(Chanel Herbst-Winter 2021-2022; Bild: Inez & Vinoodh)
Im Herzen von Saint-Germain-des-Prés wurde die von Virginie Viard entworfene Chanel Prêt-à-porter-Kollektion für die Herbst-Winter-Saison 2021-2022 präsentiert.
Das Restaurant und Nachtklub Castel – ein Ort, der schon eng mit dem Leben von Karl Lagerfeld verbunden war und der seine gesamte Pariser-Zeit in diesem Stadtteil lebte – bildete die Kulisse von dem von Inez & Vinoodh konzipierten Film, der die Kollektion weltweit online enthüllte.
Auch diesmal fand die Pariser Modewoche online statt und nicht als Publikumsshow. Dass man erstmals außerhalb des Grand-Palais präsentiert, hat nichts mit der Pandemie zu tun, sondern stand seit Jahren fest. Das Grand-Palais wird 4 Jahre umgebaut und renoviert und ist, unter anderem Dank der Donation von Chanel, seit Februar geschlossen.
Der Club Castel bildet also einen intimen Rahmen für eine – vorweggenommen – großartige Kollektion, die nicht nur perfekt die Situation der Zeit und sich verändernder Werte reflektiert, sondern auch die Codes von Chanel in zukünftiger Sicht mit ungeheurem Fingerspitzengefühl und Realismus in moderner Weise interpretiert.
Der Anspruch an Mode hat sich verändert. Die Sicht von Chanel war seit der Gründung immer dem Zeitgeist voraus und nah an den Frauen ihrer Zeit. Das Luxusunternehmen hat immer reagiert auf die Anforderungen eines sich verändernden Lebens- und Gesellschaftsbildes.
Diese Maxime scheint Virginie Viard mit der ungeheuren Sicherheit ihrer Erfahrung und ihrer Team-orientierten Arbeitsweise immer zu berücksichtigen. Wie sich moderne Frauen in Chanel bewegen und wohlfühlen, das Selbstverständliche mit dem Handwerk und Qualitätsanspruch zu verbinden, ist für die Designerin der Maßstab und die Inspiration, die Kollektionen immer wieder zu überdenken, um sie ins Heute zu transferieren.
Chanel Herbst-Winter 2021-2022; Bild: Inez & Vinoodh
Dass sich die Rue Cambon mit dem Geist von Saint-Germain verbindet, ist genau Virginie Viards Welt. Die Strömungen und Bewegungen, die immer von diesem sprudelnden Stadtteil ausgingen, haben in den letzten 60 Jahren stark das Bild der lässigen Pariserin – und besonders Viards Generation – geprägt. Gerade das Prêt-à-porter wurde hier geboren. Karl Lagerfeld, Yves Saint Laurent, Sonia Rykiel oder Kenzō Takada erdachten hier die Kleidung, die die Kundinnen wollten, um das Rive-Gauche-Lebensgefühl zu tragen.
Designermode, die perfekt tragbar ist; extravagant und hochwertig, aber nicht prätentiös oder im klassischen Sinne konventionell. Auf den ersten Blick selbstverständlich, aber im Detail kostbar und raffiniert; schillernd, aber nicht protzig, das bringt Viards Kollektion auf den Punkt.
Chanel Herbst-Winter 2021-2022; Bild: Inez & Vinoodh
Ein bisschen nach innen gekehrt wie auch unsere Zeit, bekommt Luxus eine andere Bedeutung. Das Bild, andere zu beeindrucken, verblasst, die Innenwirkung wird wichtiger. Man genießt für sich selbst den Komfort und den individuellen Look oder genießt ihn mit den engsten Freunden und Vertrauten. Die Mode ist charmant und intim. Daraus resultiert eine konzentrierte Abfolge von Lieblingsteilen und Looks. Das Styling spielt mit gekonnten Brüchen und Materialkombinationen, die, gegeneinander kombiniert, zunächst ungewöhnlich erscheinen, aber dadurch ihren unwiderstehlichen Reiz bekommen. Raffinierte Selbstverständlichkeit ist das Chanel-Zauberwort von Virginie Viard. Ihre Arbeitsweise – ihre Vertrauten und das Team zu beobachten und daraus ihre Kollektionen zu erarbeiten – führt, schaut man genau hin und dechiffriert die Einzelstücke, dazu, dass die Designerin einzelne, zu langjährigen Lieblingsstücken avancierende Klassiker schafft. Teile, die man, wenn man sie einmal hat, nie wieder ausziehen möchte und die rund um die Uhr zur Arbeit, zu Hause, zum Treffen mit Freundinnen oder zum Ausgehen tragbar sind. Intelligente Mode, die selbstverständlich und doch ungeheuer kostbar zu gleich ist – etwas, was die Marke und auch den Anspruch Chanels entspricht.
Dabei entwickelt sie die neue Chanel-Linie mit humorvollen Zitaten aus der Inspiration der Gründerin Gabrielle Chanel, genauso wie mit Anspielungen auf Meilensteine aus Lagerfelds Kollektionen der Neunzigerjahre. Dazu Virginie Viards Sicht der Chanel-Codes auf das Hier und Heute.
