(Bild: Stephane Gallois)
Wenn man heute von der fortschreitenden Langeweile in der Mode, von Uniformität bei den Luxuslabels spricht, hat man die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn das, was Karl Lagerfeld für Chanel am 6. Dezember im Pariser Hotel Ritz präsentierte, sprengte jede Vorstellungskraft. Die Kollektion belegt par excellence, dass Fashion Spaß machen kann und die kühnsten Träume von Modefans wahr werden lässt.
Bild: Courtesy of Chanel
Dass Lagerfeld eines der berühmtesten Hotels der Welt, den „Vater aller Grandhotels“, das 1898 von César Ritz gegründete Ritz an der vornehmen Place Vendôme, als Ort wählte, um die Métiers d’Art Kollektion von Chanel zu zeigen, hat natürlich einen Grund. Coco Chanel wohnte von 1934 bis zu ihrem Tod im Januar 1971 im Ritz, das den Hintereingang zu der Straße hat, an der sie seit 1921 ihr Couture Haus betrieb. Wenn sie arbeitete, konnte sie mittags ihr Zimmer verlassen und war sofort dort, wo sie meist bis spät in den Abend hinein ihre Kollektionen entwarf und an ihrem Mythos feilte. In ihrem Apartment über dem Geschäft an der Rue Cambon verbrachte sie den Tag, zum Essen und Schlafen ging sie allerdings ins Ritz.
Auch der Dekor und die Ausstattung, wie die Gobelins, die üppigen Louis XV.-Möbel oder die Farben der bestickten Kissen, flossen immer wieder als Inspiration in ihre Kollektionen ein. Hinzu kommt, dass sich alles, was in Paris an Exzentrikern vertreten war, dort oder in der Bar „Hemingway“ traf. Chanel konnte so sicher sein, alles in diesem Mikrokosmos mitzubekommen – heute würde man es „Trendscouting“ nennen.
Bild: Courtesy of Chanel
Mit der Auswahl des Hotels bringt Karl Lagerfeld auch seine Verbundenheit zu Paris zum Ausdruck, denn für ihn ist das Ritz „der kosmopolitische Ort par excellence“.
Von der Lobby über La Table de l’Espadon, die Terrasse der Bar Vendôme, den Jardin d’Hiver oder die Jardins de l’Espadon bis hin zum Salon Proust spiegelt sich die ganze Geschichte dieses berühmten Hotels wider, geprägt von ihren internationalen Gästen, die hier logierten, zu Mittag aßen, Tee tranken oder dinierten. Karl Lagerfeld lässt diese Atmosphäre mit Paris Cosmopolite perfekt aufleben.
In dieser „Café Society“-Atmosphäre liefen dann, neben Models wie Lindsey Wixson oder Soo Joo Park 20 Prominente über den „Laufsteg“ – darunter Lily-Rose Depp, Alice Dellal, Ellie Bamber, Cara Delevingne, Sistine Stallone und Georgia May Jagger. Die Kollektion, zwar als Prêt-à-porter deklariert, gleicht aber immer mehr einer Prêt-à-Couture, also einer Kollektion, die sehr nah an die Raffinesse der Haute Couture kommt. Der Botschafter des Hauses, Pharrell Williams, sowie Levi Dylan, der Enkel von Bob Dylan, runden das Casting perfekt ab und laufen lässig durch die Salons.
Auffallend: die kleinen Schleier im Haar, aus Rosen geflochtenen Kronen und Schuhe im Stil Richelieus oder Stulpenstiefeln aus Velourslederpatchwork. „Keine Kamelien in dieser Saison, es gibt nur Rosen“, erklärt Karl Lagerfeld.
Bilder: Courtesy of Chanel
Bilder: Courtesy of Chanel
Die Kollektion ließ sich von den „Abendkleidern inspirieren, die die Frauen früher zum Abendessen im Ritz trugen“, so Karl Lagerfeld. Die Silhouette mit der betonten Taille und den langen, ausgestellten Säumen, die hin und wieder die Waden umspielen, ist für ihn extrem pariserisch. Cremeweiß, Weiß, Marine, Schwarz und hier und da etwas Rot sind neben funkelnden Goldnuancen die dominierenden Farben. Viele Kleider wurden inspiriert von der Zeit als Mademoiselle Chanel ins Ritz zog und 1937 Harper’s Bazaar ihre Salons als das „Nonplusultra“ von François Kollar fotografieren ließ. Aber auch die Kleider berühmter Kollegen, wie Paul Poiret, der für seine Frau Denise Goldkleider schuf, inspirierten Lagerfeld zu neuen Kreationen. Ins eigene Repertoire griff er bei den Kostümen der ersten Durchgänge, die seine wahnsinnig aufwendigen Kollektionen der Haute Couture seiner ersten Jahre bei Chanel 1983/84 zitierten.
