Bild: Chanel
Am Dienstag wurde das Grand Palais in Paris in einen riesigen Couturesalon verwandelt – inklusive 2.500 goldener Stühlen, wie sie seit 100 Jahren in jedem dieser Salons zu finden sind. Aber wurde nicht irgendein Fashionhouse nachgebaut, sondern der Salon von Chanel in der Rue Cambon vor dem Umbau im Jahr 2000, nur eben viel größer. Genau so zeigte zu dieser Zeit Chanel die Kollektionen, damit die Kundinnen die Stoffe und Modelle gut erkennen können. Alle Gäste saßen „Front Row“ und genau dieser Gedanke war die Grundidee von Karl Lagerfeld für die Kollektion Winter 2016/17.
Dabei handelt es sich um eine Prêt-à-porter-Kollektion, die aber, wie sollte es bei Chanel schon anders sein, vor extra gewebten Stoffen und raffiniertestem Handwerk strotze, das es schon eh einer Métiers d’Art-Schau gleichkam …
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93 Looks zeigen, trotz immer kürzer werdenden Abständen der Schauen, die Energie des Teams und deren Kreativität, mehr Modelle als die meisten Modehäuser auf die Reihe bekommen. 90 Models hatten eine immense Strecke durch das Grand Palais zu bewältigen. Die Spiegel, die sich Coco Chanel für ihre Treppe und ihren Salon ausgedacht hatte, taten ihr Übriges und so war im Nu die Atmosphäre zu 100 Prozent Chanel.
Viele Reminiszenzen an die Anfangsjahre Lagerfelds diesmal und die Codes von Chanel aber in einer ganz neuen Optik. Und, wenn auch dezent in Seidendrucken und auf Nylontaschen versteckt, Choupette hat jetzt auch bei Chanel Einzug gehalten …
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Zum Soundtrack von Michel Gaubert und Junior Boys „Big Black Coat“ ging’s mit einer Kombi von Denim und Tweed, die an die Saison Herbst/Winter 1991 erinnerte, los. „Sorbet à la framboise“, wie Karl Lagerfeld selbst sein Pink-Thema nennt, das nicht an Boudoirs erinnert, sondern einen kräftigen Auftritt garantiert. Genau das Thema, das ihn fasziniert, denn Boots mit eingearbeiteten Schnüren dominieren das Defilee.
Materialien, extra entwickelt, wie grobe oder gestickte Tweeds, dominieren als Chanel-Code und werden in unzähligen Varianten gezeigt. Die klassische Chanel-Jacke wird zum Bolero und bekommt mehr Volumen oder wird gleich zum Kleid. Strick bekommt durch inkrustierte Ringe, die im französischen „Rive“ genannt werden, eine völlig neue Optik und werden als lässiger Poncho umgehängt oder als Kombination mit langen Röcken getragen. Überhaupt fallen die Midilängen bei den Röcken, weit schwingende Formen oder plissierte oder eingenähte Faltenröcke ins Auge.
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Doppelreihige lange Jacken, die an Caban erinnern, mit geschlitzten Röcken in flauschiger Flanelloptik als „Outdoor“-Kostüme und die mit dem Rautenstepp das Matelassé der Handtaschen zitieren – 3D ist in vielen Kollektionen das Thema, seit Lagerfeld es im letzten Juli bei der Couture aufgegriffen hat. Der Stepp heißt jetzt „Chesterfield“, weil er an die berühmten englischen Sofas erinnert. Dazu tragen fast alle Models die „Melone“ – eine Adaption von Chanels flachem Hut, der ein bisschen an einen Helm erinnert: „Inspiriert von den Helmen der Scooter Fahrerinnen, aber auf die Codes der Rue Cambon übersetzt“, wie Karl Lagerfeld erklärt.