Wie bei fast allen Häusern im Prêt-à-porter wird auch bei Chanel die Anzahl der Looks wohltuend komprimiert. Während zu Zeiten der Mega-Schauen kaum eine Konzentration möglich war ergibt jetzt die Essenz und das Weglassen eine klarere Ausrichtung der Kollektion. Viele ausgereiftere und voller Besonderheiten steckende Einzelteile. Eine Beschränkung, die Luxuskollektionen wohl bekommt und auch der Zielgruppe viel gerechter wird. Jeder Look wirkt viel intensiver und nur die schönsten Looks kommen in die Kollektion. Kreativität kann sich besser entfalten durch Konzentration.
Chanel Herbst-Winter 2021-2022; Bild: Inez & Vinoodh
Apropos Lieblingslooks: Da sind zunächst die wunderbaren Mäntel in Tweed oder flaschengrünem Satin; die Parkas und die Saharienne-Jacken. Halblange Strickjacken in abgesetzten Colourblocking-Kombis und ein Kostüm, Weste und Mantel in Fake-Fur, das an Mongolian Lamb erinnert. Mit einem Augenzwinkern gesehen erinnern diese Must-haves an Karl Lagerfelds Winter-Kollektion 1994, wo er Fake-Fur mit den ersten Couture-Gummistiefeln über den Runway defilieren ließ. Damals ein Skandal, denn ein Luxushaus, das Fake-Fur verarbeitete, galt als Katastrophe. Heute würde man wahrscheinlich einen Skandal verursachen, wenn man echten Pelz genommen hätte. Gummistiefel sind heute in der Couture Alltag und Viard ersetzt sie mit zotteligem Fake-Fur- oder gesteppten Gamaschen-Stiefeln. Die Zeiten ändern sich, der gute Riecher bleibt – und so gehören diese Teile sicherlich zu den Bestsellern des nächsten Winters.
Chanel Herbst-Winter 2021-2022; Bild: Inez & Vinoodh
Logo-Mania, aber dezenter – so wird Chanel in den Prints zu Colourblocking-Mustern oder auf gesteppten Hosen und Overalls zu Keypieces der Kollektion. Die magischen Parfums „N°5“ oder „N°22“ auf T-Shirts oder Tops transformieren zu Team-Shirts. Schwarze, kurze Tweedjacken als Ultraklassiker bei Kostümen oder zu Faltenröcken, unter denen Leggings getragen und in Stiefel gesteckt werden. Ein kleiner pinker Norwegerpullover fällt liebevoll ins Auge zu stahlblauen geraden Wollhosen. Overalls und Samthosen mit raffinierten Chanel-Steppungen, besetzt mit Strass, Chanel-Glücksbringern oder als Kamelien-Stepp.
Jeder Look wirkt liebevoll und komplex erdacht und trotzdem selbstverständlich. Jeder Stoff und jedes Material offenbart Muster und raffinierte Effekte in der Bewegung. Die Balance zwischen Luxus und Schlichtheit durch das Handwerk regt zum Träumen an, die aber nicht in Prinzessinnen-Träume abdriften, sondern für gestandene Frauen gemacht sind, die einen realistischen Alltag leben und ihre Rolle fest ausfüllen.
Die Chanel-Frau ist eine moderne Vision der Rive Gauche Frauen mit lässiger Allüre. Es sind deren Töchter, die lesen und intellektuelle Gefühle zulassen, aber trotzdem vollkommen im Leben stehen. Frauen, die Klassik und Extravaganz spielerisch für sich selbst kombinieren. Als Abschluss lässt Virginie Viard den klassischen Trench in goldenem Leder durch das Castel defilieren. Den Regenmantel – entworfen für die Schützengräben im Ersten Weltkrieg und von der Uniform zum Allroundklassiker geworden – lässt Viard zum Glamourteil schlechthin werden. Eine Hommage an Yves Saint Laurent, denn der Designer ließ damit seine Musen bereits in den Siebzigern Saint-Germain erobern. Karl Lagerfeld klemmte sich darin Jerry Hall unter den Arm und verbrachte wunderbare Abende im La Coupole oder Castel mit seinen Freunden.
Die Playlist, wie immer von Michel Gaubert, mit einer Eröffnung mit einem Klassiker von Diana Ross: „Do you know where you are going to“. Virginie Viard weiß, wo ihr Weg hinführt, denn eine intime Atmosphäre und das Konzentrieren auf das, was Chanel wirklich ausmacht: Zeitlos schöne Kleidung in Perfektion für moderne Frauen ihrer Zeit zu machen, hat sie wie schon seit über hundert Jahren in der Geschichte des Hauses perfekt verinnerlicht. Das geht am besten im Team und auch ohne großes Brimborium von Massenschauen und spektakulären Events.
Alles im Leben hat seine Zeit, steht schon in der Bibel. Vielleicht ist nicht nur aufgrund der Pandemie ein Epochenwechsel fällig – schließlich gab es vor 2000 auch wesentlich intimere Präsentationen. Eine großartige, wegweisende Kollektion, die uns auf einen schönen, optimistischen Chanel-Winter freuen lässt.
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Markus W. S.
12. März 2021 at 08:18❤️
Elke Kempe
12. März 2021 at 11:59Hast Du toll beschrieben! Ja, Chanel hat es erfaßt ,dass die Zeiten sich wohl mächtig geändert haben, auch in der Mode!Alles etwas zurückgenommen!
Stefan
12. März 2021 at 19:47Ausführliche Zusammenfassung, danke. Sieht aus wie bei Herrn Lagerfeld.