Bilder: Courtesy of Chanel
Bilder: Courtesy of Chanel
Die Stickereien, die raffinierten Soleil-Plissés, Marabu- und Straußenfedern erinnern an die Kunstfertigkeit der geschickten Hände, die in den Ateliers der Métiers d’Art von Chanel arbeiten.
Innerhalb der Kollektion wurde die berühmte Jacke, die mit Paspeln aus Perlen oder Tweedrosen, Blumenstickereien und Plexiglasknöpfen verziert wurde, neu interpretiert. Die Schultern öffnen sich wie Schmetterlingsflügel oder sind mit Epauletten mit Kristallstickereien geschmückt. George Cukors Film „Die Frauen“ von 1937 lässt grüßen …
Die Jacke, durch zwei Fransentaschen geteilt, ist mit einem Offizierskragen sowie mit weißem Trompe-l’oeil-Kragen und Trompe-l’oeil-Manschetten versehen und wird zu einem Wickelrock getragen, dessen Saum unterhalb des Knies endet. Andere sind mit Lederdetails, wie zum Beispiel einem dreifachen Taillen- oder schmalem Lackgürtel geschmückt.
Bilder: Courtesy of Chanel
Bilder: Courtesy of Chanel
Das Kostüm zeigt differenzierte Gesichter. Es wird zu kurzen schmalen Hosen oder langen Röcken kombiniert. Die Jacke wird zum Spencer und mit Tunika oder Bolero zu einem langen Kleid getragen. Ein Highlight bildet die Smokingversion aus Tweed, zweireihig geknöpft, dazu eine lockere, mit Satinstreifen besetzte Hose.
Weite bequeme Mäntel mit tief angesetzten, schräg geschnittenen Schößen wärmen mit großen Kragen und breiten Revers aus Tweed. Andere sind aus gestepptem oder mit Blumen oder Perlen übersätem Denim. Die kurzen aufgebauschten Capes aus Tweed, Wollfilz, besticktem Denim oder Marabu flanieren Seite an Seite mit gesteppten Daunenversionen. Abendmaterialien und Nacktheit wird gegen dicke Strickschals und große Beanies gesetzt.
Bilder: Courtesy of Chanel
Bilder: Courtesy of Chanel
Luftige Röcke aus Tüll und Lurex in Form von Soleil-Plissés umspielen die Fesseln. Strick steht in dieser Kollektion im Rampenlicht: Ein Pullover hat üppig verzierte Epauletten, eine Jacke mit tiefem Rückenausschnitt ist mit Kaschmir durchflochtenen Stickereien geschmückt, ein weiterer Pullover hat bauschige Ärmel mit aufgestickten Strickmotiven. Eiffelturm-Stickereien aus Strass, wie aus dem Souvenirshop, Schmuck mit den Schlüsseln der Conciergen aus dem Ritz, weiße, an Tanzschuhe erinnernde Lackschuhe – überall blitzt es „très Parisienne“ hervor.
Die Tasche „Gabrielle“ rundet die Silhouette in einer Hobo-Version aus besticktem goldfarbenem Metallicleder oder rotem Tweed ab. Von ultimativer Raffinesse ist die legendäre Tasche 2.55, deren Stickereien eine Anspielung an die Muster der Wandteppiche und Sesselbezüge im Ritz sind.
Bilder: Courtesy of Chanel
In diesem kosmopolitischen Ritz gehen Tag und Abend fließend ineinander über. Ein Hotel ist ein 24-Stunden-Betrieb und schläft nie. Der Anzug aus Chenille-Tweed mit Ripspaspeln trifft auf ein Kleid und ein Cape aus Marabu mit Blättern aus Tüll und Organza. Der über und über mit goldfarbenen Pailletten besetzte Smoking ist genauso passend, wie ein marineblauer Blouson aus Satinleder. Getupften Tüll zieren üppig bestickte Eiffeltürme. „Paris ist ein einziges großes Fest“, scheinen sie sagen zu wollen. Die Kleider schmücken sich mit goldenen Fäden, Schleifen aus Satin oder Samt und besticktem „Crystal Mesh“. Etuikleider sind aus plissiertem Tüll mit gesmokten Streifen oder mit Straußenfedern besetzt.
