahllos Subkulturen und tragen heute Biker- und morgen Schlaghosen. Wir tragen Kassengestelle ohne einen Dioptrienausgleich nötig zu haben. Wir warten in Berlin vor einem schwedischen Modehaus auf eine italienische Kollektion, die in China hergestellt wird. In einer modernen Gesellschaft können wir nur noch Modeopfer sein. Alle anderen Opfer wurde schon vor uns gebracht, oder? Wo gehen wir hin? Wirklich authentisch wirken auf mich eigentlich nur Senioren, wie sie Ari Cohen fotografiert. Sie folgen keinen Trends und haben auch keinen Ehrgeiz diese zu kreieren. Sie haben Moden kommen und gehen sehen. Sie wissen, dass das Neue immer das Alte ist.
Für eine kleine Stärkung sorgt Sarah Wiener mit ihrem Museumscafe.
Entry/Exit sind klassischerweise „Through the Giftshop“, einem netten kleinen Museumsshop, aus dem ich noch nie mit leeren Händen rausgekommen bin.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 26. Februar. Workshops, Lesungen und Vorträge runden die Ausstellung super ab. Im Januar klingen für mich z.B. „Stilettoholic“ und „Wer schön sein will, muss leiden“ sehr interessant und wenn nicht, schleiche ich mich zu der Wienerin auf einen Kaffee hinaus.
Auf der Suche nach meiner eigenen Identität habe ich die Moden Grunge, Hip Hop und Techno mitgemacht. Ich war kurzzeitig Snob, Tom Boy, Hippie und Sexy Lady. Ich färbte mir die Haare, hatte 5 Tage lang Rastazöpfe, piercte den Nabel, träumte von Tattoos und einer anderen Hautfarbe. Ich bereue nichts davon. Es war ein modischer Entwicklungsprozess im Rahmen meiner Selbstfindung und er ist noch lange nicht abgeschlossen. Meine modischen Experimente, Gedanken und sonstigen Kram halte ich auf meinem Blog „Boris Mom’s Style“ fest. Ich würde mit meinem Blog gern die kleinste Frauenzeitschrift der Welt sein und versuche nichts zu bringen, was bereits zig andere Modeblogger geschrieben haben. Deswegen führen mich die Weiten und Möglichketen des Internets oft ins Ausland. Ich bin tatsächlich Boris Mom und arbeite in einem Verlag. Ich bin chaotisch und cholerisch. In meinen Adern fließt Kaffee. Ich mag Katzen, Micky Maus und rohen Fisch. Meine Lieblingsinsekten sind Libellen und Bienen, vor allen anderen habe ich Angst. Meine Mutter denkt, ich habe einen doofen Modegeschmack. Ich habe ein Faible für Russland und Israel. Ich mag alte kitschige Ladies wie aus „Advanced Style“. Ich liebe Madonna.
Das Blog ist die Legitimation meiner Hobbys Onlineshopping und Bummeling sowie Seitenausreissing aus Modezeitschriften.
siegmarberlin
29. November 2011 at 15:16sehr, sehr beeindruckend, ich habe den Artikel mit Begeisterung gelesen. Die Auswahl der Gastauroren ist gut gewählt.
Die Ausstellung ist sehr empfehlenswert, und das weniger bekannte Museum für Kommunikation ist immer ein Besuch wert, allein wegen des Gebäudes lohnt es sich schon.
Daisydora
29. November 2011 at 16:25Ich mag den Artikel und die originellen Gedankengänge sehr gern, muss gestehen, dass ich beim ersten Lesen dachte, das ein oder andere wäre schön gewesen, wenn es mir auch mal eingefallen wäre :-))
Danke und Kompliment, Jana … und du weißt ja, wie toll ich deinen Blognamen finde …
thomas
29. November 2011 at 17:37amüsanter kurzweiliger artikel, gute blogentdeckung
peter kempe
29. November 2011 at 17:45das museum ist super und die gastaustellung ist auch toll.der artikel gefällt mir super und ich muss sehr schmunzeln aber sicherlich liebe jana hast du nicht größe 44 sonst könntest du meine micky maus sneaker gern mal zum ausgehen leihen…vielleicht ne dicke schaffell sohle???super hab mich über den beitrag sehr gefreut
blomquist
29. November 2011 at 17:48Ein schöner Artikel-
da werde ich direkt mal Janas Blog durchforsten….
Carrie
29. November 2011 at 17:54sehr unterhaltsamer Gastblogbeitrag und beim nächsten Berlin Besuch werde ich das Museum mal näher ansehen….und ich finde Deinen Modegeschmack nicht doof 🙂 der Kermitschal ist toll !
Modepilotin
29. November 2011 at 18:23Nice.
Jana Goldberg
29. November 2011 at 18:59Ich freue mich riesig und innig, dass es Euch gefällt. Liebste Grüße. Jana aka Boris Mom
ewg
30. November 2011 at 00:03Well done! gefällt!