Taschenmatching zu den Materialien, dazwischen die klassische „2.55“ in bedrucktem Stoff mit Emojis, Choupette und den Kamelien des Hauses in Beige- und Weißtönen oder auch mal eine große Garnrolle an der Kette als Reminiszenz an die Ateliers des Hauses. Mit Schneider-Accessoires spielt Karl Lagerfeld gern: Neben einer ganzen Kollektion im Jahr 2004 bei Chanel hat er schon 1982 bei Chloé Garnrollen, Scheren und Nadelkissen zu Armreifen, Colliers und Broschen verarbeitet. Chanel-Sammler werden dafür sicherlich nur zu gern ab September Schlange stehen …
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Kultcharakter haben auch die großen, ultralangen Perlenketten, die so aussehen, als würden sie keine Verbindung haben und in Kaskaden über den Kostümen, zu Strick und sogar zu Mänteln getragen werden. Malteserkreuze an üppigen Colliers werden mit Strassarmreifen und -ansteckern – auf denen Emojis zu sehen sind – gemischt. Die Tradition verbindet sich immer mit der Zukunft und wird scheinbar wahllos, aber mit Kalkül, gemixt. Gesteppte Parkas in Satin mit breiten, mit Chenille bestickte Stulpen und Schals in XXL-Formaten, große bodenlange Trapezmäntel in kariertem Tweed – jedes Modell strotzt von einer Detailvielfalt, dass ich stundenlang darüber schreiben könnte …
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Dass die Kollektion für jeden aus der Front Row zu sehen ist, wurde von Lagerfeld geschickt erdacht: Es gibt hunderterlei Strukturen zu entdecken, die normalerweise erst im Re-See oder beim zweiten Betrachten wahrzunehmen sind. Klassische, mit Plissees versehende Kleider im Stil der 30er-Jahre, also aus der Zeit, als Coco Chanel auf ihrem Zenit stand, werden mit T-Shirt Oberteilen oder Perlenträgern verjüngt und bekommen einen neuen Look. Weiße „Lace-Dresses“ in fragiler Spiegelnahttechnik wirken wie Traumkleider von modernen Prinzessinnen. Pailletten mit „CC“-Emblemen sind geschickt in die Muster eingearbeitet.
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Trenchcoats werden mit Bouclé gepatcht oder übergroße, lange Popelinemäntel bekommen durch Kellerfalten und Keileinsätze Zweidimensionalität und ungeheures Volumen. Schwarze Lederkleider werden mit Steppungen und Hoodies zu neuen Kostümen und adaptieren Streetwear in den Stil von Chanel. Schlichte „Off the Shoulder“-Pullis werden zu schwingenden Röcken, die mit Zellophan-Streifen in irisierenden Farben bestickt wurden, getragen.
Neben den Boots, die auch zweifarbig und mit Einsätzen aus Stoff gezeigt werden, College Schuhe, die mit Metallabsätzen moderner wirken, wie Karl Lagerfeld beim erklärenden Interview äußert. Grobes wird gegen Feines gesetzt, Sportlichkeit folgt auf Eleganz – etwas, was schon Coco Chanel beherrschte und Lagerfeld immer als Erfolgsrezept der Marke gesehen hat.
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Das Feuerwerk an Ideen und Zitate an viele für Chanel typischer Elemente wird durch das Volumen und den Materialmix zusammengehalten und bildet die Linie der Kollektion, die trotz vielem Gewohnten einen ganz neuen Meilenstein setzt. Klassik hat bei Lagerfeld nicht mehr mit der Einteilung von „Jacke“, „Rock“ oder „Hose“ zu tun. Kleidungsstücke verwandeln sich durch Trompe-l’œil-Effekte und können rund um die Uhr getragen werden.
Das Kleine Schwarze zeigt sich mit Schleifen und eingelegten Falten und wird mit Leder
Schnüren kontrastreich unterbrochen. Reichlich bestickte Plastronkleider aus gewaschenem Satin und Lamékleider runden die Kollektion für den Abend ab.
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Karl Lagerfeld und der kleine Hudson Kroenig im kleinen Sherlock-Holmes-Tweedmantel als Abschluss in dem imaginären größten Chanel Couturesalon im Grand Palais beendeten eine Herbst/Winter-Kollektion, die sicherlich eines ist: 100 Prozent Chanel. Und es konnte sich keiner beschweren, dass er nicht zusammen mit Pharrell Williams und Inès de la Fressange in der ersten Reihe saß. Aber die Kollektion hätte sicherlich auch aus der achten Reihe gefallen …
Tim
10. März 2016 at 12:21Nicht mein Fall, aber schön dass Willow Smith keine Erwähnung findet 🙂
Siegmar
10. März 2016 at 13:57ich find´s klasse, aber wer ist Willow Smith ?
PeterKempe
10. März 2016 at 15:26@Tim Mir geht’s in der Regel mehr um die Mode und ein Bild davon wiederzugeben! Dass Prominente heute in jeder Modenschau sitzen, ist ja ein normaler Zustand und deshalb leg‘ ich da nicht so gern das Hauptgewicht drauf. Außer sie sind liebenswert und sympathisch, wie im Fall von Pharrell Williams, der jedes Mal, wenn man auf ihn trifft, sehr sehr freundlich und bescheiden auftritt.
Die Woche Auf Horstson – KW 10/2016 | Horstson
13. März 2016 at 17:09[…] Annette Messager gabs am Mittwoch. 4) Peter nahm letzte Woche in der Front Row bei Chanel Platz: Front Row Only und Chanel für den Mann sind eine tolle Lektüre für heute! Viel Spaß & […]