Bild: Olivier Saillant
Dass eine Modenschau zur Sternstunde wird, haben wir in diesem Fall aber auch dem Soundtrack von Michel Gaubert zu verdanken, der das Publikum mit Rah Bands „Clouds Across The Moon“ und Tacos „Puttin‘ on the Ritz“ kam er nicht nur auf seine eigenen Wurzeln als DJ des legendären „Palace“ zurück, sondern versetzte die Models samt Eintänzern in solche Laune, dass auch das Publikum kaum auf den Stühlen zu halten war. Modenschauen, für die Paris in den Achtziger Jahren weltberühmt waren und nach denen man sofort in den Drugstore an den Champs-Élysées stürzte, um die Platten zu kaufen, kommen einem sofort ins Gedächtnis zurück. Eigentlich fehlte nur noch Pat Cleveland für den perfekten Flashback …
Bild: Olivier Saillant
Karl Lagerfeld hat mit dieser Kollektion nicht nur bewiesen, dass Eleganz und das Zentrum der Modekreation in Paris liegen. Er führte auch vor Augen geführt, warum Mode eine der größten Leidenschaften ist, die uns zum Träumen bringt und dem Publikum ein breites Lächeln auf das Gesicht projiziert. Die Fröhlichkeit in einer nicht ganz einfachen Welt und die Werte, für die das Haus Chanel steht, hat er zu einem berührenden Augenblick gemacht, der voller Optimismus und Stärke erklärt, dass Mode eben doch Sternstunden in vielerlei Hinsicht ermöglichen kann. Eine Kollektion, die, man kann es kaum glauben, zeigt, dass er sich immer wieder steigern kann. Der Standart und Anspruch ist so hoch, dass das Bewusstsein dafür wie eine Ermahnung erscheint, dieses in der Mode niemals zu vergessen, weil es die Existenz der Branche sichert und das, was uns täglich als Besonderes verkauft wird, erscheint einem dann doch als simple Massenbekleidung ohne Seele, wenn man die unfassbare Mühe dieser Looks betrachtet.
„Paris Cosmopolite“ ist eine Hommage an Paris, an das Ritz, an das Handwerk und an die Liebe und Leidenschaft der Frau. Alles vereinigt in den Eigenschaften der Frau, die für die Befreiung ihres eigenen Geschlechts mit ihrem Leben und Werk steht. Coco Chanel hätte sich sicherlich diebisch gefreut an diesem Nikolausabend 2016, wenn sie denn dort gewesen wäre.
Chanel und das Ritz – der Gipfel der Eleganz. Gleichzeitig ist diese Kombination das Synonym dafür, dass auch im 21. Jahrhundert Luxus das Gegenteil vom Gewöhnlichen ist.
andreas
9. Dezember 2016 at 21:34Schöner Text. hat sicher Freude gemacht!
thomash
10. Dezember 2016 at 12:05man liest die sternstunde quasi raus! einfach super! das hotel, die geschichte, das haus und der place vendome als rahmen drumherum – die kombination und fülle verschlägt einem die sprache! aber kempe hat seine sprache zum glück nicht verloren, so dass er uns davon erzählen kann. MERCI!
Horst
10. Dezember 2016 at 15:30Tolle Schau, auf jede Fall – hat Spaß gemacht, das Video zu schauen … Aber: Keine Broschen??? 🙁
PeterKempe
10. Dezember 2016 at 19:10Doch, mit den Schlüsseln der Concierge des Ritz und einer Perle…
Horst
10. Dezember 2016 at 19:42Dann freue ich mich auf den Schlüssel <3
Die Woche auf Horstson – KW 49/2016 | Horstson
11. Dezember 2016 at 20:37[…] ist eine Hommage an Paris, an das Ritz, an das Handwerk und an die Liebe und Leidenschaft der Frau. Peter rezensiert für uns die Métiers d’Art Kollektion von Chanel. 2) Tom Ford über Melania Trump: „Ich wurde vorher schon einmal gefragt sie auszustatten – […]
Siegmar
12. Dezember 2016 at 16:01ganz wunderbar, die Kollektion ist toll ( die Herren nicht so meines ) die Damen famos!